Der Papst, der Bodyguards in den Wahnsinn treibt
Er könnte auch einfacher Dorfpfarrer sein
Papst Franziskus unterwirft sich dem Zwang von Protokoll und Manuskript nicht. Er umarmt Mitbrüder, streichelt Hunde und erzählt fröhliche Geschichten. Von Paul Badde (Die Welt)
Vatikan, kath.net/Die Welt)., 18. März 2013
Italien strömt nach Rom. Tausende laufen und drängeln und hasten auf den Petersplatz. Die Welt fliegt dem neuen Papst entgegen. Zum “Engel des Herrn”, dem traditionellen Gebet der Ankündigung Jesu an Maria, sind am Sonntag schon über 150.000 herbei geeilt. Wer die Masse zählt, ist unerfindlich. Der Augenschein sagt nur: Menschen, so weit das Auge reicht!
Da fällt es nicht schwer, von einer neuen Zeitenwende zu reden. Bis zum Ende der Woche, in der Jorge Mario Kardinal Bergoglio aus Buenos Aires zum neuen Oberhaupt der katholischen Kirche gewählt wurde, verging kein Tag, in der er nicht Unzählige berührt, verstört und irritiert hat, die ihm begegneten.
Die Vorlesung ist zu Ende. Wo Benedikt XVI. lehrte, erzählt jetzt Franziskus. Erst jetzt akzeptieren daher auch in Rom immer mehr Menschen, dass “Professor Papst” Benedikt sich doch irgendwie folgerichtig am Ende seiner Kraft als “Papa emeritus” zurückgezogen hat. Gegen Schluss hat auch er mit seinen “Followern” zwar schon gezwitschert wie der heilige Franziskus mit den Vögeln, aber der neue Papst streichelt schon am ersten Tag einem Labrador den Hals, der als Blindenhund einen blinden Kollegen in der ersten Audienz zu ihm geführt hat.
Papst Franziskus könnte auch Dorfpfarrer sein, wie der heilige Papst Pius X., der vor 100 Jahren entschied, dass Kinder mit sieben Jahren reif genug seien, um schon in diesem Alter zur ersten heiligen Kommunion gehen zu können. Vielleicht setzt Papst Franziskus das Alter ja noch einmal auf drei Jahre herab.
Dank und Nachhilfe für die Journalisten
Denn “un Papa bolla, un altro sbolla”, wissen die Römer: Ein Papst versiegelt, ein nächster entsiegelt. In dieser Woche erfahren nicht nur die Römer die Weisheit ihres Sprichworts wie in einem Lehrstück über die Dialektik des Papsttums neu. Bei aller Kontinuität des Amtes wurden ja spätestens seit der Renaissance die neuen Päpste fast immer von der Gegenpartei des Vorgängers gewählt.
Gegensätzlicher als sein Vorgänger hätte deshalb auch Franziskus sein Amt nicht antreten können. Zur Begegnung mit den Medien (und zahllosen Kollegen aus 81 Ländern) kam er am Samstag ganz in Weiss mit schwarzen Strassenschuhen, wo Benedikt mit seinen karminroten Schuhen vor vier Wochen noch gleichsam schwebte. Doch er kam auch rund fünf Minuten zu früh auf die Bühne, lauschte der Begrüssung durch den Medien-Bischof Celli, umarmte ihn, bedankte sich noch einmal bei seinem Vorgänger für dessen Dienst – und dann auch schon unbekümmert anerkennend bei den Journalisten, die in der letzten Woche “doch einen Haufen Arbeit” hatten, um ihnen danach gleich ein wenig unakademische Nachhilfe zu erteilen.
Die Dinge der Kirche seien nicht wirklich komplizierter als die Dinge der Welt, erklärte er ihnen heiter. Doch sie hätten eine andere innere Zielrichtung. Sie seien eben nicht politisch, sondern spirituell, weil es in der Kirche um “das Volk Gottes gehe: um das heilige Volk Gottes, das mit Gott unterwegs” durch die Zeiten sei. Nicht die Päpste, nur “Christus ist der Hirt der Kirche”. Er sei hier Zentrum und fundamentaler Referenzpunkt. Wer das verstehe, habe schon das meiste verstanden. Wer das verstehe, dem falle es auch nicht schwer, das überwältigend sichtbare Wirken des Heiligen Geistes in der letzten Woche zu begreifen.
Ohne den Blick auf Christus sei die Kirche hingegen nicht zu verstehen, in dessen “Person sich die Wahrheit, Güte und die Schönheit Gottes” verdichte. Ende der Theologie. Eine Vorlesung war das nicht. Papst Franziskus hat auch nichts zum Ablesen dabei.
Im allerletzten Moment fiel ihm der Name ein
Aber auch wenn er Blätter vor sich hat, lässt er sie immer wieder sinken und schweift ab ins Freie. Als Benedikt XVI. noch Joseph Ratzinger hiess, war in Rom keiner brillanter und funkelnder als er in freier Rede, die er manchmal hintereinander auf italienisch und deutsch hielt, und in beiden Sprachen gleich frei und funkelnd. Um so bedauernswerter haben viele Beobachter im letzten Pontifikat empfunden, wie sehr er sich als Papst dann dem Zwang zum Manuskript gebeugt hat, von dem er den Journalisten zuliebe alle Texte immer abgelesen hat. Das hatte nicht nur seiner Intonation geschadet.
