Geschäftigkeit und Ausgangssperre
Während in Bethlehem die Vorfreude gross ist, wissen Jerusalems Christen noch immer nicht, ob sie den Papst überhaupt werden sehen können.
Die Tagespost, 23. Mai 2014, Von Oliver Maksan
Bethlehem
Es ist unübersehbar: Der Papst kommt. An allen Ecken und Enden der Stadt grüsst, segnet und winkt Papst Franziskus von haushohen Plakaten herab. Meist steht Palästinenserpräsident Abbas neben ihm – zum Unmut derer, die keine Parteigänger der Fatah sind. Die Stadt ist geschäftig. Schwere Kabeltrommeln werden über den Krippenplatz geschleppt. Laut dröhnen Hammerschläge. Krachend wächst aus Gerüstteilen die Bühne, auf der Franziskus am Sonntagmorgen vor zehntausend Gläubigen die Messe feiern wird.
“Wir freuen uns sehr auf den Heiligen Vater”, sagt Issa Giacaman, Katholik und Souvenirverkäufer nahe der Milchgrotte. Er wird zusammen mit vier anderen christlichen Familien mit dem Papst zu Mittag essen. Die freudige Erwartung ist in Bethlehem überall zu spüren. Auch vor dem Präsidentenpalast in Bethlehem, wo der Papst vor der Messe von Präsident Abbas empfangen werden wird, wird am Donnerstag noch kräftig gearbeitet, werden vatikanische und palästinensische Fahnen auf die Masten gezogen und der Kunstrasen in Form gebracht.
Die Protokollchefin erklärt den Ablauf des Begrüssungszeremoniells: Hymnen, Fahnengruss, Ehrengarde, das ganze Programm. Immer wieder ruft sie demjenigen, der es vergessen haben sollte, in Erinnerung, dass der Papst schliesslich den souveränen Staat Palästina besuche. Am deutlichsten sehen Palästinas Offizielle das dadurch ausgedrückt, dass der Papst wohl auf eigenen Wunsch aus Jordanien ohne israelische Umwege nach Bethlehem kommt. Ein Novum, das in israelischen Regierungskreisen nicht gerade für Begeisterung gesorgt hat.
Im Phoenix-Center, einem Gemeindehaus im Flüchtlingslager Deheischeh, zeigen sie den Journalisten die Fotoausstellung, die der Papst am Sonntagnachmittag bei seiner Begegnung mit Flüchtlingskindern zu Gesicht bekommen wird. Mannshohe Bilder, die schwarz-weisse Aufnahmen des Flüchtlingselends nach 1948 mit farbigen Aufnahmen palästinensischer Leiden heute verblenden. “Die Nakba, die nationale Katastrophe der Palästinenser durch die israelische Staatsgründung 1948, geht weiter. Das wollen wir dem Papst und der Welt durch diese Bilder sagen”, meint Jack Persekian, der die Ausstellung entworfen hat. Die Begegnungen im Flüchtlingslager werden der letzte Programmpunkt sein, ehe Franziskus Bethlehem mit dem Hubschrauber in Richtung Tel Aviv verlassen wird. Dort und nicht im nur zehn Kilometer entfernten Jerusalem wird der Papst offiziell in Israel einreisen.
Die Mauern weiss getüncht, rostige Gitter neu gestrichen
Während der Papst im Hubschrauber nach Tel Aviv fliegt, um nach Hymnen und Fahnengruss denselben Weg zurück nach Jerusalem zu fliegen, können Pilger den direkten Weg durch die Mauer nehmen, um dorthin zu gelangen. Der israelische Checkpoint, den sie dabei passieren müssen, wird seit Tagen auf Vordermann gebracht. Graue Mauern werden weiss getüncht, rostige Gitter neu gestrichen. Sogar Blumen wurden gepflanzt, um den Pilgern einen freundlicheren Anblick angesichts der Tristesse zu bieten.
