“Steh auf, hab keine Angst”

Zu irdischen Lebzeiten zwang Johannes Paul II. den Kommunismus in die Knie

– In der Gemeinschaft der Heiligen fallen ihm Wunder noch leichter.

Die  Tagespost, 9. April 2014
Von Stefan Meetschen

De Seligsprechung Johannes Pauls II. veränderte ihr Leben: Floribeth Mora Diaz.
Foto: IN

Jeder reife Christ weiss: Heiligkeit ist zwar erstrebenswert, allen verheissen und möglich, aber trotz viel Gebet, regelmässigem Kirchgang und Sakramentenempfang gar nicht so leicht zu bewerkstelligen. Der alte Adam – oder die alte Eva – meldet sich bei jedem gern zu Wort und pocht auf Unrecht. Manchmal mit Erfolg.

Mindestens ebenso schwierig aber ist es, heiliggesprochen zu werden. Zunächst muss eine Diözese oder ein Orden im Vatikan darum bitten, das Seligsprechungsverfahren zu eröffnen. Gibt der grünes Licht, tritt der sogenannte Postulator auf den Plan und sammelt und bewertet in einem gründlichen Verfahren alles, was ihm zur jeweiligen Person in die Hände kommt. Der Mensch wird durchleuchtet – mit jedem Punkt und Komma. Die Ergebnisse, zusammengefasst als Gutachten, prüft dann die Kongregation für die Selig- und Heiligsprechungsprozesse. Stimmt sie zu, wird das Verfahren vom Papst besiegelt. Immer vorausgesetzt, dass der zukünftige Heilige mindestens zwei Wunder gewirkt hat – eins vor der Seligsprechung, eins vor der Heiligsprechung.

Und Wunder heisst in diesem Fall wirklich Wunder, also ein übernatürlicher, zumeist auf der medizinischen Ebene geschehender Eingriff, keine Heilung von Schnupfen oder einer sieben Tage dauernden Erkältung. “Die Kirche muss definitiv festgestellt haben, dass es nach der Anrufung einer Person, die im Ruf der Heiligkeit steht, eine Machttat Gottes gegeben hat, für die sich keine wissenschaftliche Erklärung findet“, wie der Postulator im Seligsprechungsprozess von Johannes Paul II., S³awomir Oder, es vor einiger Zeit gegenüber dem “Spiegel” ausgedrückt hat. Beim Hamburger Nachrichten-Magazin hatte man sich Sorgen gemacht, dass das zweite Wunder des polnischen Papstes (das erste ereignete sich bekanntermassen bei der Heilung der französischen Nonne Marie Simon-Pierre von der Parkinson-Krankheit) nicht ganz astrein sein könnte. Doch zu Zweifeln besteht kein Anlass.

Im Gegenteil: Nicht nur die Theologen des Vatikans haben das zweite Wunder geprüft, auch ein Kreis von medizinischen Autoritäten, die “nicht unbedingt der Kirche nahestehen”, wie Postulator Oder unterstreicht. Diese vom Vatikan unabhängigen Sachverständigen sehen es als erwiesen an, dass die Costa Ricanerin Floribeth Mora Diaz aufgrund der Fürsprache von Johannes Paul II. von einer gefährlichen Gefässerweiterung im Gehirn, einem sogenannten Aneurysma, geheilt worden ist.

Im April 2011 war die mehrfache Mutter und Grossmutter mit starken Kopfschmerzen und gefühllosem linken Bein in ein Krankenhaus von San Jose, der Hauptstadt Costa Ricas, gekommen. Der sie dort behandelnde Arzt, der Neurologe Alejandro Vargas Roman, war aufgrund der fehlenden technologischen Ausrüstung des Krankenhauses nicht willens, das Aneurysma operativ abzuklemmen. Das Risiko, dass die Patientin dabei ins Koma hätte fallen oder für immer gelähmt werden können, stufte er als zu hoch ein. Roman verschrieb Diaz stattdessen blutdrucksenkende Mittel. Ein kleiner Trost für die tiefgläubige Frau in den 50ern, die mit ihrem Mann seit vielen Jahren in Cartago nahe der Hauptstadt lebt. Für eine Luxus-Operation in Mexiko, USA oder Europa fehlte der Familie das Geld.

