Gottesebenbildlichkeit ist die Leitlinie Europas

Heute gehört Spanien zu den Krisenländern Europas

Aber einst war es stark und stolz. Und wurde zur letzten Heimstatt für den Habsburger Karl V., in dessen Reich die Sonne nicht unterging. Von Paul Badde / Die Welt

Madrid, kath.net/DieWelt, 1. Oktober 2012

Das grosse Spanien, hiess es im Sommer, sei nun auf “Ramsch-Niveau” gefallen. Mit den Stichworten der Rating-Agenturen wird inzwischen über den phantastischen Erdteil und seine ehemals stolzesten Länder fast nur noch so geredet, als habe er sich in eine gigantische Grabbelkiste verwandelt.

Doch war da nicht noch etwas anderes? Damals, vor den Tyranneien des letzten Jahrhunderts, und bevor die Regierungen, wie Jürgen Habermas sagte, “den entfesselten, so genannten freien Märkten einfach freien Lauf gelassen haben”, als blosse Freihandelszone, wo die Europäische Union keine Gestaltungskraft mehr habe, als eine gefährdete “Welt kurz vor der Entgleisung”, in der die Bürger der wohlhabenden Länder “ihre egoistischen Vorhaben und subjektiven Rechte wie Waffen gegeneinander” richteten.

Leitlinie Europas: Ebenbildlichkeit gegenüber Gott

Habermas ist kein Bussprediger, auch kein Untergangsprophet. Als Wesenskern Europas will der “religiös unmusikalische” Philosoph dennoch entdeckt haben, dass – wie die Bibel sagt – “jeder einzelne Mensch Gottes Ebenbild ist. Weltlich übersetzt und deswegen plausibel für alle könnten wir sagen: Diese Ebenbildlichkeit gegenüber Gott meint die gleiche und unbedingt zu achtende Würde aller Menschen. Kein Mensch darf als Zweck für anderes missbraucht werden.”

Rechtsbegründend für die einzigartige politische Kultur Europas sei demnach also keine säkulare Konstruktion, sondern die theologische Leitlinie der menschlichen Gottesebenbildlichkeit.

In Habermas’ Worten: “Der egalitäre Universalismus, aus dem die Ideen von Freiheit und solidarischem Zusammenleben, von autonomer Lebensführung und Emanzipation, von individueller Gewissensmoral, Menschenrechten und Demokratie entsprungen sind, ist unmittelbar ein Erbe der jüdischen Gerechtigkeits- und der christlichen Liebesethik”.

Karl V., der letzte römisch-deutsche Kaiser

Anders und nüchterner ist es kaum zu sagen. Darum lohnt es sich, noch einmal nach Spanien aufzubrechen, nicht durch die desolate Wirtschaftssphäre, sondern zu einem Gedächtnisort dieser Gottesebenbildlichkeit, durch einen fast schon vergessenen kulturellen Raum, wo 230 km westlich von Madrid am Abhang der Sierra de Gredos – mit einem imposanten Blick in die Weite, in Steineichenwäldern versteckt – das Kloster San Jerónimo de Yuste liegt, zu dem sich Kaiser Karl V. zurückzog, nachdem er die Krone und Herrschaft über das damals grösste Universalreich der Erde niedergelegt hatte.

Reinhold Schneider hat vor Jahrzehnten noch einmal einen “historischen Essay” über den Raum geschrieben, dann wurde es wieder still um diesen letzten Ruheort des grössten Habsburgers.

Im Jahr 1530 war Karl V. vom Papst zum letzten römisch-deutschen Kaiser gekrönt worden. “Plus ultra” (immer weiter) lautete sein Wahlspruch. Sein Reich, in dem die Sonne tatsächlich nie unterging, erstreckte sich über mehrere Erdteile.
Am 25. Oktober 1555 trat er dennoch in Trauerkleidung in Brüssel in einem feierlichen Staatsakt mit den Worten zurück: “ich weiss, dass ich viele Fehler begangen habe, grosse Fehler, erst wegen meiner Jugend, dann wegen des menschlichen Irrens und wegen meiner Leidenschaften, schliesslich aus Müdigkeit. Bewusst habe ich niemandem Unrecht getan, wer es auch sei. Sollte dennoch Unrecht entstanden sein, geschah es ohne mein Wissen und nur aus Unvermögen: ich bedaure es öffentlich und bitte jeden, den ich gekränkt haben könnte, um sein Verzeihen.”