In Jerusalem ist die Stimmung derweil eine andere als in Bethlehem. Die Willkommensfahnen, die die Behörden vor ein paar Tagen auf englisch und hebräisch an Laternenmasten aufgehängt haben, ändern daran nichts. Weder der Papstbesuch noch die zahlenmässig überschaubaren Proteste jüdischer Aktivisten dagegen bringen Jerusalems 800 000 Einwohner um den Schlaf. Unter den Christen der Stadt ist die Stimmung sogar schlecht. Noch immer versteht man hier nicht, warum Franziskus anders als Benedikt XVI. keine öffentliche Messe feiert. “In Bethlehem haben nur zehntausend Leute Platz”, meint Issa Arabiyat, ein Katholik aus der Altstadt. “Da kann unmöglich jeder Katholik eine Karte bekommen. Viele sind leer ausgegangen und enttäuscht.” Tatsächlich wurden die Eintrittskarten für Bethlehem den Pfarreien, Orden und Gemeinschaften nach einer Quote zugeteilt. Nicht jeder Wunsch konnte erfüllt werden. “Wir werden hier nur das Verkehrschaos mitbekommen infolge der gesperrten Strassen für den Papstkonvoi. Sehen wird ihn aber keiner”, meint Issa verärgert.
Ganz unrecht hat er damit nicht: Denn am Sonntagabend wird der Papst in der Grabeskirche mit dem Ökumenischen Patriarchen zusammentreffen – der Höhepunkt der Reise. 260 geladene Gäste werden anwesend sein – und niemand sonst. Den Montag verbringt Franziskus dann damit, einen protokollarischen Marathon zu absolvieren. Auf den Tempelberg, an die Klagemauer und nach Yad Vashem werden ihm nur ein paar Offizielle und Journalisten folgen, zum Höflichkeitsbesuch bei den Chefrabbinern und Staatspräsident Peres sowieso. Und Premier Netanjahu wird gleich in Privataudienz empfangen. Und die einzige Messfeier des Papstes in Jerusalem findet unter Ausschluss der Öffentlichkeit im Abendmahlssaal statt.
Für besondere Verstimmung sorgen unter Jerusalems Christen aber die israelischen Sicherheitsmassnahmen. Israel hat über weite Teile der Altstadt quasi eine Ausgangssperre verhängt. Dagegen hat sich in den letzten Wochen Widerstand unter den Christen geregt. In einem Brief wandten sie sich an die Spitzen der katholischen Kirche im Heiligen Land: Nuntius, Patriarch und Kustos. Yusef Daher war an der Aktion beteiligt. Der melkitische Katholik ist nicht ohne Hoffnung. “Die Kirchenführer haben unseren Protest an die israelischen Behörden weitergegeben. Wie wir jetzt hören, könnten wir vielleicht Erfolg damit gehabt haben. Es sieht so aus, als ob doch ein paar Menschen am Strassenrand stehen werden können. Aber das ist noch nicht sicher. Und auch sie müssen viele Stunden vorher da sein, ehe der Papst vorbeikommt.” Für erhöhten Blutdruck sorgte in israelischen Sicherheitskreisen die Weigerung des Papstes, ein gepanzertes Fahrzeug zu benutzen. Die ohnehin massiven Sicherheitsvorkehrungen für Staatsbesuche in Israel wurden nun auf die Spitze getrieben. “Es wird fast niemand von ausserhalb nach Jerusalem kommen. Die Berichte, dass die Altstadt quasi zur Geisterstadt wird, haben die Christen abgeschreckt. Ich habe aber kein Verständnis für diese Massnahmen. Man kann die Christen nicht davon abhalten, den Papst zu begrüssen. Und vor allem dann nicht, wenn in der Grabeskirche für die Einheit der Christen gebetet wird, vor der Kirche aber keine Christen anwesend sein dürfen. Das ist widersinnig. Aber wir werden sehen, was am Sonntag passiert.”
Auch Fra Placido Hobaert bekommt die Sicherheitsvorkehrungen täglich mit. Der alte Franziskanerpater lebt im Konvent der Minderbrüder in Gethsemani. “Seit Tagen laufen sie immer wieder den Weg ab, den der Heilige Vater hier am Montag Nachmittag nehmen wird.” Dann wird Franziskus Priestern, Seminaristen und Ordensleuten begegnen. “Die Israelis wollten sogar die Erde im Garten Gethsemani umgraben”, meint er stirnrunzelnd, “weil sie dachten, da könnte eine Bombe vergraben sein. Das haben wir nicht erlaubt. Jetzt benutzen sie einen Metalldetektor.”
Pater David Neuhaus, der den Besuch mit vorbereitet, ist derweil ganz entspannt. Den Unmut unter den Christen kann er verstehen. “Im Moment sind alle unzufrieden, ohne Ausnahme. Allerdings bin ich sicher – und das sage ich mit der Erfahrung der anderen Papstreisen in der Vergangenheit –, dass hinterher doch alle zufrieden sein werden.”
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