Franziskus als Missionar des Friedens

In Sri Lanka stärkte der Papst eine Ortskirche, die viel zur Versöhnung in dem einst vom Bürgerkrieg zerrissenen Land beitragen kann

Colombo, Die Tagespost, 14. Januar 2015

Von Guido Horst

Bunt und farbenfroh, mit viel Gesang, Tänzen, natürlich auch geschmückten Elefanten und vor allem ausgelassener Begeisterung hat Colombo bei tropischen Temperaturen Papst Franziskus empfangen. Dabei ist Sri Lanka kein christliches Land. Unter der mehrheitlich buddhistischen Bevölkerung stellen die Katholiken und Angehörigen anderer christlicher Konfessionen eine Minderheit von etwa acht Prozent dar. Aber das alte Ceylon ist zutiefst religiös. Wer morgens englische Fernsehnachrichten sucht, dem kann es passieren, dass er sich zunächst einen buddhistischen Mönch, dann einen muslimischen Prediger und schliesslich einen katholischen Priester bei ihrer morgendlichen Betrachtung anhören muss – und das hintereinander auf ein und demselben Sender.

So war es dann auch nicht auszumachen, wer da am Dienstagmorgen bei der etwa dreissig Kilometer langen Fahrt des Papstes vom Flughafen in die Stadt am Rande der Strecke stand und Franziskus im offenen Papamobil zujubelte. Um die dreihunderttausend Menschen müssen es gewesen sein, Christen, Buddhisten und auch Hindus und Muslime, die den Gast aus Rom begrüssten. Am Ende hatte der Konvoi eine Verspätung von einer Stunde. Unbarmherzig hatte das gebogene Plexiglasdach des weissen Gefährts die Sonnenstrahlen auf den Papst gebündelt. Am Ende der triumphalen Einfahrt in die Hauptstadt des Landes, unmittelbar nach dem langen Nachtflug um die halbe Erde, war Franziskus erschöpft. Die erste für diesen Tag vorgesehene Begegnung, ein Treffen mit den Bischöfen Sri Lankas in der erzbischöflichen Residenz von Colombo, musste ausfallen.

Sichtlich gestärkt machte der Papst dann am Nachmittag dem frisch gekürten Staatspräsidenten Maithripala Sirisena seine Aufwartung. Dieser, ein 63 Jhare alter Buddhist, hatte schon bei der Begrüssung am Flughafen gesagt, dass der Besuch des Papstes für ihn persönlich wie ein Segen zu Beginn seiner Amtszeit sei. Der Präsident sprach auch von den 26 Jahren des “Terrors” während des 2009 beendeten Bürgerkriegs. Aber das war ein Konflikt zwischen Ethnien, nicht zwischen den Religionen. “Wir sind ein Volk”, meinte Sirisena, “das an die religiöse Toleranz und Koexistenz glaubt, die in unserem jahrhundertealten geistigen Erbe verwurzelt sind.”

Islamischer Würdenträger verurteilt Gewalt

Derselbe Ton des friedlichen Miteinanders prägte auch das anschliessende Treffen in der “Bandaranaike Memorial International Conference Hall”, wo Franziskus mit Vertretern des Buddhismus, Hinduismus, des Islams und des Christentums zusammentraf. Kardinal Malcolm Ranjith, Erzbischof von Colombo und Vorsitzender der Bischofskonferenz von Sri Lanka, begleitete den Papst, bereits vorher hatte die von Kardinalstaatssekretär geleitetete vatikanische Delegation in der – ebenfalls wieder sehr bunt ausstaffierten – Halle Platz genommen. Auf dem Podium führende Repräsentanten der Religionsgemeinschaften des Landes. Der Buddhist, gekleidet in das orangerote Gewand der Mönche, legte die selbstbewusste und leicht präpotente Haltung an den Tag, in der sich die geistlichen Führer des Buddhismus auch im Fernsehen oder bei öffentlichen Auftritten gefallen, wenn sie als Vertreter der grössten Religionsgemeinschaft des Landes auftreten. Der Buddhist in der Konferenzhalle blieb sitzen, als Papst Franziskus auf das Podium stieg und in der Mitte Platz nahm.

