Das Leben als letzte Gelegenheit

Als der moderne Mensch die Bühne der Neuzeit betrat, tat er es mit grosser Geste:

…..erhobenen Hauptes, taten- und erkenntnisdurstig, durch und durch Akteur. Im Erwachen aus seiner vormodernen Existenz hatte ihm zu dämmern begonnen, wozu er fähig war: zur Umgestaltung der Welt nach seinen Plänen und nach seinem Willen. – So sind wir es gewohnt, uns den Beginn der Moderne vorzustellen. Wie nun aber, wenn alles ganz anders war? Am Ende des Mittelalters, mit dem Niedergang der Ewigkeitshoffnung, wird das Leben als biologische Lebensspanne entdeckt. Das Leben wird buchstäblich zur einzigen und letzten Gelegenheit, zum Schauplatz der Anhäufung von Lebenskapital. Sicherheit und Beschleunigung werden zur vordringlichen Aufgabe der Weltverbesserung. Sicherheit, um dem Einzelleben wenigstens seine durchschnittliche Lebensspanne zu garantieren, und Beschleunigung, um die unerträgliche Kluft zwischen den unendlichen Möglichkeiten, die die Welt bereithält, und der kläglichen Zeit, die dem Einzelnen zu deren Ausschöpfung zur Verfügung steht, wenigstens zu verringern.

Die Woche: “Während der Pestepidemie im 14. Jahrhundert zeigte sich der Tod mit so hässlicher Fratze, dass die Menschen in Panik vor ihm davonzulaufen versuchten. Mit allen Mitteln bemühen wir uns seitdem, unsere Lebensspanne abzusichern und so intensiv wie möglich zu nutzen. Die Errungenschaften der Moderne entsprangen nicht in erster Linie kühnem Forschergeist, sondern diesem Erschrecken. Mittlerweile hat die Angst, etwas zu versäumen, den Tod als ärgsten Widersacher des Lebens abgelöst. Es kostet gewiss Kraft, den Verlockungen der Medienwelt zu entsagen und sich der Lektüre dieses Büchleins zu widmen. Aber es lohnt sich.”

Rhein-Zeitung: “Das Buch überrascht durch seinen Universalschlüssel, um Zeit zu deuten, Zusammenhänge zu zeigen, Wege zu weisen. Faszinierend ist der Stil: eine Sammlung scharf gestochener Sentenzen .. Nützlich das Register und eine weitläufige Bibliographie. Schliesslich die Überraschung: Warum ist eine so souverän gescheite Autorin weithin unbekannt. Die Bekanntschaft lohnt.”

Publik Forum: “Als den Menschen mit Beginn der Neuzeit der Tod als letzte Grenze in neuer Weise bewusst wurde, entstanden stärkere Bedürfnisse nach diesseitiger Absicherung des Lebens und einer Ausnutzung der Möglichkeiten in diesem Leben. Die Angst, etwas zu versäumen, wurde zum Motor, das Lebenstempo zu beschleunigen, die Entfernungen zu tilgen und die Erlebnismöglichkeiten zu vervielfältigen. Gronemeyer beschreibt diese Bewusstseins- und Handlungsprozesse im Angesicht des Todes und zeigt auf, welche Bedeutung sie für unser heutiges Lebensgefühl sowie den Umgang mit Natur und Zeit für uns haben. Ein tiefschürfendes und nachdenklich stimmendes Buch.”

Psychologie heute: “Von allen Lebenstatsachen ist die verlässlichste der Tod. Doch die Einstimmung auf das Unvermeidliche mitten in den heitersten Lebenstagen setzt Einkehr voraus, ein Innehalten von Zeit zu Zeit, Selbstdistanz und philosophische Neigung: ‘Philosophieren heisst sterben lernen’, sagt Montaigne. … Marianne Gronemeyers Darstellung der ethischen, psychologischen, ökologischen und ökonomischen Folgen cartesianischer Weltvernutzung ist überaus anschaulich geschrieben. Dass die Autorin gerne und ausführlich zitiert, dass ihre Zivilisationskritik über weite Strecken nacherzählt ist, tut ihrem Werk keinen Abbruch. Im Gegenteil: gehört doch einige Kunst dazu, so profilierte Geister wie Günther Anders, Hans Blumenberg, E. M. Cioran, Ivan Illich, Peter Sloterdijk und Paul Virilio in ein scharfsinniges Gespräch zu verwickeln.”

Zum Autor: Marianne Gronemeyer, geb. 1941, war Professorin für Erziehungswissenschaft an der Fachhochschule Wiesbaden. Das Land Salzburg hat sie 2011 mit dem Landespreis für Zukunftsforschung ausgezeichnet.

Quelle: Bestellung
Über Bedürfnisse
Simple Wahrheiten und warum ihnen nicht zu trauen ist: Von der gleichen Autorin
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