Gerüchte und journalistische Konstruktionen: cui bono?
Wie zwischen Kardinal Bertone und Prälat Gänswein ein Keil getrieben werden soll
Benedikt XVI. in einem Brief an seinen Staatssekretär: “Ich möchte Ihnen erneut mein persönliches Vertrauen bekunden”. Von Armin Schwibach
Rom, kath.net/as), 4. Juli 2012
Die weisse Katze ist aus dem Haus. Geblieben sind die Mäuse, Maulwürfe und Raben, vor allem aber die vielen fleissigen Ameisen auf allen Ebenen des komplexen Baus des Vatikans, die Tag um Tag kompromisslos, treu und im Stillen ihren Dienst verrichten, damit sich die Katze ihren eigentlichen Aufgaben widmen kann. Gewiss, Raben, Maulwürfe und ab und zu auch lästige Mäuse strengten sich sehr an, sie dabei zu stören, ja ihr diese Arbeit vielleicht sogar zu verunmöglichen. Aber im Endeffekt ist ihnen das nicht gelungen, selbst wenn das Wühlen, Picken und Krächzen seine unschönen Spuren hinterlassen hat.
Seit Dienstag Nachmittag ist Papst Benedikt XVI. nun in der Sommerresidenz von Castel Gandolfo, wo er seit 2010 regelmässig seinen Urlaub verbringt. Benedikt XVI. gehört wie seine Vorgänger Paul VI. und Pius XII. zu den Päpsten, die eine besondere Liebe zum kleinen Ort in den Albaner Bergen haben. Er bietet ein angenehmes Klima auch bei grösster Hitze, im Palast steht eine gut ausgestattete Bibliothek bereit und seine Mitarbeiter bemühen sich, dem Papst, der auch in Rom ein bescheidenes und fast mönchisches Leben führt, ein diskretes Umfeld zu gewährleisten.
Die gut Informierten munkeln, Benedikt XVI. wolle den dritten Band seines Jesus-Buches über die Kindheitsgeschichte abschliessen. Andere wieder “wissen”, dass es nur mehr um Feinarbeiten geht und das Buch bereits in die verschiedenen Sprachen übersetzt wird. Ein weiteres Gerücht weiss von einer neuen Enzyklika zu berichten, die nach der “caritas” und der “spes” die “fides” zum Gegenstand haben wird und anlässlich des bevorstehenden “Jahres des Glaubens” das Licht der Welt sehen soll. Es ist dies einer der seltenen Fälle, bei dem man zu hoffen beginnt, dass es sich nicht nur um Gerüchte handelt.
Paolo “Paoletto” Gabriele, der untreue Kammerdiener des Papstes, wird heute seinen 41. Tag als Häftling in einem kleinen Zimmer der Kaserne der vatikanischen Gendarmerie verbringen. Kommende Woche werden die formalen Verhöre zu einem Abschluss kommen, da die auf 50 Tage beschränkte Untersuchungshaft ausläuft. Diese kann jedoch um weitere 50 Tage verlängert werden. Ob und wie dann Anklage erhoben wird, bleibt abzuwarten. Ein Prozess könnte auf jeden Fall erst im Oktober beginnen.
Zum Spionage- und Dokumentendiebstahlskandal “Vatileaks” wird es in den kommenden Tagen Neuigkeiten geben, wie dies auch der Direktor des vatikanischen Presseamts, P. Federico Lombardi SJ, bei einem Briefing ankündigte. Die vom Papst eingesetzte Untersuchungskommission, die sich aus den Kardinälen Tomko, Herranz und De Giorgi zusammensetzt, wird noch im Juli einen abschliessenden Bericht vorlegen. 28 Personen wurden bisher angehört. Ob dieser veröffentlicht werden wird oder welche Teile der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, ist noch nicht beschlossen. In den vergangenen Tagen hatte der für seine Diskretion bekannte Kardinal Herranz “Überraschungen” angekündigt. Und auf diese Überraschungen warten nicht nur die Journalisten.
Ach ja, die Journalisten oder Vatikanisten: sie haben im Moment kein leichtes Leben, wurde doch der ansonsten übliche Informationsfluss aus den “sacri palazzi” gerade durch “Vatileaks” gestoppt. Dies führt dazu, dass oft statt der Berichterstattung über Fakten hanebüchene Konstruktionen angesagt sind. Diese arbeiten sich vor allem auch an einer der Hauptpersonen ab, die durch die Umstände der Dokumentenflucht besonders ins Rampenlicht gezerrt wurde: Kardinalstaatssekretär Tarciso Bertone. Ende Juni hätte dieser dem Papst seinen Rücktritt angeboten, den Benedikt XVI. erneut abgelehnt hätte, wusste eine der grössten italienischen Zeitungen zu berichten.