Mit scharfen Worten verurteilte der islamische Würdenträger bei dem Religionstreffen jeglichen Terrorismus im Namen der Religion. “Der Islam steht nicht in Verbindung mit solch schrecklichen Taten”, sagte Sheikh Maulawi Fazil mit Blick auf die Anschläge in Paris. Die Täter seien Verbrecher, die sich nicht auf den Islam berufen könnten. Dieser sei eine Religion der Liebe, des Friedens und der Harmonie. Immer habe es in der Geschichte jedoch Menschen gegeben, die terroristische Verbrechen mit dem Glauben gerechtfertigt hätten. “Wir müssen uns gegenseitig unterstützen, um eine gemeinsame Nation für die ganze Menschheit zu bauen”, so der islamische Geistliche. Auch Franziskus verurteilte bei dem Treffen jede Form von religiös begründeter Gewalt. “Wir müssen unsere Gemeinschaften klar und unzweideutig auffordern, die Grundsätze des Friedens und der Koexistenz, die sich in jeder Religion finden, uneingeschränkt zu leben und Gewalttaten zu verurteilen.” Bereits bei seiner Begrüssungsansprache am Flughafen hatte sich der Papst, bezogen auf die innenpolitische Lage Sri Lankas, überzeugt gezeigt, “dass die Anhänger der verschiedenen religiösen Traditionen eine wesentliche Rolle in dem heiklen Versöhnungs- und Aufbauprozess, der gerade in diesem Land stattfindet, zu spielen haben”. War der erste Besuchstag der Begegnung mit der Politik und den anderen Religionen gewidmet, so widmete sich Franziskus am Mittwoch ganz den katholischen Gläubigen des Landes. Der Tag begann mit der Heiligungsprechung des Missionars Joseph Vaz, jenes Oratorianer-Priesters aus Goa, der, 1651 geboren, im Jahr 1687 nach Ceylon ging, um in der Zeit der Unterdrückung der Kirche durch die Kolonialmacht der calvinistischen Niederlande die Katholiken in ihrem Glauben zu stärken.

Der Ort der Heiligsprechung: der “Galle Face Green”-Park direkt am Strand von Colombo, die Kulisse: der indische Ozean. Die überdachte Altarinsel war im Stil des alten Königreichs Kandy erbaut, wo sich Pater Joseph nach zwei Jahren Haft die Achtung des dortigen Königs erwarb und sein missionarisches Wirken fortsetzen konnte. Genau hier, auf einem Grünstreifen, wo so etwas wie Rasen aber nur andeutungsweise vorhanden war, hatte Johannes Paul II. am 21. Januar 1995 den Missionar aus Goa in das Buch der Seligen aufgenommen. Jetzt, zu seiner Heiligsprechung, waren mehrere hunderttausend Menschen zusammengekommen. Folkloristische Tänze und Chöre eröffneten den feierlichen Gottesdienst. Der Erzbischof von Goa und Bischof Vianney Fernando von Kandy erbaten vom Papst die Heiligsprechung, der die entsprechende Formel nach der gesungenen Heiligenlitanei sprach. Die Gläubigen dankten es mit langem Applaus, Fanfaren tönten und die Chöre sangen. Im Laufe der Messe klickten die Sonnenschirme auf. Es sollte wieder ein schwül-heisser Tag in Colombo werden.

Franziskus, der sich bei der Predigt wie bei den anderen Ansprachen in Sri Lanka durch das Englische seines Redemanuskripts quälte, legte bei dieser Gelegenheit als oberster Repräsentant der katholischen Minderheit ein Bekenntnis vor dem ganzen Lande ab. Das Beispiel des heiligen Joseph Vaz inspiriere auch heute noch die Kirche in Sri Lanka, sagte der Papst. “Gerne und grossherzig dient sie allen Gliedern der Gesellschaft. Sie macht keine Unterschiede nach Rasse, Bekenntnis, Volksstamm, Stand oder Religion in dem Dienst, den sie durch ihre Schulen, Krankenhäuser, Kliniken und viele andere gemeinnützige Werke bereitstellt. Die einzige Gegenleistung, die sie fordert, ist die Freiheit, ihre Mission zu erfüllen.”

