“Alle Hilfen für die Kirche gekappt”

Interview mit Bischof Mariano Parra von Ciudad Guayana / Venezuela

Am Sonntag finden in Venezuela Präsidentschaftswahlen statt. Die Spannungen sind in dem südamerikanischen Land so gross wie lange nicht mehr.

Das gilt auch für die Lage der Kirche im Land, ihre pastorale Arbeit wie ihre politische und finanzielle Situation. Darüber sprachen wir mit Bischof Mariano José Parra Sandoval aus Ciudad Guayana im Osten Venezuelas.

Kirche in Not: Exzellenz, wie erlebt die Öffentlichkeit den Wahlkampf, der der vierzehnjährigen Regentschaft von Hugo Chávez ein Ende bereiten könnte?

Bischof Mariano José Parra Sandoval: Mit Spannung. Der Präsident und der Kandidat liefern sich im Wahlkampf ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Das Endergebnis wird sicher durch einen kleinen Stimmenunterschied entschieden. Wir wissen allerdings nicht, ob der bei der Wahl Unterlegene das Ergebnis anerkennen wird.

Hat sich Venezuela in den letzten vierzehn Jahren stark verändert?

Ja, sehr stark. Objektiv gesehen, müssen wir feststellen, dass einige Änderungen positiv waren, so etwa die Wiedereingliederung der Armen ins Leben des Landes. Frühere Regierungen hatten die Armen ausgeschlossen. Einige hatten ihre Herkunft vergessen und ihre Bemühungen in den Dienst der Reichen gestellt. Chávez hat den armen Menschen eine Stimme verliehen und geholfen, dass sie am Leben des Landes Anteil nehmen. Das kann nicht geleugnet werden.

Auf der negativen Seite ist zu sagen, dass in den letzten Jahren die Gewalt, insbesondere die Jugendgewalt, enorm gestiegen ist: 15- bis 25-Jährige bringen einander um. Ebenfalls zugenommen haben Korruption und Arbeitslosigkeit, was wahrscheinlich auf die Mängel im Erziehungswesen während dieser vierzehn Jahre zurückzuführen ist. Zusammenfassend ist zu sagen: Der Präsident hat viele gute Ideen gehabt, die er allerdings nicht so gut in Taten umsetzen konnte.

Wie gestalten sich heute die Beziehungen zwischen Staat und Kirche?

Auf lokaler Ebene sehr gut. In meinem Bistum fördert der Bürgermeister den Bau unserer Kathedrale, zwar nicht finanziell, aber er unterstützt ihn auf institutioneller Ebene mit Werbemassnahmen.

Auf nationaler Ebene sieht die Lage anders aus. Die Regierung kappte jegliche finanzielle Hilfe für die Kirche. Dies geschah auf Anordnung der Regierung und hat uns wirtschaftlich hart getroffen. Die Kirche  in Venezuela war daran gewöhnt, eine hohe finanzielle Unterstützung vom Staat zu bekommen. Wenn dies wegfällt, bleibst Du arm, sehr arm.

Befindet sich die Kirche in Venezuela also in Not?

Ja, so ist es. Die Kirche in Venezuela ist eine arme Kirche. Allerdings freue ich mich darüber.

Inwiefern?

Weil wir so nicht vom Staat, sondern von uns selbst abhängig sind. Die Gläubigen müssen sich dessen bewusst werden, dass wir, die Katholiken, die Kirche zu tragen haben. Das befreit uns, was mich glücklich macht.

Selbstverständlich ist der Übergang von der Finanzierung durch den Staat zur Selbstfinanzierung schwierig, aber wir werden es nach und nach schaffen. Bis dahin leben wir von den Spenden der Gläubigen und von der internationalen Unterstützung, etwa durch das Hilfswerk Kirche in Not, das immer auf unsere Hilferufe geantwortet hat.

Gibt es weitere Schwierigkeiten seitens der Regierung?

Ja, zum Beispiel haben wir zurzeit ein Problem mit Visa für ausländische Ordensleute: Sie bekommen kein Visum, weshalb sie das Land verlassen müssen. Wenn keine Lösung gefunden wird, müssen beispielsweise vier Schwesterngemeinschaften ausreisen.

Darüber hinaus hilft die Regierung den sogenannten “Priestern von unten”. Sie versucht, die Pfarrer und die Hierarchie zu entzweien. Allerdings ist ihr das lediglich am Rande gelungen, was keine echte Trennung bedeutet. In diesem Sinne ist dieser Versuch gescheitert.

Welche sind die wichtigsten Bedürfnisse der Kirche in Venezuela? Zunächst einmal der Unterhalt der Ordensschwestern. Viele von ihnen arbeiten in der Pastoral und in der Verkündigung. Obwohl sie eine ganz wichtige Arbeit leisten, erhalten sie weder Spenden noch Mess-Stipendien, denn sie feiern ja keine Messe. Viele von ihnen arbeiten in sehr armen Stadtvierteln.

Ebenso wichtig ist der Bau von Pfarrkirchen. Denn die Stadtviertel wachsen schnell – es werden fast ganze Städte ohne Kirchen gebaut. Ein Drittes wäre der Unterhalt der Priesteramtskandidaten. Ich habe 15 Seminaristen in meiner Diözese, von denen nur einer die Ausbildung selbst tragen kann. Die übrigen Seminaristen kommen aus armen Verhältnissen. So arm die Familien auch sind, tragen sie zwar etwas bei, aber das reicht nicht aus.

Vor welchen Herausforderungen steht die Kirche in Venezuela?

An erster Stelle die Neuevangelisierung. Venezuela besitzt zwar eine katholische Tradition und Kultur, aber in der Praxis gibt es wenige Katholiken. Mit vielen Venezolanern, die sich als katholisch bezeichnen, müssen wir in der Evangelisierung bei Null anfangen.

Eine weitere Herausforderung betrifft die Arbeit, Berufungen für das Priesteramt zu suchen, weil wir im Vergleich zu den Bevölkerungszahlen wenige Priester haben. In meiner Diözese betreuen Geistliche bis zu 70 000 Menschen. Zu einer einzigen Pfarrei gehören so viele Menschen wie zu vielen Diözesen in der Welt. Die Priester kommen mit der Arbeit kaum nach.

Eine dritte Herausforderung besteht darin, dem Laien seine Rolle in der Evangelisierung bewusst zu machen. In Venezuela erwarten die Laien, dass die Priester die ganze Evangelisierungsarbeit leisten. Sie verstehen nicht, dass auch sie als Zeugen Christi in ihrer Umgebung diese Arbeit auf sich nehmen sollen.

Was stellen Sie an der Arbeit von Kirche in Not heraus?

Ich bin sehr dankbar, dass Kirche in Not immer geholfen hat, wenn meine Priester und Ordensschwestern in Not waren. Ich möchte vor allem die Bereitschaft der Wohltäter herausstellen, mit den Schwesternkirchen zu teilen. Diesen Geist konkretisierte ihr Gründer Pater Werenfried van Straaten so, dass die reicheren Kirchen an der Evangelisierung der über weniger Mittel verfügenden Kirchen teilnehmen, indem sie ihre eigenen Mittel teilen.

Das lässt Kirche erleben.

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