Ein Vorbild für die oftmals reiche Kirche in unserem Lande
Die Situation der Diaspora-Katholiken in Skandinavien und Island
Monsignore Georg Austen: Internet-Seite
Bonifatiuswerk: Broschüre “Diasporakirche in wilder Natur”
Bonifatiuswerk
Monsignore Georg Austen (Bonifatiuswerk) berichtet im kath.net-Interview über die Situation der Diaspora-Katholiken in Skandinavien und Island, die “zum Teil bis zu drei Stunden Fahrzeit zum nächsten Gotteshaus aufzubringen”. Von Roland Noé
Paderborn, kath.net/rn, 27. April 2013
“In Ländern als katholischer Christ seinen Glauben zu leben, in denen gerade einmal 0,2 bis 3 Prozent der Bevölkerung zur katholischen Kirche gehören, ist immer eine besondere Herausforderung.” Darauf weist Monsignore Georg Austen, Generalsekretär des Bonifatiuswerkes, im kath.net-Interview hin und berichtet über Schwierigkeiten und Hoffnungszeichen dieser Katholiken.
kath.net: “Diasporakirche in wilder Natur”, so nennt sich ein neues publizistisches Werk des Bonifatiuswerks, dass sich mit Island beschäftigt. Bereits zuvor gab es ähnliche Werke über andere Nordländer wie Norwegen oder Schweden, wo die katholische Kirche in Diaspora lebt. Warum diese Broschüren?
Monsignore Austen: In Ländern als katholischer Christ seinen Glauben zu leben, in denen gerade einmal 0,2 bis 3 Prozent der Bevölkerung zur katholischen Kirche gehören, ist immer eine besondere Herausforderung. In Nordeuropa herrscht eine solche Diasporasituation.
Es lohnt, gerade auf diese Länder einen besonderen Fokus zu richten und zu schauen, wie Katholiken ihren Glauben trotz schwieriger Umstände hoffnungsfroh leben.
Es ist nicht gering einzuschätzen, wenn zum Teil bis zu drei Stunden Fahrzeit zum nächsten Gotteshaus aufzubringen sind, Kirchengemeinden sich auf einen Durchmesser von 600 Kilometern erstrecken, in der Gemeinde eine babylonischen Sprachenvielfalt unter zugewanderten Katholiken aus mehr als 70 Nationen herrscht. Ob Norwegen, Schweden, Island, Dänemark oder Finnland, jedes Land hat auch auf Seiten der katholischen Kirche seine Eigenheiten. Diese bewusst in den Blick zu nehmen, lohnt sich – insbesondere auch für Menschen, die in katholisch geprägten Regionen leben. Sie können vom Leben und der Glaubensstärke in der Diaspora lernen.
kath.net: Das Bonifatiuswerk unterstützt seit Jahren mit vielen Projekte die Diasporagemeinden des Nordens und hat dort viele Kontakte zu Katholiken. Wie geht es den Katholiken dort? Wie stark sind diese katholischen Gemeinden oder wie lebendig ist dort der Glaube?
Monsignore Austen: Das Glaubensleben in der Diaspora Nordeuropas ist sogar sehr lebendig. Die Kirche wächst. Allein in Oslo gibt es 13 Messfeiern am Sonntag und trotzdem drängen sich die Gläubigen vor der Kirchentür. Bei Wind und Wetter auch im Winter. Es fehlen Kirchen und Gemeinderäume. Der Bischof von Oslo, Bernt Eidsvig, spricht von Wachstumsschmerzen.
Und schaut man auf das weite Land, fahren dort Priester an einem Wochenende hunderte Kilometer, um an verschiedenen Gottesdienststationen die Eucharistie zu feiern.
Segensreich ist nach dem Gottesdienst das Kirchencafé, liebevoll als das achte Sakrament bezeichnet. Hier vernetzen sich die Menschen, nehmen sich in ihren Sorgen, Nöten und Freuden wahr, erleben segenbringende Glaubensgemeinschaft.
In der Kirchengemeinde erfahren Menschen aufgrund der Internationalität der Kirche in Nordeuropa die Vielfalt der Nationen als Bereicherung. Gerade die Kirche schenkt in der Fremde eine Beheimatung.
kath.net: In Norwegen und in Schweden ist in den letzten Jahren die Katholikenanzahl erheblich angestiegen. In Norwegen hat sich die Katholikenzahl seit 1972 versechsfacht. Wie ist das zu erklären?
Monsignore Austen: Hier möchte ich drei Gründe anführen: durch die Liberalisierung der Arbeitsmärkte in Europa und das grosse Arbeitsangebot im Norden kommen zahlreiche katholische Arbeitsmigranten in die bislang lutherisch geprägten Staaten, vornehmlich aus Polen, Kroatien und Litauen.
Zugleich öffnen sich die Staaten Nordeuropas in besonderer Weise Flüchtlingen. Sie kommen aus Vietnam, den Philippinnen oder es sind Hilfesuchende aus afrikanischen Staaten wie Ruanda. Nach Schweden sind viele Christen aus dem Irak geflohen.
Als drittes sind sicherlich auch Konversionen zu nennen. Die ehemaligen lutherischen Staatskirchen sind in Nordeuropa in der Krise. Der Einfluss von gewählten Regierungen auf Glaubensfragen irritiert viele evangelische Christen. Sie suchen nach einer tieferen Spiritualität, einer klaren Liturgie und einer Orientierung in Glaubensaussagen und finden auf diese Weise den Weg in die katholische Kirche.
kath.net: Auch in Lettland und Estland gab es seit der Unabhängigkeit der beiden Staaten im Jahr 1991 eine Wiedergeburt der katholischen Kirche. In Lettland wurden 40 neue Kirchen gebaut. Wie ist es zu diesen Aufbrüchen gekommen?