Sri Lanka ist kein reiches Land. Und die Kirche ist es dort erst recht nicht. Sehr abgegriffen sah es aus, was auf dem Areal für die Messe am Strand herbeigeschafft worden war: veraltete Lautsprecheranlagen, die Stromgeneratoren auf betagten Lastern, die Hütten, in denen man sich mit Wasser versorgen konnte. Einfach gezimmerte Holzbuden im Pagoden-Stil luden zum Beichten ein. Nicht nur während des Papstbesuchs tragen die katholischen Priester in Sri Lanka in der Regel weisse Soutanen mit schwarzer Schärpe beziehungsweisse Zingulum. In einem zutiefst religiösen Land mit so vielen buddhistischen, hinduistischen und muslimischen Geistlichen verbietet es sich für den katholischen Klerus, irgendwie laikal herumzulaufen. Besonders auffallend: Anders als bei Papstmessen in westlichen Ländern fehlten jetzt am Strand vor Colombo die Grossbildschirme. Viele werden Franziskus nur bei der Fahrt im Papamobil durch die Reihen der Menschenmasse vor Beginn des Gottesdienstes gesehen haben. Die Altarinsel stand in der Mitte der zum Meer hin gerichteten Breitseite des langgezogenen Rechtecks des “Galle Face Green”-Parks – von den meisten Standorten aus konnte man das Geschehen am Altar nicht verfolgen. Doch trotz der Einfachheit und vielleicht auch Armut der Kirche in Sri Lanka konnte Kardinal Ranjith dem Papst am Ende der Messe siebzigtausend Dollar überreichen, die in den Monaten vor dem Besuch für karitative Zwecke gesammelt worden waren. Ranjith, der Freund des Papstes. Noch am Abend der Papstwahl, bevor Franziskus auf die Loggia des Petersdoms trat, hatte der Erzbischof von Colombo den neuen Papst nach Sri Lanka eingeladen, und dieser sagte sofort mündlich zu. Auch wenn Ranjith als Sekretär der Gottesdienst-Kongregation als Mann galt, der die “Reform der Reform” der Liturgie unterstütze, wechselte er sofort von den engsten Vertrauten Papst Benedikts in das Lager der Franziskus-Anhänger. “Er macht nicht den Burke”, wie man so schön in Rom sagt.

Der Papst segnete die Andachtsgegenstände

Eine unüberschaubare Menschenmenge füllte dann gestern Nachmittag die Plätze, Wege und Strassen rund um das Marienheiligtum Madhu im tamilischen Norden, wohin sich Franziskus, das päpstliche Gefolge und die Bischöfe des Landes in Hubschraubern begeben hatten. Es war – nach der friedlich-bunten Massenmesse in Colombo – der inhaltlich aussagekräftigste Augenblick des Papstbesuchs in Sri Lanka. Hierhin, wo der Bürgerkrieg zwischen Singhalesen und Tamilen tobte, hatte sich Johannes Paul II. vor zwanzig Jahren nicht begeben können – und Paul VI. war 1970 auch nicht dort. Franziskus ist somit der erste Papst, der das einst umkämpfte Tamilengebiet für eine Gebetsfeier besuchte, an der Angehörige der Opfer auf beiden Seiten der einstigen Bürgerkriegsparteien teilnahmen. Ein sinnfälliger Ausdruck dafür, dass in Sri Lanka die Zeit der Aussöhnung wirklich begonnen hat.

Die Vigil fand vor dem Marienheiligtum statt, Franziskus liess zu Beginn eine weisse Taube fliegen. In dieser Region im bewaldeten Hinterland der Küstenstadt Mannar im Nordwesten Sri Lankas sind 33 Prozent der Einwohner katholisch. Die Verehrung der dortigen Marienstatue geht auf das sechzehnte Jahrhundert zurück. Damals suchten die Katholiken an diesem Ort im Dschungel Schutz vor den Verfolgungen des Königs von Jaffna, später vor denen der niederländischen Kolonialherren. Seit 1990 fanden auf dem Gelände der Wallfahrtskirche Tausende von Vertriebenen Zuflucht. Erst 2010 wurde der Pilgerbetrieb wieder aufgenommen.

Es war eine kurze Gebetsfeier in Madhu. Die auf Englisch vorgetragene Ansprache des Papstes wurde nochmals auf Singhalesisch und Tamilisch vorgetragen. Die Gebete teilten sich Männer und Frauen, Geistliche und Laien. Wie bereits am Ende der Messe in Colombo hielten die Gläubigen zum Segen von Franziskus Rosenkränze, Heiligenbilder und andere fromme Gegenstände in den erhobenen Händen und liessen sie mitsegnen. Die Vigil in dem Marienheiligtum sollte ein Zeichen sein, dass die Feinde von einst im Hause der Mutter wieder gemeinsam beten können.

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