Im Vatikan beginnt das Konklave

Heute Nachmittag wählt jeder Kardinal nach seiner eigenen Vorstellung

– Danach werden sich die Stimmen auf die führenden Kandidaten konzentrieren.

Vatikanstadt, Die Tagespost, 11. März 2013, von Guido Horst

Die Purpurträger, die heute Abend als Päpste in das Konklave einziehen, zum ersten Wahlgang schreiten und – bis auf einen – als Kardinäle die Sixtinische Kapelle wieder verlassen werden, sind zumindest den italienischen, aber auch internationalen Medien zufolge der Mailänder Erzbischof Angelo Scola, sein Kollege aus dem brasilianischen Sao Paolo, Odilo Scherer, der kanadische Kurienerzbischof Marc Ouellet und der Amerikaner Timothy Dolan, seines Zeichens Erzbischof von New York.

Der Brasilianer Scherer hat von 1994 bis 2001 in der Bischofskongregation gearbeitet – er gilt als “Mann der Kurie” wie auch als beliebter Seelsorger, mit einem starken europäischen Hintergrund. Der damalige Bischofspräfekt Giovanni Battista Re hat ihn dann 2001 zum Weihbischof und zum Erzbischof von Sao Paolo gemacht. Wie Scola steht der Nachfahre deutscher Auswanderer einer der grössten Diözesen der Welt vor.

Drei weitere Kardinäle werden als aussichtsreiche Kandidaten für das Papstamt immer wieder genannt: Peter Erdö, der Primas von Ungarn, der Kapuziner und Oberhirte von Boston, Sean Patrick O’Malley, sowie der Wiener Erzbischof Christoph Schönborn. Man könnte weitere Kardinäle hinzufügen, aus Afrika, Asien sowie aus Europa oder aus der Reihe der Kurienkardinäle in Rom.

Somit ergibt sich eine völlig andere Situation als bei der Papstwahl des Jahres 2005. Damals fand bereits im Vorkonklave und besonders ab seiner pointierten Predigt während der Papstwahlmesse vor dem “Extra omnes” der damalige Präfekt der Glaubenskongregation breite Zustimmung im Kollegium der wahlberechtigten Kardinäle. Angesehene Kirchenfürsten machten sich für Joseph Ratzinger stark, so der Italiener Camillo Ruini und Kölns Erzbischof Joachim Meisner. Kardinalstreffen am Rande des Vorkonklaves hatten das Ziel, Ratzinger zu “verhindern”. Doch die Gegenkandidaten erreichten nicht den Zuspruch, der dem Deutschen entgegenschlug: Kardinal Carlo Maria Martini litt an Parkinson, sein Nachfolger auf dem Mailänder Bischofsstuhl, Dionigi Tettamanzi, vereinigte schliesslich in der Sixtina nur wenige Stimmen auf sich, auch Jorge Bergoglio aus Buenos Aires kam nicht an Ratzinger heran. So war das Konklave kurz und Benedikt XVI. konnte bald auf die Loggia des Petersdoms treten.

Dass heute eine ganze Liste von Kardinälen als “papabile” gilt, ist das Verdienst des deutschen Papstes. Auch berichten Teilnehmer an den Generalkongregationen der vergangenen Tage – hinter vorgehaltener Hand, offiziell herrscht Stillschweigen über Inhalte der Kardinalstreffen – von einem erstaunlich hohen Niveau der Aussprachen, in denen sich die Purpurträger in ihren Wortmeldungen zur Lage des Christentums in der heutigen Welt, zum Verhältnis zwischen Vatikan und den Ortskirchen sowie zu einer dringend benötigten Reform der Arbeitsweise der römischen Kurie äusserten.

