Schweigendes Gebet für den Frieden in der Welt
Die Vigilfeier mit Papst Franziskus beeindruckte durch ihre spirituelle Dichte
Ein wahrhaft katholischer Moment: Der Papst bat die Gläubigen um ihr Gebet und Tausende kamen.
Rom, DT, 9. September 2013
Rom ist am vergangenen Samstag nicht nur das Zentrum der katholischen Weltkirche gewesen, sondern auch das Zentrum einer den ganzen Globus umfassenden Bewegung von Menschen “guten Willens”, die sich den Ruf der Päpste: “Nie wieder Krieg!” zu eigen gemacht haben: Katholiken, Christen anderer Konfessionen, Muslime, Juden und Anhänger anderer Religionen.
Es war eine Gebetswache. Ein langer Abend der Meditation, der Anbetung Jesu Christi im Altarsakrament, des Gebets und des Gesangs. Die Ansprache hielt Papst Franziskus. Während sich stimmungsvoll die Dämmerung über den Petersplatz legte und der von Menschen gefüllte Gottesdienstraum zwischen den Kolonnaden vor der gewaltigen Fassade des Petersdoms im Licht der Lampen, Leuchten und Scheinwerfer zu glänzen begann, waren jedoch Stille und Schweigen das vorherrschende Element. Die Anwesenden beteten wirklich. Mit Blick auf den Papst und lange Zeit mit Blick auf das Allerheiligste oben auf dem Sagrato.
Die Gebetswache am Samstagabend war kein fröhliches Friedensfest mit viel Musik, liturgischem Tanz, Moderation und allen möglichen Zeugnissen. Sie war ein Gottesdienst. Begonnen hatte er mit dem Kreuzzeichen des Papstes. Franziskus endete, indem er mit dem Allerheiligsten den Schlusssegen erteilte. Dazwischen viele Phasen, die die Fernsehmoderatoren am wenigsten mögen: Die pure Stille. Da zeigten die Fernsehkameras nur noch einen müden, aber überaus konzentriert wirkenden Papst. Und zahllose Menschen auf dem Platz, die wirklich meditierten und beteten. Viele hatten einen Rosenkranz in der Hand. Das Schweigen bot Gelegenheit zu Gebet und Meditation über Friede und Gewalt. Aber auch dazu, sich seine Gedanken zu machen. Rom war an diesem Abend das Zentrum einer die Welt umfassenden Gebetsbewegung, die ihren Widerhall am gleichen Tag in Berlin oder Istanbul, in Beirut oder Bagdad, in Manila oder Sydney und Damaskus in ähnlichen Vigilfeiern und Gottesdiensten fand. Nicht nur bei katholischen Christen.
Der Mensch heute lebt in einer Mediengesellschaft. Auch die Kirche. Übrigens ebenso Barack Obama, dessen Aufruf, Bomben auf die Menschen in Syrien zu werfen, weder im eigenen Land noch beim Gipfel der G20 in Sankt Petersburg richtig Gehör gefunden hat und der jetzt zu dem Mittel greift, das in einer Mediengesellschaft immer noch einen zentralen Stellenwert hat: einer Fernsehansprache am heutigen Dienstag. Soziale Kommunikationsmittel vermitteln das Weltgeschehen. Und die Kirche spielt mit. Sie ist nicht von dieser Welt, aber sie lebt in dieser Welt – und welche andere christliche Konfession oder welche andere Religion ist in der Lage, sich auch und mit Hilfe der Medien an die Spitze einer solchen Friedensinitiative zu stellen, die der ganze Erdkreis wahrnehmen muss?
Der Papst hat am Samstagabend seine Stimme gegen Waffenhändler, Kriegstechniker und Spekulanten erhoben – und seine Stimme verhallte nicht ungehört. Auch am Sonntag beim Gebet des Angelus verurteilte er die Verbreitung von Rüstungsgütern und den illegalen Handel mit ihnen – ein Appell, der ebenfalls überall gehört worden ist. Um aber der ganz besonderen Gebetswache am Tag des Fastens und Gebets für den Frieden in Syrien, dem Mittleren Osten und der ganzen Welt einen dem Anlass entsprechenden Rahmen zu geben, hatte man im Vatikan fieberhaft gearbeitet – und das perfekt: Selbst das Programmheft, das detailliert durch die Liturgie des Samstagabends führte, lag wie immer zu Beginn des Gottesdienstes gedruckt auf den Stühlen der Teilnehmer, der Gäste und Prominenten. Unter ihnen zahlreiche italienische Politiker wie Parlamentspräsidentin Laura Boldrini, der Vizepräsident der islamischen Gemeinden Italiens, Yahya Sergio Yahe Pallavicini, Botschafter, aber auch Vertreter ziviler und kirchlicher Hilfsorganisationen.
Die längste Papstliturgie, an die man sich in Rom erinnern kann, war die Inthronisationsfeier für Johannes XXIII. im Jahr 1958. Sie dauerte dreieinhalb Stunden. Die Gebetsvigil mit Franziskus am Samstagabend dauerte vier Stunden – die längste Liturgie unter Vorsitz des Papstes seit Menschengedenken. Sie begann nach dem Kreuzzeichen des Papstes mit dem Gesang des Hymnus zum Heiligen Geist “Veni Creator Spiritus”. Dann trugen vier Schweizergardisten die berühmte Marienikone “Salus Populi Romani” zum Sagrato vor dem Petersdom. Franziskus berührte sie kurz. Was nun folgen sollte, war eine typische Feier im Bergoglio-Stil: Konzentration auf das Wesentliche, einfache Handlungen, alles Überflüssige wurde weggelassen, selbst auf das übliche Kerzenanzünden der Menge mit entsprechendem Lichtermeer hatte man verzichtet. Zunächst der freudenreiche Rosenkranz. Auf Wunsch von Franziskus trugen die Vorbeter zu jedem Geheimnis einige Gedanken der heiligen Theresia von Lisieux vor. Jeweils zum Abschluss einen Anruf Mariens, der “Königin des Friedens”. In seiner Meditation argumentierte Papst Franziskus zutiefst biblisch. Auch Muslime und Juden werden ihn verstanden haben. Es folgte die Aussetzung des Allerheiligsten. Immer wieder stimmte der Chor gregorianische Choräle an. Links der Papst auf seinem grossen, weissen Stuhl. Rechts die “Salus Populi Romani”, in der Mitte der Herr in der Monstranz – Bilder, die um die ganze Welt gingen.
Vor dem Altar stand ein grosses Bronzebecken mit glühenden Kohlen. Fünf Mal kam während der lang andauernden eucharistischen Anbetung langsam von unten ein Paar nach oben auf den Sagrato und gab Weihrauch in das Becken, der dann kräftig zu lodern und qualmen begann: Zunächst zwei Ägypterinnen, dann zwei Fratres der Franziskaner-Kustodie im Heiligen Land, gefolgt von zwei Russinnen und schliesslich zwei Männern aus den Vereinigten Staaten. Am Ende zwei junge Syrer.
Die Auswahl der Nationalität der fünf Paare dürfte kein Zufall gewesen sein.
Am Ende der Anbetung wurden drei Texte verlesen, vom Propheten Jeremias, von Papst Leo dem Grossen und vom Evangelisten Johannes. Die Verehrung der Eucharistie und damit die Gebetswache auf dem Petersplatz endete mit dem Segen, den Papst Franziskus mit der Monstranz erteilte. Eine sehr dichte Atmosphäre hatte vier Stunden lang über dem Platz gelegen. Vereinzelt gab es Applaus für Franziskus. Aber vorherrschend waren das persönliche Gebet – und das Schweigen.
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