Neue Regeln für den Islam

Österreich will seine Muslime vor Einfluss und Geld aus dem Ausland schützen

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Die Tagespost, 06. Oktober 2014
Von Stephan Baier

Nach 102 Jahren soll das österreichische Islamgesetz neu gefasst werden. Ein entsprechender Gesetzesentwurf ging Ende vergangener Woche in die Begutachtung und soll zum Jahreswechsel in Kraft treten. Unstrittig ist, dass eine Neufassung überfällig ist, immerhin ist das Islamgesetz von 1912 deutlich älter als die Republik Österreich und ihre Verfassung. Das noch von Kaiser Franz Joseph für die österreichische Reichshälfte der habsburgischen Doppelmonarchie erlassene “Gesetz betreffend die Anerkennung der Anhänger des Islams nach hanefitischem Ritus als Religionsgemeinschaft” war durch die Annexion Bosnien-Herzegowinas 1908 notwendig geworden. Doch seitdem hat sich nicht nur die Staatlichkeit Österreichs radikal gewandelt, sondern auch die Zusammensetzung der hier lebenden muslimischen Community.

Als Kultusminister Karl Graf Stürgkh seinem Kaiser 1909 ein Islamgesetz vorschlug, räumte er ein, dass “manches an der Religion Mohammeds dem abendländischen Kulturbewusstsein fremd gegenübersteht”, war aber zugleich überzeugt, “dass weder die Kultusübung noch die sonstige Betätigung religiösen Lebens seitens der Bekenner des Islam in Österreich irgendwie Anstoss erregen oder sich in Widerspruch mit den hier herrschenden kulturellen Anschauungen setzen wird”. Die in der Monarchie lebenden Muslime waren, abgesehen von kleinen türkischen Minderheiten, bosnische Slawen. Sie wurden von mehr als tausend Imamen betreut, an deren Spitze der Reis-ul-Ulema in Sarajevo stand. Dachte man nach dem Ende des habsburgischen Vielvölkerstaates lange, das Islamgesetz sei praktisch überflüssig, weil es im kleineren Österreich fast keine Muslime gab, so setzte ab Mitte der 1960er Jahre ein Zustrom von muslimischen Studenten, Gastarbeitern und Flüchtlingen ein. 1971 lebten rund 23 000 Muslime in Österreich. Heute sind es mehr als 500 000, von denen jeweils knapp 40 Prozent aus der Türkei und aus dem Balkanraum stammen.

Nicht nur diese ethnische Verschiebung macht eine Neufassung des Islamgesetzes naheliegend. Die “Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich” (IGGiÖ), die seit 1979 als gesetzlich anerkannte Religionsgemeinschaft die Stellung einer Körperschaft des öffentlichen Rechts geniesst, lobt zwar den modellhaften Rechtsstatus des Islam in Österreich, mahnte aber selbst eine Novellierung an, etwa mit Blick auf die Anstalts- und Militärseelsorge. Die Neuregelungen, die der am Donnerstag in Wien vorgestellte Entwurf nun vorsieht, haben die Vertreter der IGGiÖ dennoch negativ überrascht: “Die um sich greifenden Pauschalverdächtigungen gegen Muslime angesichts von Krieg und Terror der IS-Verbrecher scheinen der Hintergrund für in letzter Sekunde vorgenommene Verschärfungen bei der Novellierung des Islamgesetzes zu sein”, argwöhnt die Sprecherin der IGGiÖ, Carla Amina Baghajati. Sie befürchtet eine “Anlassgesetzgebung, mit der die Öffentlichkeit befriedigt werden soll, Muslime nur ja in die Pflicht zu nehmen”.