Doch offenbar hat Johannes Paul II., so wie seine beiden Nachfolger auf dem Stuhl Petri, ein Herz für die Armen und Normalgebliebenen. Floribeth Mora Diaz verfolgte am Tag der Seligsprechung, dem 1. Mai 2011, die Zeremonie im Vatikan via Fernsehen. Über dem Fernseher hatte Diaz ein Schwarzweiss-Foto des segnenden polnischen Papstes befestigt, ein Titelblatt der Zeitung “La Nación“. Aufgrund der Zeitverschiebung zu Europa verfolgte Diaz die Übertragung mitten in der Nacht. Dann geschah, wie Diaz es dem italienischen Magazin “Credere” berichtet hat, folgendes: “Zu Beginn der Messe wandte ich mich, den Blick auf das Papstbild fixiert, an ihn: ‘Tritt bei Gott für mich ein, damit ich nicht sterben muss und hilf mir, gesund zu werden‘.“ Sie blieb während der ganzen Messe wach, dann schlief sie ein. Nach ungefähr sieben Stunden Schlaf hörte sie beim Erwachen die Stimme von Johannes Paul II. in ihrer Sprache. “Steh auf, hab keine Angst.” Worte, man ahnt es beim Mauerbrecher Johannes Paul, mit grosser Wirkung. Denn Floribeth Mora Diaz fühlte sich daraufhin sofort gesund und stand auf – zur Überraschung ihres Mannes. Ohne Kopfschmerzen und sonstige körperliche Beschwerden liess sich Diaz bald darauf noch einmal von Alejandro Vargas Roman gründlich durchchecken. Dabei machte dieser, wie er es auch dem Vatikan gegenüber angab, eine erstaunliche Entdeckung: “Als ich die Scans sah, dachte ich erst, es sei die falsche CD. Ich konnte keinerlei Spuren eines Aneurysmas sehen. Es sah aus wie eine ganz normale Arterie. Auch nach der Katheter-Untersuchung. Mein Eindruck war: Hier ist etwas passiert.“ Eine medizinisch unerklärliche Heilung.

Man kann sich leicht die Freude und Dankbarkeit von Diaz vorstellen, deren Familie bei Nachbarn als “traditionell katholisch“ und “moralisch anständig“ gilt. Ihre persönliche Reife und die Authentizität ihrer Erfahrung dokumentierte die stets sportlich-adrett gekleidete Frau dadurch, dass sie sich nicht an das nächstbeste Fernseh-Team wandte, um mit ihrer spektakulären Geschichte medial hausieren zu gehen, sondern bescheiden die Kirche “Nuestra Senora de Ujarras“ in Cartago aufsuchte, wo sich eine Blutreliquie des polnischen Papstes befindet, ihres Helfers in der Not. Erst auf Initiative des dortigen Pfarrers Donald Solano und eines mit ihm befreundeten polnischen Geistlichen teilte sie via eMail ihre Erfahrung dem Vatikan mit. S³awomir Oder nahm mit Pfarrer Solano Kontakt auf, der eine erneute medizinische Untersuchung von Floribeth Mora Diaz in einer Privatklinik einleitete. Die Scans, welche die Untersuchung von Alejandro Vargas Roman bestätigten, wurden nach Rom geschickt. Bald darauf liess der Vatikan Diaz nach Rom einfliegen. In der Gemelli-Klinik wurde sie – niemand soll aus purer Polemik sagen, der Vatikan mache es sich bei Wundern im Allgemeinen und Heilungswundern im besonderen zu einfach – noch einmal überprüft. Das Ergebnis auch hier: Kein Aneurysma, nirgends. Schliesslich befand auch der medizinischen Expertenrat, dass es für den Krankheitsverlauf der Floribeth Mora Diaz keine wissenschaftliche Erklärung gebe. Damit war der Weg frei für Papst Franziskus, seinen polnischen Vorvorgänger heiligzusprechen. Er tut das unter Anwesenheit von Floribeth Mora Diaz, wie Costa Ricanische Medien berichten.

Doch ist damit wirklich schon alles hinsichtlich des übernatürlichen Wirkens von Johannes Paul II. gesagt? Kann man bei diesem Papst der Superlative bei zwei Wundern schon sagen, dass dies alles war? Vermutlich nicht. Denn sowohl S³awomir Oder wie auch der frühere Sekretär des Papstes, der jetzige Metropolit von Krakau, Stanis³aw Kardinal Dziwisz, deuten seit längerer Zeit an, dass es noch weitere Wunder und übernatürliche Zeichen von Johannes Paul II. gibt, wobei sich einige sogar schon zu Lebzeiten ereignet haben sollen. So erwähnt Oder in seinem Buch “Darum ist er heilig” beispielsweise das Phänomen, dass sich für einzelne Audienz-Besucher manchmal das Gesicht von Pater Pio vor das von Johannes Paul II. geschoben haben soll – mit dessen Wissen. “Ich sehe es auch“. Derartige Zeichen und Gnadenerweise würden sich mit dem decken, was der deutsche Vatikankorrespondent und Wojty³a-Biograph Andreas Englisch im Buch “Der Wunderpapst“ vor drei Jahren publik machte, nämlich eine Reihe mutmasslicher Wunder von Johannes Paul II. in Mexiko, in der Karibik und sogar bei Messen und Audienzen in Rom. Lebensbedrohlich erkrankte Priester, Laien und Kinder soll laut Englisch der Segen und das Gebet des Papstes schon zu seinen Lebzeiten geheilt haben. Wobei Johannes Paul II. Wert darauf legte, dass diese Ereignisse diskret behandelt wurden.

Wer also trotz der Glaubwürdigkeit von Floribeth Mora Diaz und all der ihren Fall prüfenden Personen immer noch Zweifel hat, für den stehen ausreichend Reservewunder bereit. Weitere zukünftige Ergänzungen nicht ausgeschlossen.

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