Die Ideenlieferantin

“Zerstörung der Freiheit im Namen der Freiheit”    *update Zerstörung der Freiheit

Die Tagespost, 10.09.2012

Die amerikanische Philosophin Judith Butler, die heute mit dem Theodor W. Adorno-Preis der Stadt Frankfurt geehrt wird, steht in der Kritik. Man wirft der amerikanischen Denkerin eine antiisraelische Haltung vor. Tatsächlich ist dies aber nur ein kontroverser Nebenschauplatz ihrer allgemeinen Ansichten. Butler will mit der von ihr entwickelten Gender-Theorie das gesamte westliche Wertesystem unterwandern. Sie plädiert für die Aufhebung der Trennung von Mann und Frau. Das hat auch Konsequenzen für die Ethik.

Ein Einspruch

Von Gabriele Kuby

Kein kleiner Geist, aber umstritten: Die Philosophin Judith Butler betreibt mit ihren Büchern einen ideologischen Angriff.
Judith Butler wird als bedeutendste Philosophin der Gegenwart bezeichnet. Wenn “Philosophie” nicht mehr Wahrheitssuche meint, sondern Denkgebäude bezeichnen kann, welche ersonnen wurden, um die bestehende Gesellschaft umzustürzen, dann ist dieser Ehrentitel richtig. Ihr wichtigstes Buch, erschienen 1990, heisst im Original: Gender Trouble – Feminism and the Subversion of Identity. (Deutsch: Das Unbehagen der Geschlechter, Suhrkamp Verlag 1991.) Dies ist das Grundlagenwerk der Gender-Ideologie. Butler empfindet Unbehagen an der Geschlechterordnung und will, wie sie im Vorwort erklärt, trouble machen. Ärger.

Ihre Frage ist: “Wie kann man am besten die Geschlechter-Kategorie stören, die die Geschlechter-Hierarchie und die Zwangsheterosexualität stützen? (…) Die Aufgabe der vorliegenden Untersuchung ist (…), den Phallogozentrismus und die Zwangsheterosexualität zu (…) dezentrieren (…) und die starren, hierarchischen sexuellen Codes wirksam zu de-regulieren.” (Das Unbehagen der Geschlechter, S. 8–11)

Solche Sätze muss man nicht sofort verstehen, aber sie lassen sich übersetzen. Butler möchte die Geschlechter-Kategorie von Mann und Frau stören, denn die schiere Existenz dieser Polarität erzeugt aus ihrer Sicht eine Hierarchie der Geschlechter und gibt dem Mann, auf dessen Phallus die Kultur zentriert ist, Macht über die Frau, und zwingt die Menschen in die Heterosexualität. Gelingt es, die Identifizierung des Mannes mit dem Mannsein und der Frau mit dem Frausein aufzulösen, dann bricht dieses ganze hierarchische Machtgefüge, welches Judith Butler so zuwider ist, zusammen.

Um das zu erreichen, will Judith Butler, die ihre Homosexualität öffentlich bekennt, das Inzesttabu abschaffen, weil es durch “den Mechanismus der Zwangsidentifizierung gewisse geschlechtlich bestimmte Subjektivitäten hervorbringt”, das “Phantasma” geschlechtlicher Identität als Mann und als Frau aufrecht erhält und “ein Tabu gegen die Homosexualität” schafft. (Unbehagen, S. 115–118)

Es ist kein kleiner Geist, der es wagt, an der fundamentalen Vorgabe der menschlichen Existenz zu rüttlen, nämlich an der Tatsache, dass wir als Mann und Frau geboren werden und das Fortbestehen der Menschheit von der wechselseitigen Anziehung der Geschlechter abhängt, welche sich in der Zeugung eines Kindes vollendet. Überhaupt für möglich zu halten, dass eine Ideologie, die sich so weit von der Realität entfernt hat, die Gesellschaft tatsächlich unterminieren kann, zeugt von einer ausserordentlichen visionären Kraft.

Die Revolte der Gender-Ideologie gegen die “Diktatur der Natur” (Butler) hat, anders als etwa die marxistische Vision der “klassenlosen Gesellschaft” keine “Massenbasis” – immer noch kennen die wenigsten auch nur den Begriff “gender”. Dennoch wird die Gesellschaft auf allen Ebenen “gegendert”, das heisst, die in jeder einzelnen Zelle, in der Gehirnstruktur, im Hormonhaushalt, im Körperbau eingeprägte unauslöschliche Identität als Mann oder Frau wird zum “Stereotyp” erklärt, welches es auszumerzen gilt, ebenso die Heterosexualität als “normative Normalität” (Robert Spaemann). Dass die Subversion der Identität tatsächlich zum gesellschaftspolitischen Programm werden konnte, zeugt dafür, dass sie den Machteliten nützt, denn sie sind es, die das grosse Umerziehungsprogramm des Gender-Mainstreaming durchführen – ohne jede demokratische Legitimation. Es handelt sich um eine top-down Revolution, deren Auswirkungen jeder spürt: die Auflösung tragender Normen, insbesondere im sexuellen Bereich, und den daraus mit Notwendigkeit folgenden Zerfall der Familie.