Tatsächlich betonte Kanzleramtsminister Josef Ostermayer (SPÖ) bei der Präsentation: “Es werden sowohl Rechte als auch Pflichten neu definiert. Klares Prinzip dabei ist, dass staatliches Recht Vorrang vor religiösem Recht hat.” Und der für Integration zuständige Aussenminister Sebastian Kurz (ÖVP) ergänzte: “Für die Scharia ist kein Platz in Österreich.” Im Gesetzesentwurf heisst es, die islamischen Religionsgesellschaften – zu der neben der IGGiÖ die “Islamische Alevitische Glaubensgemeinschaft” gehört – und ihre Funktionsträger genössen denselben gesetzlichen Schutz wie die anderen Religionsgesellschaften. “Auch ihre Lehren, ihre Einrichtungen und ihre Gebräuche geniessen diesen Schutz, sofern sie nicht mit gesetzlichen Regelungen in Widerspruch stehen.” Diesen Vorrang des staatlichen vor dem religiösen Recht postuliert der Staat aber auch gegenüber allen anderen Religionen. Baghajati sieht darin einen “Unterton, mit dem Vorurteile gegen Muslime bestätigt werden, diese seien in ihrer Loyalität gegenüber dem Staat und der Kompatibilität ihrer Werte unter Beobachtung zu stellen”.

Gravierender als der Ton ist die Bestimmung, dass die “Aufbringung der Mittel für die gewöhnliche Tätigkeit zur Befriedigung der religiösen Bedürfnisse” im Inland zu erfolgen hat. In den Erläuterung wird klargestellt, dass der “Grundsatz der Selbsterhaltungsfähigkeit einer Religionsgesellschaft” zwar nicht alle Zuwendungen aus dem Ausland ausschliesst, wohl aber “laufende Finanzierungen, unabhängig davon ob Geld oder Sachleistungen (einschliesslich lebender Subventionen)”. Damit soll jede Einflussnahme aus dem Ausland verhindert werden. Das betrifft nicht Saudi-Arabien, das zwar das zwischenstaatliche Dialogzentrum KAICIID in Wien finanziert, in Österreich – anders als auf dem Balkan – aber keine Moscheen baut. Es beträfe vielmehr derzeit 65 von 300 in Österreich wirkende Imame, die vom türkischen Religionsamt Diyanet besoldet werden.

Verfassungsrechtler und Religionswissenschaftler meldeten bereits Bedenken an, das Verbot der Auslandsfinanzierung könnte die Religionsfreiheit verletzten, zumal es keine vergleichbaren Einschränkungen für die anderen Religionen gibt. Katholiken könnten sich an den Bismarck’schen Kulturkampf und an die kommunistische Kirchenhetze in Osteuropa erinnert fühlen: Damals wurden katholische Priester als Agenten einer ausländischen Macht – des Vatikan – diffamiert, ausländische Missionare vielfach des Landes verwiesen. Auch heute wirken katholische Missionare dank “ausländischer” Spenden und Hilfswerke in zahlreichen Ländern der Welt, in denen die katholische Kirche keineswegs die Mittel für ihre soziale und pastorale Arbeit im jeweiligen Inland aufbringen kann. Sollten mehrheitlich muslimische Länder also ähnliche Regelungen, wie das neue österreichische Islamgesetz sie plant, für christliche Missionare und Einrichtungen erlassen, würde die Arbeit der katholischen Kirche in diesen Ländern zusammenbrechen.

Hinterfragbar ist auch die Bestimmung, wonach die religiösen Lehren nur mehr von den staatlich anerkannten Religionsgesellschaften verbreitet werden dürfen, nicht jedoch von Vereinen. Das richtet sich faktisch gegen grosse Verbände wie den österreichischen Dachverband der türkischen Moscheevereine ATIB, der sich dann zumindest offiziell auf die soziale und kulturelle Arbeit beschränken müsste, um der Auflösung zu entgehen. Auch hier gibt es aber keine Parallele zu anderen Religionsgemeinschaften, wo die Verbreitung religiöser Lehren keineswegs auf die staatlich anerkannten Repräsentanten beschränkt werden kann. Problematisch sind diese Bestimmungen nicht nur hinsichtlich der Gleichbehandlung gegenüber anderen Religionen, sondern auch mit Blick auf jene Muslime, die sich weder von der IGGiÖ noch von den Aleviten vertreten fühlen.

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