Dem Vergessen entrissen

Gemeinschaft Sant’Egidio gedenkt einsam Verstorbener

Rom, 13. März 2013,  zenit.org santegidio  

Am 11. März 2013 sind vor dem Altar der Würzburger Marienkapelle rechts und links zwei Kerzenständer aufgebaut. Während Namen verlesen werden, gehen Einzelne aus ihren Bänken nach vorne, entzünden eine Kerze und stellen sie zu den anderen. Es ist eine bunte und ungewöhnliche Gottesdienstgemeinde, die sich hier versammelt hat: Junge und Alte, bürgerlich gekleidete und Menschen, denen man ansieht, dass es das Schicksal mit ihnen nicht gut gemeint hat – früh gealterte Gesichter, manche sichtlich von körperlichen Beschwerden geplagt. Doch die meisten lassen es sich nicht nehmen, eine Kerze anzuzünden, wenn sie einen ihnen wichtigen Namen hören.

Sie alle sind der Einladung der Gemeinschaft Sant’Egidio gefolgt, in einem ökumenischen Gebet der einsam Verstorbenen zu gedenken.

Wer denkt später noch an mich, wer wird einmal an meinem Grab stehen? Diese Frage treibt nicht wenige Menschen heute um. Eine Antwort darauf ist die Entscheidung zu einer anonymen Bestattung. Derzeit sind 5 Prozent  in Grossstädten wie Berlin, München und Hamburg sogar fast 50 Prozent aller Bestattungen anonym.

Dem Vergessen entreissen will die Gemeinschaft Sant’Egidio die Namen von Menschen, die einsam verstorben sind. Seit nunmehr 15 Jahren lädt sie deshalb zum Gedenken an sie ein. Am 6. Januar 1998 starb der stadtbekannte obdachlose Strassenmusikant Fritz Werner Marschner – allein, am Würzburger Busbahnhof. Als “Wurzelsepp” bekannt, spielte er gern auf dem Würzburger Marktplatz mit seiner Ziehharmonika auf. Der Verstorbene hätte, wie immer in solchen Fällen, auf Kosten der Kommune kostengünstig in einem auswärtigen Massengrab ohne Aussegnung und Grabstein bestattet werden sollen. Als dies bekannt wurde, starteten einige Organisationen eine Spendenaktion. Mit deren Erlös konnte der “Wurzelsepp” auf dem Würzburger Hauptfriedhof bestattet werden, in einem Grab, in dem seitdem auch einige andere mittellose Menschen beerdigt werden konnten. Die Gemeinschaft Sant’Egidio kümmert sich in Zusammenarbeit mit den Kirchen vor Ort um solche Bestattungen.

Auch in anderen Städten, in denen Gruppen von Sant’Egidio zu Hause sind, wird jedes Jahr der Verstorbenen gedacht: In Rom wird das Gedenken an die obdachlose Modesta begangen, die am 31. Januar 1983 am Bahnhof Termini in Alter von 71 Jahren verstarb. Die Sanitäter hatten sich geweigert, sie mitzunehmen, weil sie schmutzig war. Die Gemeinschaft in Kiew gedachte kürzlich der Roma Mila, die 2012 in der Kälte starb, als sie auf der Suche nach Essen für ihre Kinder war.

Mehr als 300 Namen werden in der Marienkapelle verlesen – meist die von Bekannten, Freunden und Angehörigen der Anwesenden. Für Gott zählt jeder Mensch, sei er arm oder reich, berühmt oder vergessen – diese Botschaft kommt bei dem Gedenken zum Ausdruck. Nicht zuletzt erwächst hieraus Trost für alle, die hier beten. Auch ihr Name wird einmal zu hören sein, wenn sie nicht mehr sind. Bei der Gemeinschaft Sant’Egidio sind sie bekannt. Sie können jede Woche in der “Mensa Sant’Egidio” ein kostenloses Essen einnehmen, und jedes Jahr erhalten sie eine persönliche, mit Namen beschriftete Einladung zum Weihnachtsessen am 25. Dezember. Fehlt jemand, wird es bemerkt, es spricht sich schnell herum, wenn einer krank ist. Da ist eine neue Familie entstanden, in der die Gesichter vertraut sind und jeder mit seinem Namen bekannt ist – auch über den Tod hinaus.

Werner Marschner: Ein liebenswertes Kulturdenkmal

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