Das ist die “hervorragende Leistung”, für welche die Rhetorik-Professorin der University of California und Inhaberin des Hannah Arendt Lehrstuhls für Philosophie an der European Graduate School der Schweiz den Theodor W. Adorno Preis erhält: Sie liefert die Ideologie für die Zerstörung des christlichen Wertefundaments und der tragenden sozialen Strukturen des einzigartigen Erfolgsmodells europäische Kultur. Alle drei Jahre wird der Preis mit 50 000 Euro von der Stadt Frankfurt bei einem Festakt in der Paulskirche vergeben. Judith Butler ist der Darling grosser Stiftungen wie Guggenheim und Rockefeller, deren Fellowships sie angehört. 2004 erhielt sie den Brudner Prize der Yale University für besondere Verdienste für “lesbian and gay studies”; 2008 wurde sie mit dem Andrew W. Mellon Award ausgezeichnet, dotiert mit 1,5 Millionen Dollar, welcher den Empfängern ermöglichen soll, “unter besonders günstigen Bedingungen zu lehren und zu forschen”. Seit 2012 ist sie Gastprofessorin an der Columbia University, jener Universität, welche den exilierten Professoren Horkheimer und Adorno mit ihrem Institut für Sozialforschung in den 1930er Jahren Asyl gewährte. Die Schlussfolgerung ist unvermeidlich: die Macht- und Geldeliten wollen die “Subversion der Identität”, die Butler vertritt.

Es hat etwas Gespenstisches, dass diese eigentliche “historische Leistung” der Judith Butler in der gegenwärtigen Kritik an der Preisverleihung so gut wie gar nicht zur Sprache kommt, und die Tarnkappe der Gender-Ideologie medial weiterhin unangetastet bleibt. Ein Nebenschauplatz erhitzt die Gemüter: die Tatsache, dass die Jüdin Judith Butler eine zweideutige Haltung zu den palästinensischen Terrororganisationen Hisbollah und Hamas einnimmt und die antiisraelische Boykottinitiative BDS (Boycott, Divestment, Sanctions) unterstützt. Das hat ihr scharfe Kritik des Sekretärs des Zentralrats der Juden in Deutschland, Stephan Kramer, eingetragen, der ihr “jüdischen Selbsthass” und “moralische Verderbtheit” vorwirft, weil sie, wie er meint, Partei für Kräfte ergreift, die Israel von der Landkarte austilgen wollen.

In einem langen Artikel in der Zeitung “Die Zeit”, wörtlich übernommen von dem Blog “Mondoweiss”, konnte sich Butler ausführlich rechtfertigen. Überschrift: “Diese Antisemitismus-Vorwürfe sind verleumderisch und haltlos” (Zeit online 29.08.2012). Darin schreibt Butler:”Ich bin eine Wissenschaftlerin, die durch das jüdische Denken zur Philosophie gekommen ist, und ich verstehe mich als jemand, der eine jüdische ethische Tradition verteidigt und diese im Sinne von beispielsweise Martin Buber und Hannah Arendt fortführt. Ich wurde in der Synagoge “The Temple” in Cleveland, Ohio, unter Anleitung von Rabbi Daniel Silver ins Judentum eingeführt und entwickelte dabei radikale ethische Positionen auf der Grundlage des jüdischen philosophischen Denkens. Während meiner Einweisung ins Judentum habe ich auf Schritt und Tritt gelernt, dass es nicht hinnehmbar ist, im Angesicht von Ungerechtigkeiten zu schweigen.” In der Mondoweiss-Fassung fährt sie fort: “Es ist äusserst wichtig, dass diese Traditionen geachtet und in unserer Zeit neu belebt werden – sie repräsentieren Werte der Diaspora, Kämpfe für soziale Gerechtigkeit und den überaus wichtigen jüdischen Wert, ,die Welt zu reparieren‘ (Tikkun).” Wer, vor allem welcher Deutsche, kann es bei so viel Selbstauthorisierung durch jüdische Tradition und die Proklamation hehrer Ziele noch wagen, den Hauptschauplatz des Wirkens Judith Butlers in ein schlechtes Licht zu stellen? Sie gehört, wie ihr die “taz” zu Recht attestiert, “zu den führenden Gender- und Queertheoretikerinnen der Welt”. Die Queer-Theory will die Polarität der Hetero- und Homosexualität beseitigen zugunsten einer vollständigen Auflösung der geschlechtlichen Identität, um die “Hegemonie der Zwangsheterosexualität” abzuschaffen. Dass dies tatsächlich vor unseren Augen auf der ganze Welt geschieht, dafür hat Judih Butler die Ideen geliefert und als Aktivistin der internationalen Homo-Lobby das social engineering. Was würden wohl Martin Buber und Hannah Arendt dazu sagen? Ein radikalerer Gegensatz zur jüdischen Ethik lässt sich nicht denken. Es ist eine patriarchale Ethik, in deren Zentrum die Familie steht.

