Rom fehlt die gute, alte Tradition des Karnevals
Rom war einst eine Hochburg des Karnevals
Quelle
Leo XIII. und der Karneval
Rom war einst eine Hochburg des Karnevals. Die Piemontesen haben damit Schluss gemacht. Heiliger Ernst bestimmt die Geschicke der Ewigen Stadt, auch im Vatikan. Wobei doch jeder weiss, dass das Leben etwas schräger ist, als es vorgibt zu sein.
Die Tagespost, 3. März 2014, von Guido Horst
Etwas Karneval täte dem Vatikan ganz gut. Zur “italienischen Krankheit”, die manche der in den Iden des März des vergangenen Jahres zum Vorkonklave und zur Papstwahl angereisten Kardinäle der römischen Kurie bescheinigten, gehört ja auch, dass man immer so tut, als sei alles so, wie es zu sein scheint.
Karneval dagegen setzt vielen eine Maske auf, um ihnen die Maske, die sie im normalen Leben tragen, für einige tolle Tage vom Gesicht zu reissen. Im Fasching verkleidet man sich, und mancher tut das, um zumindest ganz kurz aufblitzen zu lassen, wie er in Wirklichkeit gerne wär.
Die “italienische Krankheit” kennt solche (Selbst-) Offenbarungen nicht. Das beginnt schon mit der Grundlüge, an der die Spitzenrepräsentanten der politischen Kaste dieses Landes festhalten wie die katholische Kirche an ihren Dogmen: Dass es einen italienischen Nationalstaat gibt, dem das “italienische Volk” in treuer Ergebenheit (und Steuern zahlend) loyal verbunden ist. Hahaha. Wer einst, aber da bewegt man sich schon wieder im zwanzigsten Jahrhundert, dem ganzen Staatsgetue im Stiefelstaat einen ziemlichen Knacks gegeben hat, war der – Gott hab ihn selig – ehemalige Staatspräsident Francesco Cossiga, der mit seinen berüchtigten “esternazioni” (Äusserungen) Anfang der neunziger Jahre für so viel Verwirrung sorgte, dass er Jahre später die vorsichtige Journalisten-Frage, ob er denn eigentlich verrückt gewesen sei, nicht ganz von der Hand weisen konnte. Doch Cossiga blieb die Ausnahme.
Ob es der Möchte-Gern-Staatsmann Silvio Berlusconi war, der den Karneval (Bunga Bunga) das ganze Jahr über, aber dann doch lieber im Verborgenen feierte, ob es die italienischen Parteien sind, die sich wie die Vixierbilder eines Kaleidoskops laufend neue Namen und Bündnispartner suchen, oder die staatstragenden Organe wie Justiz und öffentliche Verwaltung oder Nationalunternehmen wie Fernsehen und Eisenbahn, die eher durch toll klingende Titel als durch Effizienz glänzen – sie alle sind ganz grossartig, wenn es darum geht, “bella figura” zu machen, eine gute Figur abzugeben. Die wirkliche Kompetenz aber liegt in Italien bei den einfachen Menschen: in den kleinen und mittleren Unternehmen, bei den Ärzten und Handwerkern, den Müttern als den Seelen der italienischen Haushalte, den völlig unbekannten Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern, die weit draussen in der Provinz mit wenig Geld und viel gesundem Menschenverstand ihre Kommunen über Wasser zu halten versuchen. Während “die da oben” oft den Eindruck vermitteln, als bildeten sie einen Marionetten-Staat, dem aber kein Fasching und kein Karneval hin und wieder den Spiegel der Wahrheit vorhalten darf.
Als die vor genau einem Jahr in Rom versammelten Kardinäle dem Vatikan ein Stück weit die “italienische Krankheit” attestierten, meinten sie – wie ein gewisser Argentinier namens Jorge Mario Bergoglio – vielleicht auch den “mondänen Geist”, der in die römische Kurie eingezogen war, ein weltliches Denken, das sich mancher Prälaten bemächtigt hatte, wie jenes Wirtschaftsprüfers in der Güterverwaltung des Heiligen Stuhls, den die italienische Staatsanwaltschaft im vergangenen Sommer trotz seiner priesterlichen Würde in Haft nahm, bevor sie sein mit Prunk und Protz überladenes Privatdomizil in Salerno unter die Lupe nahm, das sich dann auch noch als Liebesnest herausstellte, das er mit einem römischen Priesterkollegen teilte. “Don Cinquecento” war der Spitzname jenes Prälaten, weil er stets mit einem Bündel von Fünfhundert-Euronoten bewaffnet aufzutreten pflegte.
