Mehr mit Kindern über Märchen sprechen

Kinderbücher nicht überarbeiten

Die Tagespost, 18.01.2013, von Alexander Riebel

Der kultur- und medienpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Wolfgang Börnsen (Bönstrup): Kinderbücher nicht überarbeiten. Von Alexander Riebel

Sie wollen die klassischen Kinderbücher und Märchen davor schützen, umgeschrieben zu werden, weil diese Gewalt verherrlichen, Minderheiten diskriminieren oder Vorurteile aufbauen. Warum dieser Vorstoss?

Ich bin selbst Vater von vier Kindern und habe ihnen die Bücher selbst vorgelesen. Die Kinder haben nachgefragt, meine Frau und ich haben versucht, diese Inhalte zu erklären. Es gibt nicht nur immer Gewalt, nicht nur immer Vorurteile. Kinderbücher enthalten auch solche Sequenzen. Kinder fragen nach, und ihnen kann mit den Kriterien unserer Zeit erklärt werden, wie wir das heute sehen. Ich finde, dabei sollte es bleiben. Die Originale sollen Originale bleiben, der Originaltext soll Originaltext bleiben und die Autoren haben es auch verdient, dass sie in ihrer Auffassung respektiert werden.

Nun haben ja gerade die Brüder Grimm schon Volksmärchen selber umgeschrieben, indem sie zum Beispiel alles Erotische herausgestrichen haben, was zur Tradition des Märchens im 16./17. Jahrhundert gehörte. Müssen Märchen nicht doch zeitgemäss sein?

Die Brüder Grimm haben aber nicht darauf verzichtet, aus den Auffassungen ihrer Zeit ihre Märchen dort so darzustellen, wie sie sie aus den Erzählungen erfahren haben. Natürlich sortiert jeder Autor nach seinen damaligen oder seiner eigenen Auffassung ein wenig, was er für richtig oder für falsch hält. Aber das ist kein Anlass dafür, zu sagen, dass heute Fremde gewissermassen in die Originaltexte ihre Intention einbringen.

Sie denken wahrscheinlich an solche Beispiele wie Ottfried Preusslers “Die kleine Hexe”. Das soll umgeschrieben werden, weil sich darin Kinder als Negerlein oder Hottentotten-Häuptlinge verkleiden.

Jedes Elternteil hat doch die Möglichkeit zu sagen, ich kaufe das Kinderbuch für meine Kinder oder ich tue es nicht; ich lehne es ab oder befürworte es. Und Kinderbücher sind ein toller Anlass, um mit Kindern ins Gespräch zu kommen, um ihre Welt, die sich ja langsam gestaltet, mitzugestalten. Wenn es auch nach der heutigen Auffassung anstössige Textpassagen gibt, dann ist das gerade ein Anlass, darüber zu sprechen und zu sagen, dass wir heute andere Auffassungen haben, als es sie vor sechzig, siebzig oder hundert Jahren gegeben hat.

Dann sind Sie sicher auch nicht dafür, dass Kinderbücher kommentiert werden, sondern das sollten eher die Eltern übernehmen?

Das ist ihre Aufgabe. Ich bin absolut dagegen, dass wir als Gesellschaft Eltern bevormunden. Eltern sollten das machen, was ihnen wichtig und redlich ist. Sie sollten sich aber kundig machen, wie man mit Kindern solche Texte auch aufmerksam, verantwortungsbewusst und detailliert diskutiert.

Das Europäische Parlament will jetzt aus Gründen der Genderpolitik Kinderbücher verändern. England wird seine Enid Blyton-Bücher davor schützen. Warum ist das in Deutschland nicht möglich?

Weil wir noch keine Diskussion darüber geführt haben bisher. Jetzt ist möglicherweise durch den Vorstoss der Verlage, Kinderbücher in ihrer Begrifflichkeit zu glätten, eine neue Diskussion angestossen worden, die dann dazu führt, dass das auch in Deutschland zum Thema wird.

Wo sehen Sie einen Unterschied zwischen der Gewalt in Kindermärchen und dem, was im Fernsehen und in Computerspielen täglich abläuft?

Erstens haben Bilder eine viel intensivere Wirkung auf Kinder, als der erzählte oder vorgelesene Text. Der erzählte oder vorgelesene Text kann immer kommentiert oder unterbrochen werden. Dort kann man über den einzelnen Sachverhalt miteinander reden. Die in vielen Fernsehfilmen und in Computerspielen gewaltverherrlichenden Szenen haben eine viel grössere Einprägung und Intensität auf die Seele und die Befindlichkeit von Kindern. Bilder haben eine doppelte Wirkung. Und die werden nicht kommentiert, sondern absorbiert; sie führen eben dazu, dass man diese Bilderwelt auch eher glaubt und sich damit identifiziert. Die Gutmenschen, die im Augenblick über mich herfallen, die Moralisten, die sagen, es muss alles glattgebügelt werden, weil wir in einer harmonischen, freundlichen und friedlichen Welt leben wollen, die sollten sich intensiver mit der Gewalt in den Fernsehfilmen und Computerspielen auseinandersetzen. Dreissig bis vierzig Morde pro Tag erfährt heute ein Kind, wenn es tagtäglich fernsieht und wenn es Computerspiele dazu nutzt. Und fast vier Stunden pro Tag sitzen heute Jugendliche am Fernsehen und an Computerspielen.

Müssten nicht einfach die Autoren als Urheber ihrer Texte geschützt werden?

Ich halte es für notwendig, dass die Institutionen in Deutschland, die sich für Autorenrechte und das Urheberrecht einsetzen und sich dafür gebildet haben, mehr zu Wort melden. Wenn es jetzt damit beginnt, dass stillschweigend das Urheberrecht für Kinderbücher ausgehebelt wird, ist das der Anfang einer Entwicklung, die ich für unser Land nicht gutheissen kann. Schöpferische Tätigkeit hat ein Recht darauf, geschützt zu werden. Auch ein Kultur-Kinderbuch hat ein Recht darauf. Und da müssen sich die Interessenverbände, die Organisationen, die sich mit der Frage des Urheberrechts auseinandersetzen, endlich einmal für Kinderbücher einsetzen.

Was empfehlen Sie im Hinblick auf Bilder der Gewalt im Alltag der Kinder?

In meiner eigenen Familie hatten wir versucht, dass unsere Kinder am Anfang ohne Cowboy- und Indianerspiele zurechtkommen sollten. Das ist ihnen dann bereits im Kindergarten und dann von ihren Mitschülern ganz schnell ausgetrieben worden. Ich glaube, dass es wichtig ist, dass man mit Kindern darüber spricht und deutlich macht, wozu bestimmte Gewalttaten führen können, so dass eine friedvolle Erziehung entsteht. Die kann man aber nicht verordnen, die kann man nur miteinander erarbeiten.

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