Impulsgeber für ein kulturelles Europa

Mächtiger Herrscher und bedeutender Initiator europäischer Bildung

Karl der Grosse: Ausstellung

– Drei grosse Ausstellungen “Karl der Grosse – Kunst Macht Schätze” in Aachen.

Von Gerd Felder

Die Tagespost, 23. Juni 2014

Bundespräsident Joachim Gauck hat in Aachen die drei grossen Ausstellungen “Karl der Grosse – Macht Kunst Schätze” eröffnet. Dabei würdigte Gauck Karl den Grossen, der vor 1 200 Jahren in Aachen starb, als “Vater Europas”, der in einem politischen und militärischen Kraftakt die Regionen und Länder des Kontinents geeinigt habe. “Dass er als Charlemagne Teil des französischen historischen Bewusstseins ebenso ist wie als Karl der Grosse Teil des deutschen: Das zeigt einmal mehr die bleibende europäische Dimension seines politischen Wirkens”, hob der Bundespräsident hervor.

Der grosse Kaiser habe mit seiner karolingischen Renaissance die politische und kulturelle Neugründung Europas ins Werk gesetzt, “etwas, von dem wir alle im Grunde bis heute profitieren, was uns alle in Europa bis heute zutiefst prägt”, so Gauck.

Allerdings räumte der Bundespräsident auch ein, dass Karl und die Welt des frühen Mittelalters uns zutiefst fremd bleiben müssten. “Es muss uns auch fremd bleiben, wie sie selbstverständlich Krieg und Mord als Mittel der Politik oder auch nur der Bereinigung von Familienstreitigkeiten eingesetzt hat, eines grossen politischen und kulturellen Werkes.” Die Verbindung christlicher Überlieferung und theologischen Denkens mit antiker Philosophie und Kultur, also das, was Europa geistig und kulturell bis in die Gegenwart bestimme, sei durch Karl den Grossen und seinen Hof ins Werk gesetzt worden. Für die heutige Zeit leitete Gauck daraus die mit viel Applaus bedachte Forderung ab: “Nichts kommt von allein, nichts ist selbstverständlicher Besitz. Kultur und Bildung muss man wollen.”

Im Anschluss an Gaucks Rede auf dem historischen Katschhof vor der grossartigen Kulisse des Aachener Domes bestand dann erstmals Gelegenheit, die drei Teile der Ausstellung in Augenschein zu nehmen. Bei einem ersten Rundgang stellt sich schnell heraus: Noch nie wurden so viele wertvolle Exponate aus der Zeit Karls des Grossen in einer Ausstellung vereint. Im neu eröffneten, grosszügig angelegten Stadtmuseum Centre Charlemagne am Katschhof ist die kunsthistorische Station der Schau. In zwei abgedunkelten Räumen mit jeweils 13 Vitrinen sind 31 erlesene Objekte der Goldschmiedekunst, Buchmalerei und Elfenbeinschnitzerei zu sehen, die entweder direkt der Aachener Hofschule oder der karolingischen Zeit entstammen. In einem intimen Rahmen werden selten verliehene Kunstwerke wie das von Karl dem Grossen und seiner Frau höchstpersönlich in Auftrag gegebene, zwischen 781 und 783 entstandene Godescalc-Evangeliar, der Dagulf-Psalter oder die Fibel von Dorestad präsentiert. Der Tassilokelch, der bedeutendste noch erhaltene Goldkelch des Mittelalters, wird zum ersten Mal ausserhalb des Stifts Kremsmünster, wo er ansonsten beheimatet ist, im Rahmen eine Ausstellung gezeigt. Der kupfervergoldete Stiftsbecher aus der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts, der – für die damalige Zeit außergewöhnlich – mit Medaillons bebildert ist und dreieinhalb Kilo wiegt, wurde bisher nur ein einziges Mal ausgeliehen, und zwar an Papst Johannes Paul II. anlässlich einer Messe in Salzburg. Darüber hinaus sind die Vorder- und Rückseite des Lorscher Evangeliars, die normalerweise weit voneinander getrennt sind – die eine im Victoria and Albert Museum in London, die andere in den Vatikanischen Museen – hier wieder zusammengeführt. Das “bebilderte Evangelium, mit Gold geschrieben, mit Elfenbeintafeln”, um 810 in der Aachener Hofschule entstanden und 860 erstmals erwähnt, befand sich bis 1556 im Kloster Lorsch, bevor es während des 30-jährigen Krieges in alle Himmelsrichtungen zerstreut wurde und erst Jahrhunderte später wieder auftauchte. “Karls Kunst”, der Titel dieses Teils der Ausstellung, ist in einem weitgefassten Sinne zu verstehen, denn die Vielfalt der machtbedeutenden Artefakte und ihrer Verwendungen übertrifft bei weitem das, was wir heute unter “Kunst” verstehen. Kurator Peter van den Brink sieht in Karl dem Grossen “einen hoch anspruchsvollen Impulsgeber für Kunst und Kultur” und will mit der Schau im Centre Charlemagne dazu anregen, danach zu fragen, was von “Karls Kunst” übrig geblieben und auf welchen Wegen sie überliefert ist, was die Werke aber auch mit der Wirkung des grossen Kaisers zu tun haben. Dabei stehen die Handschriften, darunter auch das prachtvolle Evangeliar von Soissons, das den Ehrentitel “style Charlemagne” trägt, besonders für Karl als Reformer, der Bücher schätzte und als Instrumente seiner Erneuerungspolitik einsetzte.