Auch von einem “Don Bancomat” wusste der römische Boulevard zu berichten – zur Erklärung: “Bancomat” ist das italienische Wort für Geldautomat. Oder von jenem Vatikanprälaten, der auf dem Schwulenstrich der Stadt – seit der Zeit der Cäsaren befindet der sich direkt hinter dem Kapitol – in eine Polizeikontrolle geriet, in Panik mit seinem Auto flüchtete und gleich mehrere parkende Wagen ordentlich verbeulte. Solche Geschichten klingen dann unfreiwillig komisch, während der Karneval doch darin besteht, freiwillig komisch zu sein. Das waren die Römer früher ausgiebigst, der römische Fasching war legendär, der abschliessende Volkslauf über den Corso von der Piazza del Popolo bis zur (heutigen) Piazza Venezia mit dem Ausblasen der “moccoli”, den kleinen Karnevals-Kerzen, hat schon den guten alten Goethe begeistert, aber nicht nur ihn.
Das Spektakel am Abend des Faschingsdienstags hat ein junger Westfale namens Klemens August Eickholt in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts so beschrieben: “Die Schatten des Abends senken sich nieder, die Dunkelheit beginnt. Sieh, da flammt es auf über den Korso, Tausende von kleinen Wachskerzen, ‘moccoli’ genannt, sind angezündet. Nun beginnt von der Piazza del Popolo aus ein Wettlauf. Jeder ist bestrebt, sein ‘moccolo’ brennend bis zum Palazzo di Venezia zu bringen, dabei ‘Moccoli! Moccoli!’ summend. Man meint, einen Bienenschwarm zu hören. Doch gar mancher muss das Rennen aufgeben. Hier macht ein Luftzug, dort ein neidischer Nachbar dem Leben des ‘moccolo’ ein Ende. Im Getümmel fällt einer, und über ihn eine Reihe ‘Moccoli’-Träger. Mit erloschenen ‘moccoli‘ richten sie sich seufzend auf, dabei den Verursacher ihres Falles mit einigen kernigen Verwünschungen bedenkend. Tausend Scherzworte, fröhliche ‘Ritornelli’, begeisterte Jauchzer durchzittern die Lüfte.
Nirgends eine Ungeheurigkeit, ein kundlich frisch-fröhlisches Treiben überall. Ein tiefer Glockenton erschallt, die grosse Glocke des Kapitols kündet des Festes Ende. Still und friedlich zieht die Menge zu den heimischen Penaten. Das war römischer Karneval der guten alten Zeit.” Die gute alte Zeit, sie ist dahin. Es waren die Piemontesen, die nach der Eroberung Roms mit dem römischen Fasching so gründlich aufräumten, dass er bis heute ausgerottet ist. Der ein oder andere Versuch, die verlorene Tradition wiederzubeleben – in diesem Jahr etwa gab es am Sonntag auf der Piazza San Silvestro einen Kostümumzug für Kinder –, ist punktuelle Folklore, aber keine Rückkehr der von den Römern früher so sehr gepflegten närrischen Zeit.
Vor dem Untergang des Kirchenstaats wusste man noch, was man geleistet hatte, bevor man sich am Aschermittwoch in den Kirchen das Aschenkreuz holte. Was übrigens im siebzehnten Jahrhundert einen Gesandten des Osmanischen Reiches, der den Fasching in Rom miterlebt hatte, an seinen Herrscher Süleyman II. in Konstantinopel schreiben liess, dass die Christen zu einer bestimmten Zeit des Jahres verrückt würden, aber durch die Heilkraft einer gewissen Art von Asche, die man ihnen in den Kirchen auf den Kopf streue, wieder gesundeten.
So ist vom Karneval der guten, alten Zeit nur geblieben, hier und dort die Kinder zu verkleiden. Und sie bei der letzten Generalaudienz des Papstes in der Faschingszeit dem Heiligen Vater in Kostümen zu zeigen. Und Papst Franziskus wäre nicht der, der er ist, wenn er sich so einen kleinen zweiten Papst nicht zur Brust nehmen würde. Und das war’s auch schon.
Wie gesagt: Etwas mehr Karneval täte dem Vatikan ganz gut.
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