Zu rein, zu unschuldig, zu heilig

Noch einmal hat sich Papst Benedikt XVI. in einer Generalaudienz im Vatikan an die Gläubigen gewandt

Eine riesige Menge jubelte ihm dabei zu – viele konnten ihre Tränen nicht zurückhalten. Von Paul Badde (Die Welt)

Vatikan, kath.net/Die Welt, 27. Februar 2013

Die 348. Generalaudienz Benedikt XVI. ist seine letzte und nichts ist wie immer. Mehr als fünf Millionen Menschen sind ihm in den letzten acht Jahren in diesen Audienzen auf dem Petersplatz oder in der Nervi-Halle begegnet.

Doch heute scheint es, als wäre noch einmal eine weitere Million angereist, um Kopf an Kopf bei diesem letzten Auftritt von ihm Abschied zu nehmen.

Nur bei seinem Begräbnis wird er noch einmal auf ähnliche Weise in die Öffentlichkeit treten, dann allerdings aufgebahrt, getragen von den Dienern des Päpstlichen Hauses. Doch bei der letzten Generalaudienz des Papstes am Mittwoch ist der Tod weit weg.

Die Piazza vibriert vor Leben. An den Absperrungen drängen sich die Menschen. Fahnen von allen Kontinenten wehen flatternd über der Menge. Die katholische Weltkirche nimmt Abschied von ihrem Papst – obwohl er nicht gestorben ist. Ein Hubschrauber kreist in der Höhe am wolkenlosen Himmel. Tief segelnde Möwen ziehen ihre Schatten an der Marmorfassade des Petersdoms entlang.

Es ist ein Volksfest des Glaubens: ein leuchtender erster Frühlingstag in diesem Februar. Und es braucht nicht viel Fantasie, um das Echo Kardinal Ratzingers zu hören, der hier am 8. April 2005 beim Begräbnis seines Vorgängers rief: “Jetzt steht Johannes Paul am Fenster im Haus des Vaters und sieht uns und segnet uns.”

“Ja, die Kirche lebt”

Elf Tage später – am 19. April 2005 – war Joseph Ratzinger selber Papst geworden, und noch einmal fünf Tage später rief er hier auf diesem Platz bei seiner Krönungsmesse: “Ja, die Kirche lebt – das ist die wunderbare Erfahrung dieser Tage. Die Kirche lebt. Und sie ist jung. Sie trägt die Zukunft der Welt in sich und zeigt jedem einzelnen den Weg in die Zukunft!” Jetzt, an seinem Ende, nimmt er den Ruf spontan und gerührt wieder auf, als er die Menge unter sich sieht, die hier von ihm Abschied nehmen will:

“Seht doch, wie die Kirche lebt!”

Rom ist voll wie bei der Heiligsprechung von Pater Pios. Die Menschen stauen sich die breite Via della Conciliazone hinunter bis zum Tiber, wie Kameraschwenks aus der Höhe auf den Mega-Bildwänden zeigen, die für alle das heiter gewordene Gesicht der kleinen alten Papstes vergrössern.

Besonders Italien verbeugt sich hier heute ein letztes Mal vor dem Mann, der nun endgültig für viele zu einem “Papa angelicus” geworden ist. Er sei ein “Papa d’amore”, weiss ein alter Fischer aus Ladispoli und wenige Meter daneben schossen einem ergrauten Oberst der Carabinieri die Tränen in die Augen, als der gebeugte alte Mann in Weiss stehend in seinem Papamobil durch die Gassen in die Menge einfuhr – die linke Hand fest am Haltegriff, die Rechte zum Segen erhoben.

Es ist ein überwältigender Jubel

Er sei “troppo puro, troppo innocente, troppo santo!” (zu rein, zu unschuldig, zu heilig) rief der Mann und wischte sich die Augen, als die Menge auf die Stühle im vorderen Teil des Platzes sprang – Männer und Frauen, Alte und Kinder, Priester und Laien, Gläubige aus allen Kontinenten. Es ist ein überwältigender Jubel, der den Papst immer wieder unterbricht. “Durch diesen Papst habe ich die Deutschen lieben gelernt”, sagt eine junge Italienerin.

Die Fahrt bis zum Hauptportal des Doms dauerte fast eine halbe Stunde, bevor Papst Benedikt XVI. die Menge mit seiner brüchigen Stimme mit einem lateinischen Friedensgruss begrüsste.

Sein Geist weite sich an diesem Tag, um die Kirche auf der ganzen Welt zum umarmen, sagt er. Zuerst lauschte er aber auch heute noch einmal der Schrift aus einem Brief des Apostels Paulus an die Kolosser, bevor er ein letztes Mal die Schrift auslegt und noch einmal Petrus vorstellt, seinen Vorgänger vom See Genezareth in Galiläa.

Auch er habe schon gewusst, dass das Boot, das er gesteuert habe, nicht ihm, sondern dem Herrn selbst gehört habe. So sei es überhaupt mit der Kirche: sie gehöre nicht dem Papst, oder den Menschen, sie gehöre allein Gott. “Die Kirche ist sein Boot!”

Eine grosse Danksagung an Gott

Es ist ein Jahrhunderttext und der Höhepunkt seiner Jahrzehnte langen Schriftauslegung. Doch heute mündet er in einem einzigen grossen Dankgesang, an Gott, an seine Mitarbeiter, an die Kardinäle, an die Botschafter, die hier die ganze Bevölkerung der Erde vertreten würden, und schliesslich an die ganze Kirche, deren “Kraft das Wort der Wahrheit in den Evangelien” sei.

Allen danke er auch noch einmal für ihren Respekt für seine schwierige Entscheidung und versichere, dass er so – wie er vor acht Jahren sein Privatleben völlig aufgegeben habe für seinen letzten Dienst in der Nachfolge Petri – dass er sich so natürlich auch heute nicht in sein Privatleben zurück ziehe, wenn er jetzt nur noch für die Kirche beten wolle.

Er grüsst ein letztes Mal in etlichen Sprachen, auf arabisch, auf polnisch (das er im Alter doch extra für das Volk seines Vorgängers gelernt hat), bedankt sich bei der Traunsteiner Blaskapelle für ihre Bayernhymne. “Es ist so schön, ein Christ zu sein!”

Dann erhebt er sich, und stimmt auf lateinisch das “Vater unser” an. Ein kleiner weisser Mann mit gefalteten Händen und zitternder Stimme, aufrecht.

Dieses Bild wird bleiben.
Fotostrecke vom Petersplatz – Papstjubler in voller Aktion

Die Welt

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