Gleichzeitig unterstützte sie ihre These mit in Anführungsstrichen gebotenen Zitaten aus dem Gespräch zwischen Bertone und Benedikt XVI. Und wieder war es Aufgabe von P. Lombardi das zu tun, was mittlerweile fast zu seinem täglichen Brot geworden ist: eine journalistische Konstruktion dementieren.
Indes sprach Benedikt XVI. in einem Brief vom 2. Juli seinem Kardinalstaatssekretär erneut sein Vertrauen aus und verteidigte ihn gegen “ungerechte Kritik” gegen seine Person. Sein Schreiben vom Januar 2010, mit dem der Papst Bertone in seinem Amt bestätigt hatte, bleibe unverändert gültig. Ausdrücklich dankte der Papst Bertone für dessen treue Verbundenheit und den klugen Rat, der ihm gerade in den letzten Monaten sehr geholfen habe.
Ein “Hauptvergnügen” gewisser Berichterstatter scheint darin zu bestehen, Keile zwischen verschiedene Institutionen und Personen des Heiligen Stuhls zu treiben. Dabei ist es sehr beliebt, die Welt glauben zu machen, dass es einen Gegensatz zwischen den symbolischen Orten der vatikanischen “Macht”, dem Staatssekretariat und dem päpstlichen “Appartamento”, und namentlich zwischen Kardinal Bertone und dem päpstlichen Privatsekretär Prälat Georg Gänswein gibt. Immer mehr sollen sich die beiden Einrichtungen und Personen voneinander entfernt haben. Unterschwellige Kämpfe sollen zwischen “Bertonianern” und der Partei um die Kardinäle Ruini und Bagnasco stattfinden. Letztere fände in Don Georg ein offenes Ohr, so dass das “Appartamento” die Funktion eines “Machtausgleichs” zwischen den beiden Fraktionen hätte, vor allem wenn es um Bischofsernennungen in Italien und das Verhältnis zur Politik geht. Von “Bruch”, “Mauer” und “Eiszeit” im dritten Stock des Apostolischen Palastes wird geredet, was durch falsche Darstellungen von mittlerweile historischen Einzelsituationen untermauert werden soll. Eine “Schlacht” soll geschlagen werden, bei der die Kämpfer um den “letzten Rat an den Papst” Bertone und Gänswein heissen und mit gezücktem Schwert durch die Gänge der “Terza Loggia” stürmen.
Derartige Konstruktionen können nur als abstrus, ja schwachsinnig bezeichnet werden, wie aus der Kurie verlautet. Es scheint das Anliegen einiger zu sein, der Hypothese eines gewalttätigen “Bruchs” zwischen der Partei der “Diplomaten” der “alten Riege” und den ganz dem Werk der Erneuerung und Reinigung gewidmeten “Hirten” als Selbstläufer Leben zu verleihen, dies auch mit der Unterstützung einiger Elemente der Kurie selbst.
Andere dagegen lieben es, die beiden engsten Mitarbeiter Benedikts XVI., Kardinal Bertone und Prälat Gänswein, auseinander zu dividieren. Ziel der Operation ist, die Kirche als solche zu delegitimieren, das Ansehen der Kurie zu kompromittieren und damit die Glaubwürdigkeit der Kirche zu beschädigen. In den letzten Monaten ist deutlich geworden: im Mittelpunkt des Kreuzfeuers steht der Papst, dessen klare Aufräum- und Säuberungsaktion nicht von allen gelitten wird. Dabei wird, wie dies der italienische Politiker Rocco Buttiglione ausdrückte, “von ausserhalb der vatikanischen Mauern” geschossen, während die Muntition fleissig “von Innen” geliefert wird.
In wenigen Tagen wird nun Kardinal Herranz dem Papst über die Arbeiten der Kardinalskommission Bericht erstatten. Mit den angekündigten “Überraschungen” dürfte eine schwere Zeit ihr Ende finden. Dann wird es notwendig sein, sich ganz dem Wesentlichen zu widmen: der Verkündigung und Lehre Benedikts XVI., die wie eine funkelnde Diamantenspitze aus dem Schlamm hervorleuchtet und ihre Leuchtkraft trotz allem nicht eingebüsst hat.
Das kommende “Jahr des Glaubens” ist der Mittelpunkt dieses Pontifikats. Alle bisherigen Anstrengungen Benedikts XVI. führen hin zu diesem Moment, von dem aus der Papst die Weichen für die Zukunft der Kirche und sein weiteres Wirken für die Erneuerung des Glaubens stellen wird. Es gilt, diesen Kairós nicht fahrlässig verstreichen zu lassen.
Rückendeckung für Kardinalstaatssekretär
Bandenkrieg der Kardinäle? Gerüchte und journalistische Konstruktionen
Biographie: Kardinalstaatssekretär Bertone
Vatikan: Bestätigung von Kardinal Bertone im Amt, 15. Januar 2012
Machtkampf im Vatikan?
Schreibe einen Kommentar