“Die Hölle ist ein Zustand”

Pater Pedro Barrajón leitet in Rom einen Kurs für angehende Exorzisten

Ein Gespräch über die Macht des Teufels, reine Geister und die Position des Papstes

Die Welt, 2. Dezember 2005 von Paul Badde

Die Welt: Kurz nach seiner Wahl begrüsste Benedikt XVI. eine grosse Gruppe von Exorzisten. War das ein Signal?

Professor Pedro Barrajón: Nein, das war nur ein routinemässiges Treffen der Exorzisten Italiens. Die Lehre der katholischen Kirche zum Bösen ist seit Jahrhunderten unverändert.

Die Welt: Was lehrt sie?

Barrajón: Sie basiert in erster Linie auf der Bibel, nach der Gott alle Wesen geschaffen hat: die Menschen ebenso wie die reinen Geister, also auch die Engel und Dämonen.

Die welt: Gott hat die Dämonen geschaffen?

Barrajón: Er hat alles geschaffen. Nach christlicher Tradition sind Dämonen und Teufel gefallene Engel. Es sind Engel, die gegen Gott revoltiert haben und weiter rebellieren seit Beginn der Schöpfung.

Die Welt: Wie konnte Gott das Böse dann überhaupt je zulassen?

Barrajón: Unserer Freiheit zuliebe! Das Böse ist notwendig an das Geschenk der Freiheit geknüpft. Gott hat den Menschen frei geschaffen. In der Abwägung zwischen der Zulassung des Bösen und der Gabe der Freiheit hat er sich für die Freiheit entschieden. Ohne die Möglichkeit der freien Wahl zum Guten oder Bösen gibt es keine Freiheit. Das heisst: Gott schätzt die Freiheit höher als all unsere Sünden. Tiere sind nie böse – sie sind aber auch nie frei. Mit der Freiheit hat Gott uns über die Tiere erhoben.

Die welt: Wie müssen wir uns die reinen Geister vorstellen?

Barrajón: Sie haben Willen. Sie haben Intelligenz. Aber sie haben keine Sinne. Sie haben keinen Körper. Körper sind allein Attribute des Menschen und der Tiere.

Die Welt: Nach dem Glauben der Christen ist Gott eine Person. Sind das Böse und der Teufel auch Personen?

Barrajón: Der Schweizer Theologe Karl Barth sagte, der Dämon ist eine unpersönliche Person. Denn was ist eine Person? Es ist ein Wesen mit einer spirituellen Natur, mit Intelligenz und Willen, in der die Intelligenz die Wahrheit sucht und der Wille das Gute. Der Dämon hat Intelligenz und Willen, doch sein Wille sucht das Böse und seine Intelligenz das Unwahre. In diesem Sinn sagte Karl Barth, der Teufel sei eine persönliche Nichtperson, er nennt sie “das Nichtige”.

Die Welt: Hat er ein Gesicht?

Barrajón: Nein. Aber Gott kann zulassen, dass Engel wie Dämonen physische Erscheinungsweisen annehmen. So können Engel den Menschen erscheinen, um ihnen Botschaften zu überbringen. Und so kann Gott auch zulassen, dass Dämonen physische Qualitäten annehmen und in der Weise von Menschen oder Tieren erscheinen – das betrifft aber nicht ihr Wesen. Sie können diese Formen nur annehmen. Sie haben sie nicht.

Die Welt: Haben sie Geruch?

Barrajón: Von einigen Heiligen wird berichtet, dass sie Teufel riechen konnten – wie die grosse Teresa von Avila. Der Satan stank für sie.

Die Welt: Nach Schwefel?

Barrajón: Manche Heilige sagen das so. Es ist wohl vor allem nur widerlicher Gestank.

Die Welt: Was ist die Heimat der Dämonen? Die Hölle?

Barrajón: Ja. Die Hölle wurde für sie geschaffen, nicht für die Menschen.

Die Welt: Auch die Hölle wurde geschaffen?