Über die zu erwartende Länge des Konklaves gibt es unterschiedliche Äusserungen. Die Kardinäle jedenfalls fühlten sich nun zur Wahl eines neuen Papstes bereit, erklärte Vatikansprecher Federico Lombardi jetzt in einem Editorial für Radio Vatikan: “Die gemeinsamen Reflexionen in den Generalkongregationen, die Informationen, die sie untereinander ausgetauscht haben, die Gespräche, die sie führten, um sich ein persönliches und verantwortliches Urteil über die geeignetsten Personen zu bilden für diese grosse Aufgabe, sind nun in ein erstes Stadium der Reifung übergegangen.” Zuerst, so Lombardi, würden die Kardinäle heute Abend wohl ihre persönlichen Wunschkandidaten wählen. In dieser Phase werde es eine gewisse Bandbreite an möglichen Kandidaten geben. In den fortschreitenden Wahlgängen würden die Kardinäle dann aber “in relativ schneller Zeit” die erste persönliche Wahl auf diejenigen Kandidaten verlagern, welche am konsensfähigsten und geeignetsten erschienen. Wegen der wiederholten Wahlgänge innerhalb eines Tages könnten diese Entscheidungsprozesse “sehr schnell” ablaufen, meinte der Jesuitenpater. Auch Kardinal Walter Kasper zeigte sich am Wochenende optimistisch, dass schnell ein neuer Papst gewählt werden könnte – “im Laufe von drei Tagen”, erklärte der älteste der 115 wählenden Kardinäle am Samstag im rheinischen Vallendar im Rahmen eines Symposiums. Anderer Meinung ist der Erzbischof von Washington, Kardinal Donald Wuerl. “Das Konklave wird nicht kurz sein”, sagte er am Wochenende gegenüber der italienischen Tageszeitung “La Stampa”.

Am versammlungsfreien Sonntag hatten die Kardinäle frei und somit Gelegenheit, in ihren römischen Titelkirchen die Messe zu feiern – nicht nur vor den Gläubigen der betreffenden Gemeinde, sondern auch vor zahlreichen Journalisten und Fotografen. In der Kirche “Santi Apostoli” zelebrierte Kardinal Scola und sprach in seiner Predigt erst über das Zweite Vatikanische Konzil, später dann über Gott, der auch den Menschen von heute als barmherziger Vater vermittelt werden müsse. Die Kirche nehme jeden mit offenen Armen auf, der seine Sünden bereue und sich zu Gott bekehre. Auch der Kapuziner O’Malley predigte in Santa Maria della Vittoria über das Evangelium des Tages, über das Gleichnis vom verlorenen Sohn. Ebenso nahmen die beiden afrikanischen Kardinäle John Onaiyekan aus dem nigerianischen Abuja und der aus Ghana stammende Peter Turkson vom Rat “Iustitia et Pax” dieses Gleichnis zum Anlass, um von der Aufgabe der Kirche zu sprechen, den Frieden Gottes wieder unter die Sünder zu bringen. Der Brasilianer Odilo Scherer lenkte in seiner Titelkirche die Aufmerksamkeit auf den Bruder des “verlorenen Sohns” und nahm das zum Anlass, über die Einheit in der Kirche zu predigen.

Da Benedikt XVI. das Reglement der Papstwahl wieder dahin gehend geändert hat, dass bis zum letzten Wahlgang, der dann eine Stichwahl zwischen den beiden Kandidaten mit der höchsten Stimmenzahl wäre, immer eine Zweidrittelmehrheit für den kommenden Papst benötigt wird, wäre folgendes Szenario möglich: Zwei “starke Kandidate” – etwa der “Ratzingerianer” Scola und der “Kuriale” Scherer oder ein Europäer und ein Amerikaner oder ein “Organisierer” und ein “Seelsorger” – blockieren sich, weil sie nicht die Zweidrittelmehrheit erreichen, und ein Kompromisskandidat schiebt sich schliesslich nach vorne und an den beiden vorbei. Wie man hört, könnten viele der wählenden Kardinäle mit einem Papst leben, der nicht mehr aus Europa kommt. Der zukünftige vatikanische Kardinalstaatssekretär, so heisst es, wäre für diesen Fall eine besonders wichtige Person. Zwar wählt das Konklave nicht den Staatssekretär, sondern den Papst. Aber dessen “Alter ego” war wohl jetzt schon ein Thema im Vorkonklave: Sollte der Nachfolger Papst Benedikts kein Europäer sein, müsste der Staatssekretär in jedem Fall wieder ein Italiener und ein kurienerfahrener Mann mit Managerqualitäten sein.

Der nächste Papst muss nach Ansicht des Wiener Kardinals Christoph Schönborn “zuallererst ein Mann des Glaubens und ein zeitgemässer Verkünder des Evangeliums sein”. Heute würden “übermenschliche Anforderungen an das Petrusamt gestellt”, sagte Schönborn am Sonntag in Rom. Diese seien nur zu tragen “im gläubigen Bewusstsein, dass niemand in der Kirche die Last des Amtes alleine trägt”. Schönborn sagte, die Kardinäle hätten sich “auf ihren verantwortungsvollen Dienst beim Konklave durch offene Gespräche und gemeinsames Beten gut vorbereitet”.

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