Höllenlärm statt Heiliger Geist
Ein Pfingstfest der besonderen Art
Vatican-Magazin, Editorial 6-7/2012, von Guido Horst
Ein Pfingstfest der besonderen Art, an das in dieser ersten Doppelnummer unseres Magazins für den Sommer zu erinnern ist. War es nicht auch jetzt ein wenig so wie zu Ostern in Rom im Jahr 2010? Damals, vor über zwei Jahren, hatten die Enthüllungen von sexuellen Missbräuchen durch Kleriker vor allem in angelsächsischen Medien plötzlich eine scharfe Wende gegen Benedikt XVI. genommen. Opferverbände in den Vereinigten Staaten und ihre Anwälte bauten – mit dem entsprechenden Echo der internationalen Medien – eine gewaltige Druckkulisse auf, die das Osterfest mit dem Papst in Rom zu erdrücken schien.
Am vergangenen Pfingstsonntag dann ging es wieder um Opfer, diesmal nur um eines, die fünfzehnjährige Tochter eines Vatikanangestellten, Emanuela Orlandi, die 1983 unter nie geklärten Umständen verschwunden ist. Ein Demonstrationszug, angeführt vom Bruder der Vermissten, war zum Petersplatz gezogen, auf Transparenten forderte man die Aufklärung des Falls und vom Papst ein tröstendes Wort. Als aber Benedikt XVI. beim Gebet des “Regina coeli” nach dem Pfingstgottesdienst den Namen Emanuelas nicht nannte, begannen die Demonstranten zu schreien. “Schande – Schande”-Rufe hallten unter den Kolonnaden. Doch warum sollte der Papst ausgerechnet an diesem Tag – und immerhin 29 Jahre nach dem Verschwinden des Mädchens – etwas zu Emanuela sagen? Und hatte der Vatikan nicht gerade erst sein Einverständnis gegeben, einen in der päpstlichen Basilika Sant’Apollinare begrabenen Gangsterboss exhumieren zu lassen, weil Gerüchte aufgekommen waren, die Leiche Emanuelas liege ebenfalls in dem Gangster-Sarg? War diese Demonstration jetzt der Dank für die Kooperation des Vatikans bei den Ermittlungen im Fall Orlandi?
Dabei hatte der Papst schon unmittelbar zuvor einen unschönen Doppelschlag erhalten. Der aus Bankfachleuten bestehende Aufsichtsrat des vatikanischen Bankhaus IOR hatte dem Chef der “Papstbank”, dem Laien Ettore Gotti Tedeschi, in einer solch brüsken Weise das Misstrauen ausgesprochen, dass auch die Kardinals-Kommission zur Aufsicht über das IOR, die dann einen Tag später tagte, hinter diesen Schritt nicht mehr zurück konnte und einen kommissarischen Leiter des Geldinstituts bestellte. Es war Benedikt XVI. selbst gewesen, der Gotti Tedeschi vor zweieinhalb Jahren in dieses Amt berufen hatte.
Und am Tag darauf schliesslich gab eine knappe Mitteilung des vatikanischen Presseamts bekannt, dass der Kammerdiener des Papstes verhaftet worden sei. Diese Nachricht von der Enttarnung des “Maulwurfs” schlug in Rom ein wie eine Bombe. Schönes Pfingsten! Kurz zuvor hatte Papst Benedikt auf dem Petersplatz vor fünfzigtausend Anhängern der Charismatischen Erneuerungs-Bewegung gesprochen, am Feiertag dann hielt er die Pfingstpredigt. Die Medien aber scannen seine Ansprachen nur nach Sätzen durch, die irgendwie auf die Skandale jener Tage bezogen sein könnten. Die normale päpstliche Verkündigung ist von “Fällen” und “Aufregern” überlagert – wie damals vor zwei Jahren, in den Wochen und Monaten des Missbrauchsskandals. Der amerikanische Vatikankenner John Allen schrieb jetzt, dass vor allem dieser Papst, der Deutsche Joseph Ratzinger auf dem Petrusstuhl, sehr wichtige und interessante Dinge zu sagen habe. Aber wer nimmt diese Dinge noch wahr? Und man könnte hinzufügen, dass der Papst vor allem jetzt Wesentliches zu verkünden hat: kurz vor Beginn des Konzils-Jubiläums und dem “Jahr des Glaubens”. Doch gegen die fast hysterische Aufregung der Medien kommt auch Benedikt XVI. fast kaum noch an. Die Chefs der Online-Dienste, Zeitungen oder Fernsehredaktion setzen ihre Vatikanberichterstatter unter Druck: Wer kann als erster neue Verdächtige nennen, wer eine heisse Spur aufdecken, wer enthüllen, was der Vatikan erst morgen offiziell bekannt geben wird? Und dieselben Medien sind es dann, die nach den wüstesten Schlagzeilen die Frage nach der “governance” dieses Papstes stellen.
Herrschaftszeiten!, möchte man sagen. Die Botschaft Benedikts muss wirklich wichtig sein, sonst würde der grosse Verwirrer nicht einen solchen Höllenlärm provozieren, um sie ungehört verhallen zu lassen.
Quelle Vatican Magazin
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