Papst Franziskus aber scheint auch bei bestem Willen unfähig, sich gehorsam solch einem Zwang zu unterwerfen. Professor war er nie. Das Doktorat hat er nicht beendet. Abgeschrieben hat er aber wohl auch nichts. Vieles hat der Jesuit von früh an auswendig gelernt, von Hölderlin bis zu Léon Bloy, und vieles mehr, woraus sich mit Erinnerungen und Erfahrungen seine freie Rede speist, und aus einem selten reinen und lauteren Herzen.
Er erzählt den alten Witz nicht nach, dass alle Kardinäle, die angeblich niemals Papst werden wollen, dennoch immer genau wissen, wie sie sich in den Schuhen des Fischers spontan neu nennen wollen. Von sich selbst hingegen erzählt er stattdessen nun ohne Koketterie, dass er erst im Konklave auf den spektakulären Namen des heiligen Franz von Assisi verfiel (dessen Namen sich noch kein Papst zu geben wagte).
Es war im buchstäblich allerletzten Moment, als er sah, wie sein Name im letzten Wahlgang die nötige Zweidrittelmehrheit übertraf. Danach habe sein Freund Kardinal Hummes ihn umarmt und ins Ohr gesagt: “Vergiss die Armen nicht!” In dem Moment sei ihm der Name Franziskus vom Himmel her in sein “Herz” gefallen, sagt er und zeigt dabei mit dem Finger auf seinen Kopf.
Er lacht, er gestikuliert, er ist bewegt – und nach zehn Minuten fertig. In zehn Minuten hat er in der grossen Audienzhalle aber auch die Herzen der nüchternsten Kollegen verzaubert, die er am Schluss im Spanisch seiner Heimat allesamt eher beiläufig Gott anempfiehlt, ohne sie selbst liturgisch mit einem päpstlichen Kreuzzeichen zu segnen.
Barmherzigkeit als roter Faden
“Seht her, nun mache ich etwas Neues!” hiess es danach am Sonntagfrüh in der Sankt-Anna-Kirche aus dem Buch Jesaja. “Schon kommt es zum Vorschein, merkt ihr es nicht?” Der Satz könnte vom Papst selber stammen, wie auch die nächste Lesung aus einem Brief des Apostels Paulus: “Ich vergesse, was hinter mir liegt, und strecke mich nach dem aus, was vor mir ist.”
Doch es sind nur die zufälligen liturgischen Texte dieses Passionssonntags. Die kleine Sankt-Anna-Kirche ist die Pfarrkirche des Vatikanstaates. Frisch gewählte Päpste lesen hier traditionell immer ihre erste Sonntagsmesse. Nirgendwo war die Sache gross angekündigt, doch das Kirchlein konnte die Masse unmöglich fassen, die sich schon Stunden vor dem Eingang staute.
Das war auch bei Benedikt XVI. vor acht Jahren nicht anders – der hier auch noch am Anfang eine ganz freie Predigt hielt. Anders ist hingegen, dass Franziskus auch hier wieder nach sechs Minuten fertig ist. Er blättert in den Schrifttexten des Messbuchs wie in einem Manuskript, redet von der “fruchtbaren Einsamkeit Christi” und davon, dass “Gott mit seinem Erbarmen nie müde wird. Wir sind es, die müde geworden sind, ihn um sein Erbarmen und seine Vergebung zu bitten.” Das “Erbarmen und die Barmherzigkeit” mit den Sündern sei die stärkste Botschaft des Herrn. Dies sei jedoch nur zu erkennen, wenn wir uns zuerst und allesamt als Sünder erkennen würden.
Es ist die Botschaft, in der er am ersten Sonntag seines Pontifikats sein Amt mit dem seines Vorgängers und Vorvorgängers verschweisst und versiegelt. In diesem Punkt passt endlich kein Blatt Papier mehr zwischen Johannes Paul II., der an dem von ihm selbst eingeführten Barmherzigkeitssonntag starb, und zwischen Benedikt XVI., dessen Pontifikat das “Erbarmen im Antlitz Jesu” als Leitmotiv durchzog. An diesem Sonntag wird Gottes “Barmherzigkeit” zum roten Faden der frohen Botschaft, die Franziskus mit seinen Vorgängern im Amt wohl am stärksten verbindet.
Nach der Messe ruft er einen strahlend jungen Pater Gonzalo Aemilius aus Uruguay nach vorn, der ein Projekt mit Jugendlichen leitet, die er von der Strasse geholt hat. Für diese “Ragazzi” bittet der neue Papst die Gläubigen um ihr Gebet – um sich danach vor der Tür von Sankt Anna von jedem einzelnen von ihnen zu verabschieden wie ein Pfarrer in Buenos Aires per Handschlag. Er wehrt sich nicht, wenn er dabei immer wieder umarmt und geküsst wird. Er ist ein Papst zum Küssen und merkt – noch – nicht, wie den Sicherheitsleuten die Nerven dabei blank liegen.
Nach den “carissimi fratelli e sorelle” als Gruss von Johannes Paul II. und den “cari fratelli e sorelle” Benedikts XVI. begrüsst er die Menschenmassen danach zum Angelus von seinem Fenster mit einem einfachen “fratelli e sorelle”. Er beschwört sie in einer Anekdote noch einmal, dass die “Welt nicht existieren könnte ohne das Erbarmen Gottes”. Und dass die Madonna eben dieses Erbarmen als Kind schon in ihren Armen getragen habe.
Auf den bisher üblichen Gruss in verschiedenen Sprachen zum Schluss verzichtet er danach komplett. Er bleibt beim Italienischen und würde wohl auch verstanden, wenn er da oben nur Chinesisch sprechen würde.
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