Barrajón: Ja. Die Engel wurden ja geschaffen, folglich auch gefallene Engel, folglich auch die Hölle. Es ist keine Selbstschöpfung. Die Hölle ist auch kein Platz, es ist ein Zustand. Es ist der Zustand, in dem die Dämonen zu sich selbst finden: in ihrem Hass gegen Gott. Es ist der Zustand der Negation der Liebe. Gott ist die Liebe. Hölle ist die Gegenliebe – es ist der Hass. Hölle ist eine Vorstellung vom Zustand dieses Geistes. Hölle ist der Zustand des ewigen Nichtliebens. Es ist auch das ewige Nichtannehmen der Liebe Gottes.

Die Welt: Gibt es objektive Kriterien zur Erkenntnis, dass ein Dämon von jemandem Besitz ergriffen hat?

Barrajón: Der neue Ritus des Exorzismus fasst die Kriterien für den Fall der Besessenheit sehr klar zusammen. Das Deutlichste ist für mich als Priester die tiefe Aversion gegen heilige Objekte, wie das Kreuz, der Rosenkranz oder Kreuzzeichen. Auch die Aversion gegen das Wort Gottes, bei deren Lektüre solche Personen ganz nervös werden. Weniger wichtige Kennzeichen sind übernatürliche Fähigkeiten, die diese Personen plötzlich entwickeln können. Dass sie Fremdsprachen sprechen, die sie nie gelernt haben. Dass sie sogar levitieren: dass sie schweben und die Schwerkraft überwinden können. Manchmal werden sie unerklärlich stark und gewalttätig. Es ist jedoch nicht so einfach, Fälle von Besessenheit genau zu bestimmen. Ich lade die Personen immer zuerst ein, einen Nervenarzt oder Psychiater aufzusuchen, bevor ich mich weiter mit ihrem Fall befassen will. Wenn ich von diesen Fachleuten den Hinweis bekomme, dass sie nicht weiterwissen, kann ich mit einer spirituellen Behandlung beginnen. Grob lässt sich sagen, dass unter zehn Personen, die um einen Exorzismus nachfragen, ein Fall wirklicher Besessenheit dabei ist.

Die Welt: Gibt es Gründe für Besessenheit?

Barrajón: Wir kennen sie nicht. Wir können auch nicht sagen, warum ein Mensch Krebs bekommt und der andere nicht. Wir haben auch keine Erklärung dafür. Wir wissen nur, dass Gottes Macht und Liebe grösser ist – bei unseren physischen wie spirituellen Krankheiten. So muss die Besessenheit gesehen werden.

Die Welt: Wie verläuft ein Exorzismus?

Barrajón: Die Kirche verlangt von dem Priester, der eine solche “Austreibung” durchführt, zuerst die moralische Gewissheit, dass es sich um Besessenheit handelt. Absolute Sicherheit gibt es ja nicht. Darum ist es für einen Exorzisten höchst bedeutsam, dass er ein Mann des Gebets und des Fastens ist.

Die Welt: Und dann?

Barrajón: Der Exorzismus ist ein grosses offizielles Gebet, in der die Kraft der Kirche gegenwärtig ist. Das ist der Kern. Manchmal wird Weihwasser dazu benutzt oder Weihrauch, und immer ein Kruzifix in den Händen des Priesters. Mehrere Personen sollen ausser dem Priester dabeisein für den Fall, dass der Besessene gewalttätig wird. Die Menschen verändern sich nämlich in der Teufelsaustreibung. Sie bleiben dabei nicht mehr die gleichen. In diesem Ritus gibt sich der Dämon zu erkennen angesichts der Gegenwart Gottes und mehrerer Menschen, die gemeinsam beten. Oft wird er gewalttätig, weil er weiss, dass er in gewisser Weise schon überwunden ist. Die Stimme eines Besessenen ändert sich dabei normalerweise und wird sehr unangenehm.

Die Welt: Auch erschreckend?