Letzter Blick auf den gepeinigten Jesus

In seiner Regierungszeit war es zur Spaltung der Christenheit in Europa gekommen. Auch die Eroberung Mexikos und des Inkareiches, der Sacco di Roma und die Abwehr der Türken fielen unter seine Regentschaft. Karl V. war ein Grosser und endete wie fast alle Politiker: im Scheitern.

Mönch wurde er danach zwar nicht, wie es lange kolportiert wurde. Gicht und Asthma peinigten ihn. Und nun liess er sich seinen Schlafraum direkt neben dem Chor der Klosterkirche einrichten, wo er ab dem 3. Februar 1557 die letzten beiden Jahre seines Lebens von seinem Bett aus direkt auf den Hochaltar blicken konnte.

Die Villa war voll von Meisterwerken seines Lieblingsmalers Tizian. Der letzte Blickwinkel seiner Augen richtete sich nun aber nicht mehr auf die verschiedenen kaiserlichen Porträts aus dessen Hand (wo er auf einem stolzer als dem nächsten blickt), sondern auf die Tabernakeltür der Klosterkirche, wo ihn der frisch mit Dornen gekrönte Jesus auf Goldgrund (Foto) aus der Hand eines unbekannten Meisters anblickte: der gepeinigte König der Könige.

Jesus, der wahre Herrscher Europas

Es waren die blutunterlaufenen Augen dieses verhöhnten Hauptes, auf die der vormals mächtigste Herrscher Europas seine Augen heftete, bis der in Flandern geborene Monarch vor diesem Antlitz am 21. September 1558 mit dem spanischen Seufzer starb: “Ay, mi Jesús!” Es ist eine einmalige Blickachse.

Darum schaut Christus hier auch nach rechts, in das Dämmerlicht der Kammer neben dem Chorraum hinein, wo der mitleidende Blick des blutbeschmierten Spottkönigs mit der Folterkrone im Haar auf den Blick des alten gepeinigten Herrschers auf seinen Seidenkissen trifft. Die Hände wie zur Abwehr hochgehoben, doch ausgebreitet wie jene Segenshände, die damals noch vielfach die Grabsteine jüdischer Rabbiner zierten.

Stunden später waren sie angenagelt. Es war der wahre Herrscher Europas, dem sich der abgedankte Herrscher des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation hier unterwarf. Er war derjenige, der uns ein für allemal das “menschliche Angesicht Gottes” gezeigt hat, wie Benedikt XVI. nicht müde wird zu wiederholen – als “laut schreiendes Geheimnis”, wie Ignatius von Antiochien schon im 2. Jahrhundert sagte.

So begegnete uns Gott, der selbst den Weg zurückgelegt hatte von der Herrlichkeit zu einem schmerzvoll aufgedunsenen Gesicht ohne Hoffnung, voller Trauer. Aus dieser Talsohle konnte nur Gott retten. Der Blickschacht auf dieses Bild im fernen Spanien lässt den Urgrund Europas erahnen, in bestürzender Verdichtung von Ohnmacht und Solidarität und Herrlichkeit.

“Seht, welch ein Mensch!”

Gott ist kein Arbeitsloser

“Spanien hat die höchste Arbeitslosenquote der Welt”, lesen wir heute aber stattdessen wieder in den Nachrichten. Da stimmt etwas nicht mehr. Europas Ressourcen sind nicht versiegt, aber sie werden nicht mehr abgebaut. Die Gottesebenbildlichkeit des Menschen, deren Bewusstsein im Abendland verankert war wie in keinem anderen Kontinent, hat hier offensichtlich ihre Prägekraft verloren.
Gott ist kein Arbeitsloser. Und natürlich eignet sich das Porträt dieses Spottkönigs nicht, um es den Münzen des Euro einzuprägen und allen Banknoten der neuen Währung Europas, anstelle der Brücken und Bauten und Ruinen des Abendlands. Doch wo in Europa gibt es ein europäischeres Porträt? Ecce Homo!

Schmalkaldischer Krieg
KlosterYuste
Bartholomäus de Las Casas

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