Schwarz-rote Suizidhelfer
Montgomery lehnt neues Positionspapier ab – Kirche fürchtet “Regelangebot”
Die Tagespost, 17. Oktober 2014
Das von einer Gruppe von Parlamentariern um Bundestagsvizepräsident Peter Hintze (CDU) und die Stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion Carola Reimann vorgestellte Positionspapier zur Regelung des ärztlich assistierten Suizids, ist bei der Bundesärztekammer, den beiden grossen christlichen Konfessionen und Patientenschützern auf teils heftigen Widerstand und harsche Kritik gestossen. “Dieser Vorschlag mündet in die Freigabe der aktiven Sterbehilfe” sagte der oberste Repräsentant der deutschen Ärzteschaft, Bundesärztekammerpräsident Frank Ulrich Montgomery, der “Neuen Osnabrücker Zeitung”. „Wer den assistierten Suizid auf diese Weise rechtlich begründet, der macht ihn überhaupt erst gesellschaftsfähig”, so Montgomery.
Die Gruppe von Parlamentariern, zu der auch der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach, die CSU-Abgeordnete und ehemalige Miss Germany Dagmar Wöhrl sowie die Parlamentarische Staatssekretärin beim Verkehrsminister, Katherina Reiche (CDU), und der rechtspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Burkhard Lischka, zählen, hatten am Donnerstag auf einer Pressekonferenz in Berlin ein fünf Thesen umfassendes Papier vorgestellt. Ein auf dieser Basis erst noch zu erarbeitender Gesetzentwurf soll es Ärzten, die das wünschen, ermöglichen, Beihilfe zum Suizid zu leisten, ohne den Verlust ihrer Approbation fürchten zu müssen. In dem mit “Sterben in Würde – Rechtssicherheit für Patienten und Ärzte” überschriebenen vierseitigen Papier fahren die sechs GroKo-Abgeordneten zum Teil schwere sophistische Geschütze auf. So heisst es in dem Papier etwa: “Wir halten es für einen Verstoss gegen die Menschlichkeit, wenn aus dem Schutz menschlichen Lebens ein staatlicher Zwang zum Leiden wird.” Genauso gut könnten die Abgeordneten behaupten, der Staat “zwinge” Kinderschänder, zu leiden, weil er ihnen nicht gestatte, sich an diesen zu vergehen. Oder: Ärzte, die bereit stehen, Beihilfe zum Suizid zu leisten, sollten sich nach Ansicht der Abgeordneten auf “ihre im Rahmen von fachlichen Leitlinien Therapiefreiheit in der Behandlung todkranker Menschen” berufen können. Als würden medizinische Therapien nicht ausschliesslich mit dem Ziel erwogen und durchgeführt, die Leiden der Patienten zu lindern, statt die selbst aus der Welt zu schaffen.
Eine intellektuelle Zumutung voller Widersprüche
Auch sonst ist das Papier eine intellektuelle Zumutung sondergleichen. So heisst es in ihm unter anderem: “Die Würde des Anderen zu achten, schliesst mit ein, den Anderen als einen selbstbestimmten, zu eigenverantwortlichen Entscheiden befähigten Menschen anzuerkennen und dessen Leiden abzuwenden.” Im weiteren Verlauf heisst es dann jedoch an anderer Stelle: “Ein ärztlich assistierter Suizid kommt nur in Fällen einer irreversibel zum Tode führenden Erkrankung und einer daraus resultierenden extremen Leidenssituation in Betracht.” Ist also der liebeskranke, insolvente, lebensmüde Mensch niemand, der zu “selbstbestimmten” und “eigenverantwortlichen Entscheiden” fähig ist? Und falls nicht, warum soll dann ausgerechnet jemand, der tödlich erkrankt ist und unter Schmerzen leidet, zu eben solchen sehr wohl fähig sein? Wieso darf der Staat seine unglücklich verliebten, bankrotten und lebenssatten Bürger zum Weiterleben “zwingen”? Wieso darf er Ärzten, die auch in diesen Fällen eine Beihilfe zum Suizid mit ihrem Gewissen vereinbaren könnten, mit dem “scharfen Schwert des Strafrechts” bedrohen? Warum ist dieses nur dann das “falsche Mittel”, wenn der Bürger statt einer Umschuldung eine Chemotherapie ablehnt?
Fragen über Fragen, auf welche das an Widersprüchen reiche Positionspapier nicht eine Antwort gibt. Kritiker befürchten denn auch nicht zu Unrecht, dass die von Hintze und seinen Mitstreitern in Gesetzesform gegossenen Vorschläge aus der bislang nicht verbotenen und ohnehin von einigen Ärzten längst praktizierten Beihilfe zum Suizid zu einem “Regelangebot” der Gesundheitsversorgung werden liesse. “Wir sind davon überzeugt, dass ein solches Regelangebot gerade Menschen in Grenzsituationen des Lebens unter Druck setzen wird, hiervon Gebrauch zu machen”, erklärte etwa der Leiter des Katholischen Büros, Prälat Karl Jüsten, der die Deutschen Bischöfe bei der Bundesregierung vertritt, gestern gegenüber der katholischen Nachrichtenagentur KNA auf Anfrage. Ein Gedanke, den offenbar auch die frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirchen in Deutschland (EKD), Margot Kässmann, teilt. Den “Ruhr-Nachrichten” sagte Kässmann, in Deutschland sei noch kein Arzt verurteilt worden, “weil der Patient in Folge erhöhter Schmerzmedikation starb. Aber ich kann mir nicht vorstellen, quasi auf Krankenschein das tödliche Gift herauszugeben.” Bis Ärzte und Patienten wissen werden, was sich ihre Volksvertreter mehrheitlich alles vorstellen können und was noch unvorstellbar bleiben darf, werden noch Monate ins Land gehen. Denn eine endgültige Regelung will das Parlament erst Ende 2015 verabschieden. Am 13. November soll eine erste “Orientierungsdebatte” geben, die auch so etwas wie einen ersten Stimmungstest erlauben dürfte. Dass bis dahin auch schon alle Gesetzentwürfe fertig vorliegen werden, ist nicht zu erwarten.
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