Wachet auf, ruft uns die Stimme

“Neubesinnung auf missionarischen Gründungsauftrag”

Die Tagespost, 29. November 2013, von Markus Reder

Mit seinem Apostolischen Schreiben “Evangelii gaudium” ruft Papst Franziskus die gesamte Kirche zur Neubesinnung auf ihren missionarischen Gründungsauftrag auf. Mission: Das galt in deutschen Kirchenkreisen lange als Problemwort, ja als Ausweis theologischer Vorgestrigkeit. Nun ist es mit einem mal wieder ganz oben auf der Themenagenda. Und genau da gehört es hin.

“Evangelii gaudium“ sei geradezu radikal, heisst es jetzt. Da ist was dran. Doch die Radikalität ergibt sich nicht daraus, dass der Heilige Vater etwas völlig Neues gesagt hätte. Er hat vielmehr in Erinnerung gerufen, was im Evangelium steht. Dass sein Schreiben dennoch radikal wirkt, liegt nicht nur am appellativen, leidenschaftlichen Ton des Papstes, der die Dramatik der Situation deutlich macht. Es liegt vor allem daran, dass sich die Erfahrung von Kirche hierzulande bereits weit von eben jener glaubensfrohen, missionarischen Kirche entfernt hat, die Franziskus fordert. Bürokratisch hochgerüstet, verwaltungstechnisch geradezu perfekt, finanziell gut aufgestellt, reich an Gremien, aber arm an Glauben: So sieht die traurige Realität aus. Fast im gleichen Masse, in dem Kirche sich in den letzten Jahrzehnten zum institutionellen Apparat aufblähte, schrumpfte der Glaube. Inzwischen fühlen sich selbst Bischöfe als Gefangene kirchlicher Apparate und überbordender Strukturen.

Von Paul Zulehner stammt der bemerkenswerte Satz, es sei für ihn durchaus vorstellbar, dass das Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz Jahrzehnte überlebt, ohne einen Katholiken im Land. Deutlicher kann man die Diskrepanz zwischen Kirche als Verwaltungsinstitution und Kirche als Sendungsgemeinschaft kaum benennen. An dieser Stelle legt der Papst den Finger in die Wunde.

Sein Schreiben ist auch eine messerscharfe Kritik an deutschen Verhältnissen. Franziskus kritisiert sämtliche Strukturen und Haltungen, die nicht im Dienst der Evangelisierung stehen, und mahnt eindringlich zu einem Ende kirchlicher Selbstreferenzialität. Freude am Glauben strahlt man aus, sie steckt an. So beginnt Mission. Wo der Glaube nur mehr verwaltet und Kirche bürokratisiert wird, da erstickt die Freude am Evangelium, so der Papst. Nimmt man das ernst, steht die Kirche in Deutschland vor einem gewaltigen Perspektivwechsel.

“Wachet auf, ruft uns die Stimme”, heisst es in einem der eindrucksvollen Adventslieder, die jetzt wieder gesungen werden. “Wacht auf”, ruft unüberhörbar deutlich auch die Stimme des Papstes in Rom. Es wäre billig, sich aus “Evangelii gaudium” ein paar Stellen rauszupicken, um sich selbst bestätigt zu fühlen. Den missionarischen Weckruf dieses Schreibens selbstkritisch auf sich wirken zu lassen, darauf kommt es jetzt an. Nur dann gelingt Erneuerung.

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