Der mächtige Herrscher steht dagegen im Krönungssaal des Rathauses, also auf dem Boden von Karls ehemaliger Pfalz, im Mittelpunkt. In zehn Stationen zeigt die kulturhistorische Ausstellung “Orte der Macht” die eindrucksvolle Entwicklung vom mobilen fränkischen Reisekönigtum zum repräsentativen Herrschaftssitz an einem festen Ort. Sie geht der Frage nach, wie sich Macht im frühen Mittelalter darstellte und gestaltete, und begleitet den grossen Kaiser auf dem Weg durch sein Reich. Nicht zuletzt durch intelligent eingesetzte Computeranimationen und eine hochmoderne Museumspädagogik (spektakulär: der berühmte Karlsschrein gleich als 3 D-Videoinstallation am Eingang) wird anschaulich, wie Karl seine Herrschaft zunächst noch im Umherziehen ausübte und sich ihm dabei – auf den Strassen der Römerzeit, auf Flüssen und Pfaden – sein Reich erschloss, in dem er nach und nach seine Autorität durchsetzte und Recht sprach. Karl war – wie seine Vorgänger und Nachfolger – ständig auf Achse, regierte aus dem Sattel und herrschte mit dem Schwert; Krieg war für ihn ein ganz legitimes Mittel der Politik. Er konnte aber auch, wie Kurator Frank Pohle erläutert, auf ein dichtes Netzwerk von Königsbesitzungen, die Pfalzen und Königsgüter, zurückgreifen, die ihm bevorzugt Aufenthalt boten, allerdings auch weit von dem entfernt waren, was Herrschern der Spätantike an architektonischer Pracht zur Verfügung gestanden hatte. Diese “Orte der Macht” sind für den Museumsbesucher bisher wohl noch nie so anschaulich greifbar geworden wie jetzt in Aachen.

Mit den gestiegenen Ansprüchen an sich selbst und seine Herrschaft wagte Karl sich letztlich an sein grösstes Pfalz-Projekt heran, die mächtige Palastanlage in Aachen, das zu seiner Zeit grösste Bauwerk nördlich der Alpen. In seinen beiden letzten Lebensjahrzehnten war Aachen der unumstrittene Aufenthaltsort des Herrschers, den er nur noch selten verliess, auch wenn er die Pfalz vielleicht nie fertiggestellt gesehen hat. Die Ausstellung demonstriert aber auch, wie die Gestalt des Herrschers nach seinem Tod schon bald mythisch überhöht und zur “dienstbaren Leiche” wurde, die in verschiedenen Epochen ganz unterschiedlich interpretiert und instrumentalisiert werden konnte. Die Fresken des Malers Alfred Rethel an den Wänden des Krönungssaals, die auf sehr originelle Weise zum Sprechen gebracht werden und Schlüsselereignisse aus dem Leben des Kaisers zeigen, sind selbst das beste Beispiel für die nachträgliche Mythisierung. Die bemerkenswerte Schau am historischen Ort der Königskrönungen, die insgesamt 320 Exponate vereinigt, richtet am Schluss aber auch den Blick weit über die Karolingerzeit hinaus in die Gegenwart und fragt die Besucher, wo heute Orte der Macht sein könnten – eine Einladung zum spielerischen Umgang mit einem ernsten Thema.

In die Aachener Domschatzkammer sind im Rahmen des dritten Teils der Ausstellung unter dem Titel “Verlorene Schätze” 60 Objekte zurückgekehrt, die im Laufe der Jahrhunderte von dort verschwunden oder verkauft worden waren. Kurator Georg Minkenberg hat erhebliche Detektivarbeit geleistet und sie auf die Dauerausstellung der Domschatzkammer, die einen der grössten und bedeutendsten Kirchenschätze Europas beherbergt, verteilt. So ist zum Beispiel das Grabtuch Kaiser Karls, eine kostbare byzantinische Seidenarbeit, die 1850 in der Mitte zerschnitten und zur Hälfte an den Louvre verkauft wurde, zurückgekehrt und hängt über dem Proserpinasarg aus dem späten zweiten Jahrhundert. Auch ein Stück eines der vielen Königsmäntel, die bei den 30 Krönungen in Aachen benutzt wurden, ist wieder aufgetaucht, umgearbeitet zu einem Messgewand; viele andere der wertvollen Mäntel wurden offenbar zerschnitten und von einem gewissen Kanonikus Bock im 19. Jahrhundert in ganz Europa verkauft. Ein kostbares Reliquiar dagegen, ein im 11. Jahrhundert entstandenes Elfenbeinkästchen, wurde an Napoleons Gattin Josephine verschenkt, die es weitervererbte – bis es im 20. Jahrhundert von dem Aachener Sammler Peter Ludwig erworben wurde, der es dem Kölner Schnütgen-Museum (nicht der Aachener Domschatzkammer) zur Aufbewahrung übergab. Nicht entgehen lassen sollte der Besucher sich aber auch die beiden Emailplatten vom Armreliquiar Karls des Grossen, das zu seiner Heiligsprechung 1165 von Kaiser Friedrich Barbarossa gestiftet wurde.

Die drei Ausstellungen “Karl der Grosse – Macht Kunst Schätze” an drei verschiedenen Orten in Aachen sind bis zum 21. September 2014 zu sehen. Sie sind sonntags bis mittwochs von 10 bis 18 und donnerstags bis samstags von 10 bis 21 Uhr geöffnet. Nähere Auskünfte beim Ausstellungsbüro. Mozartstrasse 2–10, 52058 Aachen, Tel. 02 41/ 4 32 49 02, E-Mail: info@karldergrosse2014.de

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