Unter Beobachtung ist niemand frei

Noam Chomsky Vorläufer der Verteidiger der Demokratie im digitalen Zeitalter

Der Linguist Noam Chomsky ist mit seiner Medienkritik Vorläufer der Verteidiger der Demokratie im digitalen Zeitalter 

Quelle 

– Jetzt wurde er 80 Jahre alt. Von Alexander Riebel

Die Tagespost, 11. Dezember 2013

Jetzt protestieren auch die Schriftsteller.

In den vergangenen Tagen hatten noch Google, Apple und Microsoft erklärt, dass die Spionage durch den Geheimdienst NSA die Freiheit jedes Einzelnen unterminieren. Dem haben sich nun 560 Schriftsteller aus 83 Ländern angeschlossen und fordern eine Konvention der digitalen Rechte. Denn eine der tragenden Säulen der Demokratie sei die Unverletzlichkeit des Individuums, heisst es in dem Appell, der am Dienstag in mehr als 30 Zeitungen erschienen ist:

“Ein Mensch unter Beobachtung ist niemals frei; und eine Gesellschaft unter ständiger Beobachtung ist keine Demokratie mehr. Deshalb müssen unsere demokratischen Grundrechte in der virtuellen Welt ebenso durchgesetzt werden wie in der realen.”

Unter den Unterzeichnern sind die fünf Literaturnobelpreisträger Günter Grass, Elfriede Jelinek, J.M. Coetzee, Tomas Tranströmer und Orhan Pamuk vertreten. Daneben auch namhafte Autoren wie Umberto Eco, Don DeLillo, Daniel Kehlmann, Henning Mankell, Richard Ford, David Grossman, Paul Auster oder T.C. Boyle, die alle die breite Öffentlichkeit erreichen wollen, nicht aber direkt Institutionen ansprechen möchten – auch “Schuldige“ werden nicht benannt. Dennoch hat die “Washington Post” das Papier als “sehr provokant“ bezeichnet, wie die Mitinitiatorin Julia Zeh gegenüber der “Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ berichtet hatte. Gibt es da eine Komplizenschaft zwischen Medien und Macht?

Mit diesem Thema “Medien, Macht und Kontrolle” hat sich Noam Chomsky, emeritierte Professor für Linguistik am Massachusetts Institute of Technology (MIT), über Jahrzehnte beschäftigt. Er gilt als einer der bekanntesten amerikanischen Sprachwissenschaftler, der seine Theorie auch mit Informatik und Philosophie verbunden hat. In der neu aufgelegten DVD “Die Konsensfabrik” wird der frühere amerikanische General Colin Powell mit den Worten zitiert: “Durch die Medien hat die Öffentlichkeit Kontrolle über die politische Entwicklung.” Das aber hat der 1928 geborene Chomsky immer bestritten. Und die heutige digitale Spionage scheint ihm Recht zu geben in einer Welt, die sich noch von der der sechziger und siebziger Jahre unterscheidet, in der der Linguist auch politisch aktiv wurde. Damals protestierte er gegen den Vietnam-Krieg. Chomsky ist bis heute einer der entschiedensten Kritiker der amerikanischen Aussenpolitik. Das ist er vor dem Hintergrund, weil er einen Zusammenhang zwischen Propaganda und Demokratie behauptet. Propaganda gehöre zur Demokratie, und so würden in den Medien nie wirklich Vorschläge zur Abrüstung gemacht, und die Bevölkerung werde ständig zu Zuschüssen für staatliche Ausgaben überredet – in den vergangenen Jahrzehnten sei es besonders für die Militärtechnik gewesen.

Noam Chomsky ist der Vorläufer heutiger Proteste gegen die Überwachung im Internet. Was Chomsky damals noch als subtil analysierte und dabei auf Zeitungen und Fernsehen beschränkt war, ist heute zur unverhohlenen Kontrolle von Bürgern durch Staaten und deren Geheimdienste geworden, in dem die neuen Medien als Mittel zum Zweck missbraucht werden; Sicherheit gibt es nur mit dem Preis der Kontrolle, hatte der amerikanische Präsident Obama zur Verteidigung der Geheimdienste erklärt. Dem würde auch Chomsky zustimmen. Und darin liegt auch gewissermassen die sokratische Aporie, die Ausweglosigkeit, in der sich die Demokratie in ihrer gegenwärtigen Form befindet, wie Chomsky meint. Eine totalitäres System übe Kontrolle autoritär aus; ein liberales System dagegen müsse andere Wege finden. Denn die Massen würden arrogant werden und sich gegen die Regierung auflehnen können. Das spiele besonders in Amerika eine wesentliche Rolle, weil hier die öffentliche Meinung stark sein soll. Also müsse man die Meinung überwachen. Für Chomsky waren es besonders die 60er Jahre, in denen Radikale arrogant gegenüber der Regierung wurden; also habe deren Bewusstsein kontrolliert werden müssen, durch die Demokratie, die als solche zugleich “Denkkontrolle“ sein müsse.

