Ein Papst und die moderne Kunst

“Collezione Paolo VI” in Concesio (Brescia)

Papst Paul VI.Im Geburtsort Papst Pauls VI. gewährt ein Museum Einblicke in die Werke bedeutender Künstler der Moderne.

Die Tagespost, 25. August 2014, Von Ulrich Nersinger

Am 19. Oktober wird Papst Paul VI. (Giovanni Battista Montini, 1963–1978) zur Ehre der Altäre erhoben werden. Die kommende Seligsprechung zeichnet einen Papst aus, der in schwierigen Zeiten im ständigen Bemühen stand, die Kirche der Welt und die Welt der Kirche nahezubringen. Im Mai des Jahres 1964 war Paul VI. in der Sixtinischen Kapelle des Vatikans mit Malern, Bildhauern, Musikern und Dichtern zusammengetroffen. Ihnen machte er bei dieser Gelegenheit ein überraschendes Angebot: “Die Freundschaft zwischen Kirche und Künstlern muss wieder hergestellt werden. Wir haben Euch geplagt, weil wir Euch als oberste Regel die Nachahmung auferlegt haben, Euch, die ihr Schaffende seid, immer lebendig und voller Ideen und voller Neuheiten. Man kann wohl sagen, dass wir Euch hin und wieder eine Bleihaube übergezogen haben; verzeiht uns!… Schliessen wir Frieden? Heute? Wollen wir wieder Freunde sein? Wird der Papst wieder ein Freund der Künstler sein?”

Im Gespräch mit dem französischen Philosophen Jean Guitton gab Paul VI. seiner Überzeugung Ausdruck, “dass zwischen Priester und Künstler eine Verwandtschaft existiert”: “Unsere gemeinsame Aufgabe besteht darin, die Welt des Geistes, des Unsichtbaren und Unaussprechlichen, die Welt Gottes zugänglich, begreiflich und anziehend zu machen. Die Künstler verstehen es meisterhaft, die Welt des Geistes und des Unsichtbaren in verständliche Formen zu bringen. Freilich nicht so wie die Professoren der Logik und der Mathematik. Diese vermitteln dem Verstand die Schätze der Welt; die Künstler machen die geistige Welt ebenfalls zugänglich, bewahren aber deren unaussprechlichen Charakter, den Lichthof des Geheimnisses.” Während seines ganzen Pontifikates war der Papst bestrebt, der modernen Kunst im Vatikan und in der katholischen Kirche einen gebührenden Platz zu schaffen.

Schon kurz nach der Wahl Pauls VI. war an Lello Scorzelli der Auftrag ergangen, für den Papst ein Pastorale zu schaffen. Der Bildhauer schuf einen beeindruckenden Kreuzstab, von dem der Künstler 1993 sagen konnte: “Dreissig Jahre ist mein Werk um den ganzen Erdkreis gereist; Menschen aller Völker haben es gesehen und verehrt; es ist zum Zeichen der universellen Kirche Christi geworden.” Den Gang in die Basilika von Sankt Peter ermöglichten neu gestaltete Portale: die “Porta dei Sacramenti” von Vincenzo Crocetti (1965) und die “Porta del Bene e del Male” von Luciano Minguzzi (1977). 1971 konnte Paul VI. die vom italienischen Stararchitekten Pier Luigi Nervi konzipierte Audienzhalle im Südosten der Vatikanstadt einweihen.

Im Apostolischen Palast entstand eine neue Privatkapelle für den Papst. Ihr liegen Entwürfe zugrunde, die auf den Architekten Dandolo Bellini zurückgehen – und auf Paul VI. selber. Luigi Filocamo, Enrico Manfrini, Silvio Consadori und Mario Rudelli wirkten an der Ausschmückung der Kapelle mit. 1973 liess der Papst die Vatikanischen Museen um die Abteilung “Arte Religiosa Moderna”, die Sammlung moderner religiöser Kunst, erweitern. An historischen Stätten – den Borgiagemächern, den Appartements Nikolaus’ V., in den prachtvollen Sälen der Renaissance – wurden zeitgenössische Werke untergebracht, die Künstler und Sammler dem Vatikan geschenkt hatten, so die Friedenskapelle von Giacomo Manzu, Mirkos Mosaik der “Entrata in Gerusalemme” und Messgewänder von Matisse.

Bereits als Erzbischof von Mailand hatte der Papst der modernen Kunst seine besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Ein praktischer Grund dürfte die rege Bautätigkeit gewesen sein, die er damals in der grössten Diözese Italiens entwickelt hatte; weit mehr als hundert neue Gotteshäuser, Kirchen und Kapellen waren in seiner Amtszeit entstanden. In dieser Zeit wurde auch der Grundstock für eine bedeutsame Kunstsammlung gelegt, die heute der Öffentlichkeit zur Verfügung steht. Die “Collezione Paolo VI – arte contemporanea” setzt sich aus verschiedenen Hinterlassenschaften zusammen, die fortwährend durch Schenkungen und Ankäufe erweitert werden. Die Idee hierzu hatte Monsignore Pasquale Macchi, der ehemalige Privatsekretär des Papstes. Die Sammlung ist der “Associazione Arte e Spiritualita – Centro studi ‘Paolo VI’ sull’arte moderna e contemporanea” (Verein für Kunst und Spiritualität – Studienzentrum ‘Paul VI’. zur modernen und zeitgenössischen Kunst) anvertraut, die 1987 in Brescia gegründet wurde.

Die Kollektion zählt an die siebentausend Werke. Vertreten sind in ihr bedeutende Protagonisten der italienischen und internationalen Kunstszene des 20. und 21. Jahrhunderts: unter anderen Henri Matisse, Marc Chagall, Pablo Picasso, Salvador Dali, René Magritte, Erich Heckel, Oskar Kokoschka, Gino Severini, Mario Sironi, Giorgio Morandi, Felice Casorati, Georges Rouault, Emilio Vedova, Hans Hartung, David Hockney, Lucio Fontana und John Isaacs. Das Ausstellungsgebäude befindet sich in der Nähe des Geburtshauses des Papstes in Concesio, wenige Kilometer nördlich von Brescia gelegen. Es wurde am 8. November 2009 anlässlich des Besuchs von Papst Benedikt XVI. feierlich eröffnet. Das Museum weist eine Ausstellungsfläche von insgesamt 1 000 Quadratmetern auf, die sich über zwei Stockwerke erstreckt. Angeschlossen ist eine “didaktische Werkstatt“, die Kindern und Jugendlichen moderne Kunst erschliessen möchte.

Die “Collezione Paolo VI. – arte contemporanea” (Via Marconi 15, I-25062 Concesio, BS; Tel. +39 030 21 80 817, Fax +39 030 27 50 885, Email: info@collezionepaolovi.it und info@artespiritualita.org) ist dienstags bis freitags von 9.00 bis 12.00 Uhr sowie von 15.00 bis 17.00 Uhr geöffnet. Der Eintritt kostet 2,– Euro.

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