Der prioritäre Rang der Familie ist ein wesentlicher Faktor, der dem jüdischen Volk das Überleben durch alle Verfolgungen hindurch ermöglicht hat. Weit davon entfernt, die “Welt zu reparieren”, betreibt Judith Butler mit ihrer ausserordentlichen Intelligenz die Zerstörung der ethischen und sozialen Grundlagen der Familie und gefährdet so das Überleben auch unserer Gesellschaft. Die Stadt Frankfurt bleibt sich mit der Preisvergabe an Judith Butler treu. Bereits 1946 hatte sie die exilierten Marxisten Max Horkheimer und Theodor W. Adorno an die Frankfurter Universität zurückgeholt, um das von den Nazis verbotene Institut für Sozialforschung wieder zu eröffnen und so ihren Beitrag zur Re-education der Deutschen zu leisten – ein Projekt, das 1968 voll zum Durchbruch kam. Es könnte allerdings sein, dass sich sogar Theodor W. Adorno im Grabe umdrehen würde, wenn er wüsste, welche Blüten seine Kritische Theorie getrieben hat. In der Dialektik der Aufklärung schreibt er: “Mit der Verleugnung der Natur im Menschen wird nicht bloss das Telos des eigenen Lebens verwirrt und undurchsichtig. In dem Augenblick, in dem der Mensch das Bewusstsein seiner selbst als Natur sich abschneidet, werden alle Zwecke, für die er sich am Leben erhält (…), nichtig” (Fischer Tb 1971, S. 51).

Am 17. September 2012 erscheint mit einem Geleitwort von Robert Spaemann das neue Buch von Gabriele Kuby: Die globale sexuelle Revolution. Zerstörung der Freiheit im Namen der Freiheit. Fe-medienverlag, HC 456 S., ISBN 978-3-86357-032-3, EUR 19,95

Judith Butler
*Zerstörung der Freiheit
Weitere Artikel zum Thema
Frau-Männin-Menschin: Zwischen Feminismus und Gender
Wer verteidigt die Schafe vor den Wölfen
Gender – Politische Geschlechtsumwandlung
Selbsterkenntnis: Der Weg zum Herzen Jesu
Kardinal: Gender-Begriff widerspricht christlichen Werten

Eine Antwort auf Die Ideenlieferantin

  • Gassenreh, Jakob:

    Die Gender-Ideologen versuchen zwar längerfristig vergeblich, jedoch kurzfristig in vielen Bereichen schädigend gegen die “Diktatur der Natur” zu revoltieren. Es ist eigentümlich, dass über die wunderbaren Ergänzungsmöglichkeiten von Frau und Mann kaum oder nicht gesprochen wird, denn das Gehirn ist das größte „Geschlechtsorgan“. Dort finden sich die wichtigsten, prägendsten und auch bereicherndsten Unterschiede zwischen Frau und Mann in den Bereichen „physiologische Abläufe“, „zentralnervöse Informationsverarbeitung“ und „genuinen, also angeborenen Denk- und Bewertungsprinzipien“. In Denk- und Bewertungsprinzipien, welche sich eben nicht einfach beispielsweise mit unterschiedlichen sozialen Erfahrungen in der Kindheit oder sonstigen sozio-kulturellen Einflüssen erklären lassen.
    Frauen haben z. B. mehr graue Gehirnzellen und weniger verknüpfende Nervenfasern im Gehirn: „Frauen können die einen Dinge besser, Männern die anderen; wir müssen lernen, einander zu helfen“.
    Damit und mit weiteren Unterschieden in den männlichen und weiblichen Gehirnen ist eine optimale Ergänzungsmöglichkeit der beiden Geschlechter trotz Konfliktstoff gegeben; Gleichheit kann sich höchstens addieren, Verschiedenheit kann wesentlich mehr erreichen (siehe Buch: „Vergewaltigung der menschlichen Identität; über die Irrtümer der Gender-Ideologie“)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Kategorien

Die drei Säulen der röm. kath. Kirche

monstranz maria papst-franziskus

Archiv

Empfehlung

Ausgewählte Artikel