Monsignore Austen: Mit dem Ende des Kommunismus kam die Religionsfreiheit zurück ins Baltikum. Estland ist aufgrund der sozialistischen Herrschaft neben der Tschechei und der ehemaligen DDR zur entchristlichsten Region der Welt geworden. 6.000 Katholiken leben dort. Viele Nichtchristen sind auf der Suche.
In Lettland wurde über die Jahrzehnte der Sowjetdiktatur die traditionelle katholische Infrastruktur fast völlig zerstört. Die Menschen sehnen sich dort aber nach Kirchen und Gemeinderäumen. Sie wollen den Aufbruch.
Gleichzeitig lebt die Kirche besonders in Lettland authentisch Antworten der Nächstenliebe für die drängenden sozialen Probleme des baltischen Staates vor. Das stärkt sie ungemein.
kath.net: In Deutschland ist die katholische Kirche zumindest auf dem Papier noch eine “Volkskirche“. Welche Unterschiede sehen Sie hier im Vergleich mit den Diasporakirchen?
Monsignore Austen: Eine Volkskirche ist die katholische Kirche nur in manchen Regionen Deutschlands.
Wenn ich auf Ostdeutschland schaue, wo mehr als 75 Prozent der Menschen keine christliche Taufe empfangen haben, zeigt sich mir ein anderes Bild und ein besonderer Auftrag für die Gemeinschaft der katholischen Christen in Deutschland. Hier gilt es die Katholiken in ihrem Glaubensleben zu stärken und den Boden neu zu bereiten, um das heilbringende Wort des Evangeliums zu verkünden – natürlich in ökumenischer Verantwortung.
Aber auch in westdeutschen Grossstädten zeigt sich eine neue Glaubensdiaspora. Selbst in München gehören weniger als 50 Prozent der Bevölkerung einer christlichen Konfession an.
Und in katholischen Regionen steigt die Zahl der Gleichgültigen, so dass sich diejenigen, die sich engagieren und regelmässig zur Messe gehen, sich mehr und mehr alleine im Glauben fühlen.
Der Trierer Bischof Stephan Ackermann spricht von einer emotionalen Diaspora des Glaubens, in dem sich die Menschen auch in katholischen Regionen wiederfinden. Was wir in dieser Situation von den traditionellen Diasporaregionen lernen können: wir dürfen nicht den Kopf hängen lassen, sondern sollten lieber mit Gottvertrauen und einer positiven Einstellung unseren Glauben offen leben.
kath.net: Wie kann man den Diasporakirchen im Norden konkret helfen?
Monsignore Austen: Zunächst einmal durch das persönliche Gebet, dass die katholischen Christen im Glauben stark bleiben, dass sie gute und dienstbereite Priester bekommen und dass sich zahlreiche Ordensgemeinschaft engagieren.
Zudem brauchen, und das sage ich ganz offen, die armen Kirchen in den reichen Ländern des Nordens Geld. Sie bekommen zu wenig an staatlicher Förderung und das obwohl die katholische Kirche einen sehr wertvollen Dienst mit der Integration von Einwanderern und Flüchtlinge an der Gesellschaft leistet.
Und die jungen katholischen Einwandererfamilien verfügen selbst über wenig, was sie teilen können.
Und trotzdem braucht es in den grossen weiten dieser Länder mehr Gottesdienstorte und Versammlungsräume. Diese müssen instand gehalten werden. Die Priester brauchen Fahrzeuge für die weiten Wege zu den Menschen und Gehaltszuschüsse, denn obwohl die Gehälter unter dem Existenzminimum liegen, können die Diözesen sie nur in Teilen selbst aufbringen. Sie brauchen Unterstützung für die Glaubensweitergabe an Kinder und Jugendliche und ihre karitativen Einrichtungen.
Wer den katholischen Christen eine Chance auf ein würdiges Glaubensleben geben möchte, zeigt sich solidarisch. Denn keiner soll alleine glauben.
kath.net: Was können wir von den Diasporakirchen lernen?
Monsignore Austen: Die Glaubensfestigkeit und die Glaubensfreude sowie die Gastfreundschaft rührt mich immer wieder an, wenn ich die Gläubigen in Nordeuropa besuche.
Wer solche Opfer für den eigenen Glauben auf sich nimmt, kann nur Vorbild für die oftmals reiche Kirche in unserem Land sein, ohne die Probleme in der Diaspora Nordeuropas zu verschweigen wie zum Beispiel, wie der Glaube an die nächste Generation weitergegeben werden kann.
In Nordeuropa zählt jeder einzelne, egal wo er lebt. Und jeder einzelne bleibt nur im Glauben, wenn er ihn für sich vor anderen, die nicht seinen Glauben teilen, leben kann. Er gibt ihn an seine Kinder weiter, egal ob seine Arbeitskollegen, seine Nachbarn, seine direkte Lebensumgebung dies gut heissen oder nicht.
Warum sollen wir nicht wie die philippinischen Gläubigen auf Island uns zu Hause oder in den Räumen der Gemeinde treffen, um auch ohne Priester ganz selbstverständlich gemeinsam den Rosenkranz zu beten, den Lobpreis zu singen oder unseren Kindern die Schönheit unseres Glaubens zu zeigen. Greifen wir diese gelebten Zeichen der Hoffnung auf.
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