Barrajón: Überhaupt nicht. Mir tut in solchen Momenten immer nur der Mensch leid, der besessen ist. Denn er leidet – und du siehst, dass er leidet. Doch zur gleichen Zeit bist du froh, weil du weisst, dass der Exorzismus ihn von dieser Pein befreien wird. Jeder Exorzismus beginnt mit einer Anrufung des dreifaltigen Gottes: des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Daran schliesst sich eine Lektüre von Abschnitten aus der Bibel an, bevor eine Art Dialog zwischen dem Exorzisten und der besessenen Person beginnt, worin der Exorzist nach dem Namen des Dämons fragt. Das ist immer ein schwieriger Moment. Das Böse will sich nie offenbaren. Oft lügt er.

Die Welt: Warum will er seinen Namen nicht preisgeben?

Barrajón: Der Name enthüllt sein Wesen. Franz Rosenzweig sagte einmal, der Name sei nicht “Schall und Rauch”, sondern “Wort und Feuer”. Der Name Jesus bedeutet “Gott rettet”. Isaak, Jakob, all diese Namen haben eine besondere Bedeutung. Und immer enthüllt er das Wesen der Person. Wenn ich meinen Namen nenne, sage ich auch: Ich bin hier. Kein Dämon will jemals seinen Namen nennen.

Die Welt: Und wenn er ihn genannt hat?

Barrajón: Am Ende sagt der Priester zu dem Dämon: Geh weg! Verschwinde! Meistens antwortet der Dämon dann zuerst: Nein. Ich will nicht. Er rebelliert und revoltiert. Manchmal sagt er: Du hast keine Macht über mich. Du bist ein Nichts für mich. Nach und nach lässt dann sein Widerstand nach. Meistens geschieht dies nach Anrufungen der Gottesmutter, die dafür sehr wichtig ist. Kein Dämon wagt jemals, sie in einem Exorzismus zu beleidigen. Nie.

Die Welt: Hat er vor Maria mehr Respekt als vor Gott selbst?

Barrajón: Offensichtlich. Sonst werden alle beleidigt: die Priester, alle, die zugegen sind, die Bischöfe, der Papst, sogar Jesus Christus, doch nie die Jungfrau Maria. Es ist ein Mysterium.

Die Welt: Und dann?

Barrajón: Nun, ein Exorzismus kann bis zu einer Stunde dauern – und schliesst mit Gebeten ab. Es empfiehlt sich, ihn nicht zu lange dauern zu lassen, weil dieser Kampf für alle Anwesenden sehr schwer und anstrengend ist – auch für die Person selbst. Nach dem Exorzismus fühlen alle eine grosse Erleichterung, als könnten sie neu atmen. Doch in vielen Fällen wird auch ein neuer Exorzismus notwendig. Ich kenne Fälle, bei denen Personen erst nach mehreren Exorzismen völlig frei wurden und ein neues Leben beginnen konnten. Oft sagen sie, dass es für sie wie eine Neu-Geburt sei.

Die Welt: Nun gibt es doch soviel Böses in der Welt. Sehen Sie sich all die Kriege an, all die Massaker, die Tyrannen und Mörder. Ist es da nicht eigenartig, dass der Teufel auch noch mit einzelnen armen Menschen sein Spiel treibt und sich ihrer bemächtigt? Hat er nichts Besseres zu tun: Schlimmeres? Ist er nicht schon beschäftigt genug?

Barrajón: Das ist wirklich ein Geheimnis. Fälle von Besessenheit scheinen mir wie die böse Kehrseite ebenfalls unerklärlicher Wunder, die wir auch beobachten können. Der Teufel ist überall gegenwärtig, wo Böses innerhalb der normalen Naturgesetze geschieht. In jedem, der sagt, ich akzeptiere die Liebe nicht, die Liebe zu meinen Brüdern und Schwestern, die Liebe zu Gott. Also an sehr vielen Orten, in allen Massakern, in jedem Mord, in physischen Katastrophen, in jedem Konzentrationslager, in jedem Bösen. Manchmal manifestiert er sich merkwürdigerweise aber auch in Fällen von Besessenheit. Sehr viel gefährlicher ist er aber, wo er sich nicht zu erkennen gibt und nicht mit einem Exorzismus vertreiben lässt. Keine Frage.

Das Gespräch führte Paul Badde

Quelle
Amorth

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