Das vergessene Problem
Noch nie war der Sterbeüberschuss in Deutschland so hoch
Die Tagespost, 28. August 2013, von Jürgen Liminski
Das vergessene Problem – noch nie war der Sterbeüberschuss in Deutschland so hoch. Dennoch wächst die Zahl seiner Einwohner. Ebenfalls um fast 200 000. Das mathematische Rätsel hat ein Lösungswort. Deutschland ist ein “Einwanderungsland”. Die Wirtschafts- und Finanzkrise hat die Zahl der Einwanderer aus Ost- und Südeuropa sprunghaft steigen lassen. Deshalb ist 2012 der grösste Bevölkerungszuwachs seit zwanzig Jahren zu verzeichnen. Aber er ist eben allein durch Einwanderung zustande gekommen. Politik und Wirtschaft ist es gleich, woher die Menschen kommen, Hauptsache es gibt genügend Arbeitskräfte. Dass diese zugewanderten Arbeitskräfte mit Werksverträgen oft menschenunwürdig behandelt werden oder dass man aus den Entwicklungsländern den dort dringend benötigten Rohstoff guter Köpfe abzieht und so eine Art Neokolonialismus betreibt, findet allenfalls in einem kleinen Kommentar Beachtung. Man befasst sich lieber mit Erfolgen als Problemen.Die Republik ist rosa und alle sind nett. Deshalb sehen die Parteien in der Einwanderung und überhaupt in allen demografischen Bewegungen keine Herausforderung, sondern eine “Chance”. Ein Thema für den Wahlkampf ist der demografische Niedergang nicht. Dabei liegt er wie ein Schatten über dem ganzen Land. Nur ein Faktum: In wenigen Jahren geht die Generation der Babyboomer (zwischen 1950 und 1965 Geborene) in Rente. Gleichzeitig wird die Zahl der Erwerbstätigen kleiner. Viel mehr Rentner und deutlich weniger Beitragszahler – das lässt sich aus Steuermitteln nicht ausgleichen. Schon jetzt wird ein Drittel der Renten, rund 80 Milliarden Euro, aus Steuermitteln gezahlt. Selbst bei Vollbeschäftigung kann die Rentenkasse dieses generative Ungleichgewicht nicht mehr ins Lot bringen. Man wird das Rentensystem strukturell reformieren müssen.
Aber auch das wird nicht reichen. Wer diesem Land eine friedliche Zukunft wünscht, der wird auch das Sozialsystem insgesamt reformieren müssen. Einwanderung ist keine Lösung; wir brauchen ein gesellschaftspolitisches Konzept, einen Entwurf, keine Wurstelei. Der Staat braucht ein Staatsvolk, er hat ein existenzielles Interesse daran, dass Kinder in ausreichender Zahl geboren werden. Hier aber fängt spätestens die Heuchelei an. Denn nachweislich werden vor allem in Ehen Kinder geboren. Die Ehe als solche nicht mehr zu fördern, hiesse, die Voraussetzung für mehr Geburten weiter abzuwürgen. Genau das geschieht aber durch die Relativierung der Ehe. Sie ist der Kern der Familie. Beide Institute, Ehe und Familie, sind systemrelevant. An diesem Thema wird die “seltsame Unlust an der Zukunft”, die Benedikt XVI. schon als Kardinal Ratzinger analysierte, besonders deutlich.
Das Thema Demografie gehört in den Wahlkampf. Auch wenn es den Kinderlosen, die in Politik und Medien den Ton angeben, nicht passt. Ziel der Politik ist es, Gerechtigkeit zu schaffen, lehrte Benedikt XVI. Dazu gehört auch die Generationengerechtigkeit. Dazu gehört auch die Achtung von Ehe und Familie. Europa wäre nicht mehr Europa, so der Papst emeritus, “wenn diese Grundzelle seines sozialen Aufbaus verschwände oder wesentlich verändert würde“. Es allen recht machen zu wollen hat mit Gerechtigkeit nichts zu tun.
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