Kritik an Flüchtlingshilfe der Kirche ‘pharisäisch’

Kapellari: Kritik an Flüchtlingshilfe der Kirche ‘pharisäisch’

Grazer Bischof äussert sich in “Kleine Zeitung”-Interview auch zu Islam, Synode und Lebensschutz – “Im Islam gibt es bis heute die vorherrschende Tendenz, Kritik als Beleidigung aufzufassen, das muss überwunden werden”.

Graz, kath.net/KAP, 02. Januar 2015

Der steirische Bischof Egon Kapellari hat in einem Interview für die Grazer “Kleine Zeitung” den Vorwurf an die Kirche, zu wenig für Flüchtlinge zu tun, zurückgewiesen. “Die Schuldzuweisungen sind pharisäisch. Gerade die Kirche tut im Vergleich zu anderen Grossgruppen der Gesellschaft besonders viel für die Flüchtlinge. Das zeigt sich an der Zahl der Plätze in kirchlichen Häusern, die wir zur Verfügung stellen. Und es zeigt sich an den finanziellen Mitteln, die wir aufwenden.

Sicher, wir haben Fehler, aber wir haben auch unsere Vorzüge, und es ist günstig, diese Vorzüge nicht zu verschweigen. Denn unsere Gesellschaft ist nicht so stark, dass sie auf besonders stabilisierende Faktoren wie die Kirche verzichten könnte”, sagte der Bischof.

Befragt zum Islam, bedauerte Kapellari u.a. die beleidigte Haltung vieler Muslime, wenn das Phänomen der Radikalisierung unter muslimischen Jugendlichen hinterfragt wird: “Im Islam gibt es bis heute die vorherrschende Tendenz, Kritik als Beleidigung aufzufassen. Das muss überwunden werden.”

Das Christentum sei in Europa durch das Feuer der Aufklärung gegangen, das habe weh getan und viel zerstört. “Aber das Feuer zerstört nicht nur. Es läutert auch. Es schmilzt aus dem Erz das Gold heraus. Keine Religion, die einen Platz in der westlichen Gesellschaft beansprucht, wird sich diesem Prozess entziehen können. Auch der Islam nicht. Er muss sich fragen lassen, und fragt sich ohnehin schon selber, was sein Gewaltpotenzial für ihn als Gefahr bedeutet”, stellte der Grazer Bischof klar.

Zwar hätten alle drei grossen monotheistischen Religionen ein Gewaltpotenzial. Die entscheidende Frage laute jedoch, unter welchen Umständen es aktiviert werden könne. “Auch wir haben mühsam lernen müssen, an diese Tabus ohne Denk- und Sprachverbot daranzugehen”, so Kapellari.

Er hob jedoch hervor, dass der Islam mit der westlichen Gesellschaft kompatibel sei, wenn er bereit sei, sich weiterzuentwickeln: “Juden, Christen, Muslime, wir alle müssen uns weiterentwickeln, ohne unsere Kernidentität aufzugeben. Sonst drohen Spaltung und Krieg.”

Erstellung der neuen Terna verzögerte sich

Zu seiner Nachfolge sagte Kapellari, er habe “die begründete Hoffnung, dass ich in naher Zukunft die Leitung der Diözese an den Papst zurückgeben darf”. Weil allerdings durch Franz Lackners Ernennung zum Erzbischof von Salzburg “die plausibelste Nachfolgeperspektive abhanden gekommen” sei und Rom einen neuen Dreiervorschlag mit Bischofskandidaten brauche, sei es zu einer langen Zeit des Wartens gekommen. Auch die Erstellung dieser sogenannten Terna habe “sich immer wieder verzögert”, räumte der Bischof ein.

Schwer falle ihm der Abschied nicht, bekannte der Grazer Bischof: “Im 80. Lebensjahr ist es längst Zeit dazu. Ich werde dann helfen, wo ich noch kann und gebraucht werde, und ich hoffe, dass sich auch der Mönch in mir stärker entfalten kann.”

Bilanzierend sagte Kapellari, ihm sei der Dauerauftrag an einen Bischof, immer Hirte inmitten seiner Herde zu sein, “immer wieder und immer wieder nicht” geglückt. Wörtlich sagte der frühere Studentenseelsorger: “Ich habe mich in den 33 Jahren, die ich Bischof bin, darum bemüht, die Mitte und die Tiefe zu stärken, verbunden ebenso mit nun schon drei Päpsten wie mit meiner bunten Diözese. Die Mitte war immer mein Ort, ein sehr spannungsreicher Ort. Ich würde mich missverstanden fühlen, wenn man mich dem konservativen oder dem progressiven Lager zwangseinverleiben würde. Dieser Lagerhaft habe ich mich immer entzogen und werde mich weiter entziehen.”

Synode als Nagelprobe

Im Blick auf die Weltbischofssynode sagte Kapellari, in der Kirche brauche es eine Stärkung der Tiefe ebenso wie ein Offenhalten der Türen und Fenster. “Der Papst tut das auf grossartige Weise. Weil wir an der Jahresschwelle stehen, sage ich aber auch: Die Kirche braucht auch Schwellen. Die Frage, wie hoch oder flach diese an der offenen Tür sein sollen, ist kontrovers und macht Bischofssynoden wie die jüngste in Rom zum Thema Familie in Rom zu Nagelproben.”

Nicht einverstanden ist Bischof Kapellari mit dem Verlauf der Debatte über wiederverheiratete Geschiedene. Sie habe sich “auf den Kommunionempfang zugespitzt, als ob es allein um diese Frage ginge und nicht darum, was Kommunion eigentlich ist”. Das Wort von Augustinus – Liebe, und mach, was du willst! – werde da oft missverstanden. Es meine nicht, dass man alles machen könne, sondern es setze voraus, “dass die Liebe auch den Willen korrigiert im Sinn von Nichtbeliebigkeit”. Die daraus resultierende Spannung sei “auch eine Chance zur Vertiefung”, zur Erkenntnis, “dass nicht jede Grenze eine Diskriminierung ist”.

Dies gelte auch z.B. bei der Frage des Lebensschutzes, “da trifft der begreifbare Wunsch nach möglichst viel Freiheit auf Grenzen”. Nicht jede Freiheit sei “wirklich Freiheit im Sinn von lebensförderndem Menschsein, mit dieser Spannung müssen wir mit idealistischem Realismus umgehen”.

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