Das Heimatland des Papstes steckt in der Armutsfalle

Argentinien ist in einer Wirtschaftskrise, doch die Regierung leugnet die Armut und Inflation

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Die Globalisierungsfalle

Die Kirche fordert ein Ende des staatlichen Wegschauens beim Drogenhandel

Die Tagespost, 17. Juni 2013, von Marcela Vélez-Plickert

Argentinien durchlebt dieser Tage einen Schock – wieder einmal. Im Heimatland des Papstes gab es am Donnerstag ein schweres Zugunglück mit drei Toten und mehr als hundert Verletzten. Das Unglück ereignete sich auf einer Pendlerstrecke in Buenos Aires. In anderen Ländern wäre der Unfall ein Grund zur Trauer, aber in Argentinien ist er mehr. Er ist ein Symbol für den Zustand des Landes, für das Missmanagement bei der staatlichen Eisenbahn, den Verfall der Infrastruktur und Wirtschaft des Landes.

Im vergangenen Jahr starben bei einem Zugunfall 51 Leute und rund 700 wurden verletzt. “Hinter diesem (Unfall) stehen unverantwortliche Leute, die ihre Pflicht nicht getan haben“, kritisierte Jorge Bergoglio, damals Erzbischof von Buenos Aires, heute Papst Franziskus. Seine Predigt war eine Anklage gegen die schlecht geführte staatliche Bahn, wo es an Investitionen fehlt und Korruption weit verbreitet ist, indirekt auch eine Anklage gegen den Staat.

Probleme wie Investitionsmangel und Korruption plagen weite Bereiche der argentinischen Wirtschaft. Im vergangenen Jahr lösten sie Massendemonstrationen von einfachen Bürgern, Rentnern, Studenten und Hausfrauen gegen die Regierung aus. Die Hausfrauen schlugen stundenlang auf leere Kochtöpfe, um die prekäre Versorgungslage anzuprangern. Aktuell hat der Bauernverband einen landesweiten, fünftägigen Streik ab Samstag angekündigt. Die Agrarproduzenten fordern einen Inflationsausgleich und ein Ende der Devisenrestriktionen, die dazu führen, dass sie für ihre Exporte nur wenig Geld, nämlich den offiziellen, künstlich niedrigen Dollarkurs erhalten. Der Schwarzmarktkurs des Dollar liegt inzwischen 61 Prozent über dem offiziellen Dollarkurs.

Das ist auch ein Zeichen für die Inflation, welche die Regierung aber leugnet. Als der Wirtschaftsminister Hernán Lorenzino vor ein paar Wochen von einer griechischen Journalistin auf die hohe Inflation angesprochen wurde, wollte er das Interview abbrechen und stotterte, “ich möchte gehen, ich möchte gehen”. “Wir wollen auch gehen”, schrieben argentinische Bürger über Tage auf Twitter. Die Inflationsstatistik sei “ein komplexes Thema”, meinte Lorenzino. Offiziell beträgt die Geldentwertung nur etwas über zehn Prozent im Jahr, doch unabhängige Analysten schätzen sie auf 25 Prozent. Die Inflationsrate könnte dieses Jahr bis auf 35 Prozent stiegen.

Scharfe Kritik der Kirche an der Regierung

In den zehn Jahren, seit das linksnationalistische Ehepaar Néstor und Cristina Kirchner 2003 die Macht in Argentinien übernommen hat, ist die Armutsquote zunächst deutlich gesunken. Kurz nach der grossen Schuldenkrise lebten sechs von zehn Argentiniern unterhalb der Armutsgrenze. Danach schaffte das Land einen deutlichen Wiederaufstieg, getrieben auch von den steigenden Preisen für seine landwirtschaftlichen Exportgüter, vor allem Soja, aber auch deutlich hohe Staatsausgaben. 2011 lebte nur noch gut jeder Fünfte unter der Armutsgrenze. Aber der Staatshaushalt geriet ausser Kontrolle. Die Subventionen für Benzin und andere Güter sowie die lockere Finanzpolitik liessen ein grosses Defizit entstehen, das durch die Notenpresse gestopft wurde. Das ist die Hauptursache der Inflation. Mit ihrem aggressiven Vorgehen gegen in- und ausländische Unternehmen bis hin zu Verstaatlichungen hat die Regierung von Cristina Fernández de Kirchner, die 2007 das Präsidentenamt übernahm, Investoren verschreckt.

Laut offiziellen Zahlen sind bloss 5,4 Prozent der Menschen so arm, dass sie nicht genug Geld haben, um ihre Grundbedürfnisse zu finanzieren. Aber nach Berechnung der Katholischen Universität und des Centro de Investigación y Formación in Buenos Aires sind tatsächlich 24 Prozent der Bevölkerung von solcher Armut betroffen. Als Cristina Fernández vor wenigen Tagen diese Zahlen vorgelegt wurden, spielte sie die Berichte über zunehmende Armut herunter: “Armut ist, was wir in Haiti sehen”, sagte sie wegwerfend. Die Kirche reagierte sofort: “Die Situation in Haiti ist schrecklich, schmerzhaft, extrem, das wissen wir, weil wir auch dort sind”, sagte Oscar Ojeda Quintana, Bischof von San Isidro und Vorsitzender der Caritas, “aber wir müssen zugeben, dass es auch viel Armut in Argentinien gibt.” Die Kirche hat eine Kampagne “Null Armut” gestartet. Einer der Hauptgründe für die Verelendung von Teilen der Bevölkerung ist die Geldentwertung. “Die Inflation trifft besonders die ärmsten Schichten”, warnte Quintana, weil ihre Bezahlung so niedrig ist und nicht im Masse der Inflation erhöht wird.

Auch für ihre Passivität gegenüber dem Drogenhandel hat die Kirche die Regierung scharf kritisiert. Der Drogenhandel werde quasi geduldet, beklagte die Bischofskonferenz vergangene Woche. Kinder erlebten es als Selbstverständlichkeit, wenn harte Drogen auf der Strasse verkauft werden. Der Staat sei “strukturell abwesend” in der Betreuung und Unterstützung von Rauschgiftabhängigen. Der für seinen Einsatz in den argentinischen Slums und gegen den Drogenhandel bekannte Priester José Maria Di Paolo (“Padre Pepe”) sagte: “Nach Jahrzehnten der Abwesenheit des Staates brauchen wir tiefgreifende Entscheidungen, um die Situation der Drogensüchtigen spürbar zu verändern.” Padre Pepe wurde von Drogenbanden mehrfach mit dem Tode bedroht. Er ist seit 1997 auf Geheiss des damaligen Erzbischofs Bergoglio in einem Slum tätig, wo 20 000 Menschen in einfachsten Behausungen leben. Insgesamt gibt es in Buenos Aires rund eine Viertel Million Menschen, die abseits der prächtigen Boulevards und Wohnviertel aus dem späten neunzehnten Jahrhundert in Slums leben, oftmals ohne fliessend Wasser und WC.

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