Studie: Religion fördert die psychische Gesundheit
Wiener Neurowissenschafter Raphael Bonelli
Quelle
Selber schuld!: Buch
“Als Medikament wäre Religion zugelassen” – “Depression, Suchtkrankheiten und auch Suizid treten bei religiösen Menschen eindeutig seltener auf als bei Atheisten”
Wien, kath.net/KAP, 2. April 2013
Religion schützt die seelische Gesundheit und kann auch von der Medizin als wichtige Ressource des Menschen angesehen werden. Das hat der Wiener Gehirnforscher Raphael M. Bonelli mit Kollegen der Duke University in einem gross angelegten Studienvergleich dargelegt, der demnächst im “Journal of Religion and Health” publiziert wird.
“Depression, Suchtkrankheiten und auch Suizid treten bei religiösen Menschen eindeutig seltener auf als bei Atheisten”, so der Psychiater im Gespräch mit “Kathpress”.
Untersucht wurden alle Forschungsarbeiten zu Religiosität und psychische Gesundheit, die seit 1990 weltweit in den meistzitierten psychiatrischen und neurologischen Fachzeitschriften erschienen sind. 72 Prozent der relevanten Studien zeigten, dass die psychische Gesundheit mit dem Ausmass, in dem sich ein Mensch religiös-spirituell engagiert, steigt, während der Zusammenhang bei 18 Prozent unklar und bloss bei fünf Prozent negativ ausfiel. Bereits 1992 war eine ähnliche Vorgängerstudie zum selben Ergebnis gekommen, das sich nun in umfangreicherer und detaillierterer Form bestätigte.
Bonelli zeigte sich “überwältigt” von dem für wissenschaftliche Verhältnisse “sehr eindeutigen Ergebnis”: Je nach Krankheitsgruppen – hier wurde genau aufgeschlüsselt – seien die Hinweise auf eine Schutzfunktion durch Religiosität teils äusserst stark, allen voran bei Sucht, Depression und Suizid, doch auch bei Demenz waren die Resultate vielversprechend. Religion sei somit durchaus ein mit Alter oder Geschlecht vergleichbarer psychiatrischer Parameter, so der Wiener Forscher: “Wäre Religion ein Medikament, kann man sagen, es wäre mit Sicherheit zugelassen.”
Bruch mit Freud
Das Ergebnis besitzt Sprengpotenzial, wurde doch Religion lange Zeit besonders von Psychotherapeuten als Blockade angesehen. Bonelli bezeichnete dies als “heute überholtes Erbe Sigmund Freuds”: “Freud hat viel Tolles entdeckt, scheint jedoch bei Religion von seinen klar antireligiösen Vorurteilen gesteuert gewesen zu sein. Patientenbeobachtungen dürften kaum den Ausschluss gegeben haben für seine Aussage, Religion sei ‘kollektive Zwangsneurose’.”
Bedeutend ist in diesem Zusammenhang, dass Bonelli selbst Dozent an der Wiener Sigmund-Freud-Universität ist. Er leitet zugleich das “Institut für Religiosität in Psychiatrie und Psychotherapie” (RPP) und ist Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin mit eigener Praxis in Wien.
Was nun genau das psychisch Gesunde von Religion – die jeweiligen Einzelstudien befragten Angehörige der Weltreligionen, Atheisten bildeten die Kontrollgruppe – ist, gehe aus der Studie nicht hervor, betonte Bonelli. Zu vermuten sei, dass Transzendenz dem Menschen dabei helfe, “sich in die Welt einzuordnen und sich nicht immer nur um sich selbst zu drehen, sondern auf andere hingewiesen zu sein”. Auch Anleitungen bezüglich des gesunden Verhaltens mit der Umwelt wie etwa die Zehn Gebote rechne er dazu, sowie die “Beziehung zu einem höherem Wesen, das dem Menschen eine Stabilität gibt, die ihm guttut.”
Ressource zum Gesundwerden
100-prozentig sei dieser Schutz freilich nie, “natürlich werden immer wieder auch religiöse Menschen psychisch krank oder nehmen sich das Leben”, so der Psychiater. Entscheidend sei jedoch, dass Therapeuten vorhandene Religiosität von Patienten als nutzbare Ressource ansehen könnten, nach der man durchaus “ebenso wie nach der Familie” fragen solle. Religiosität “verordnen” dürfe ein Psychotherapeut dabei allerdings nicht, da dies eine inhaltliche Intervention darstelle – “das verbietet schon der Ethikkodex”.
Doch auch neue Fragen würden sich durch die aktuellen Resultate ergeben, berichtete Bonelli: So basiere die Aussage, Religion habe vorbeugende Wirkung für Demenz oder Neurosen, erst auf wenigen Studien, noch weitgehend ungeklärt sei zudem der Zusammenhang zu bipolaren-, Ess-, und Persönlichkeitsstörungen. “Spannend ist auch, in welchen seltenen Fällen Religiosität der Gesundheit nicht gut tut – was also ihre pathologische Ausprägung ist.” Ausser Zweifel stehe nun allerdings, dass die grossen Weltreligionen einen eindeutig stabilisierenden Effekt hätten, so Bonelli.
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