Chomsky hat seine Medienkritik aber nicht nur anhand empirischer Daten entwickelt, sondern deren Beweggrund sprachwissenschaftlich begründet. Sein linguistischen Theorien sind noch heute von Bedeutung und werden etwa durch den kanadischen Psychologen und Linguisten Steven Pinker weitergeführt. Man spricht heute von der Chomskyschen Revolution. Chomsky hat nämlich eine Universalgrammatik behauptet. Weil ein Baby jede Sprache erlernen könne, sei es nicht auf eine Sprachkultur festgelegt. Die Einzelsprachen seien nur die konkreten Ausformungen der Universalgrammatik, deren wir uns so wenig bewusst seien, wie unserer geistigen Fähigkeiten. Chomsky ging sogar so weit, nicht nur die universale Struktur der Sprache begründen zu wollen, sondern auch die Möglichkeit der Erzeugung einzelner Sprachen über die Turing-Maschine, benannt nach dem Entschlüssler des deutschen Enigma-Codes während des Zweiten Weltkriegs.

Menschen dürfen nicht Teil einer Maschine sein

Aufgrund seiner Sprachtheorie vertritt nun Chomsky die einfache These: Wenn wir alle dieselbe grammatische Grundstruktur haben, muss es auch möglich sein, sich in der Gesellschaft über eine bessere Zukunft für alle Menschen zu verständigen. Der universalen Vernetzung der Sprachen entspricht ja längst die universale Vernetzung der Menschen im Internet. “Die Menschen dürfen nicht mehr gezwungen werden, Teil einer Maschine zu sein“, hatte Chomsky erklärt. Es ist jedoch die Frage, ob sie nicht durch NSA gerade dazu gemacht werden. Für Chomsky liegt die Kontrollmöglichkeit im Wesen des Internet. Immer wieder hat er veröffentlichte Papiere von Geheimdiensten gelesen und ist zu dem Schluss gekommen, dass sich Staaten weniger vor äusseren Feinden schützen wollen, sondern vor den Bürgern. Aber Macht müsse undurchschaubar bleiben. So wird auf der DVD “Die Konsensmaschine“ ein Mitarbeiter der “New York Times“ zitiert, der sagte: “Mit den Medien ist es wie mit dem Herstellen von Würsten: je weniger man darüber weiss, desto besser für den Hunger.“

Die DVD, die zum 80. Geburtstag des Linguisten erschienen ist, bringt eine Fülle von Dokumentationsmaterial, dass Chomskys Medienkritik auch immer wieder anhand seines eigenen Auftretens in den Medien darstellt. Der Dokumentation ist das Zitat von John Milton (1642) vorangestellt: “Die dem Volk die Augen ausgestochen, zeihen es seiner Blindheit.“

Kontrolle und Demokratie sind eng verbunden

Chomskys Standard-Beispiel für Manipulation durch Medien ist die Berichterstattung über Kambodscha und Osttimor in den 70er Jahren. Kambodscha sei ein grosses Thema wegen der kommunistischen Regierung gewesen. Aber Indonesien, das während des Vietnam-Kriegs eng mit den Vereinigten Staaten verbündet war, würde in den Medien kaum zum Thema, obwohl es nach dem Überfall auf Osttimor einen Völkermord begangen hatte. So habe die “New York Times“ über Osttimor nur 1,78 Meter Spaltenlänge berichtet, über Kambodscha hingegen 29,84 Meter. Chomsky geht nicht grundsätzlich von einer Verschwörung von Medien und Politik aus, eher von einer stillen Übereinkunft. Objektive Informationen und Zahlen aus Krisengebieten, das sagt er mehrmals auf der DVD, habe er oft nur von der katholischen Kirche bekommen können. Immer wieder zeigt die Dokumentation, wie Fernseh-Interviews einfach abgebrochen werden, weil man nichts Kritisches gegenüber Staat und Medien senden möchte; oder ein Moderator bittet Chomsky inständig, bei der Vorstellung dessen Person, kein Wort zu sagen: “Bitte schweigen Sie einfach.“ Das amerikanische Fernsehen sieht Chomsky als besonders anfällig für Manipulation an, weil nur kurze Aussagen zwischen den Werbeblocks möglich sind. Provokatives sei da gar nicht möglich, weil sie begründungsbedürftig sei; dafür reiche aber die Zeit nicht aus.

Aus Manipulation durch klassische Medien im Sinne Chomskys ist durch den staatlichen Gebrauch moderner Medien totale Kontrolle geworden. Ist das der einzige Ausweg, der Demokratie möglich ist?

Zum 80. Geburtstag von Chomsky ist die DVD erschienen: Die Konsensfabrik – Noam Chomsky und die Medien. Absolut Medien 2013, 167 Minuten, EUR 13,99

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