Meisner: ‘Ich frage mich oft mit bebendem Herzen…’

Der eigentliche Dienst des Priesters

Kardinal Meisner predigte anlässlich der Priesterweihe über den Kern des priesterlichen Dienstes: “Vor dem Angesichte Gottes stehen und ihm in die Augen und ins Herz schauen für alle, die unserer Seelsorge anvertraut sind”.

Köln, kath.net/pek/pl, 16. Juni 2012

“Der eigentliche Dienst des Priesters” ist es, “vor dem Angesichte Gottes stehen und ihm in die Augen und ins Herz schauen für alle, die unserer Seelsorge anvertraut sind”. Das sagte Joachim Kardinal Meisner, Erzbischof von Köln, am Freitag in seiner Predigt zur Priesterweihe. Weil der Priester “personifizierter Bund und damit entprivatisiert in den Raum der Kirche zugunsten der Menschen hinein” ist, “darum kann es den Priester nie rein privat geben”.

Predigt von Erzbischof Joachim Kardinal Meisner zur Priesterweihe im Hohen Dom zu Köln am Herz-Jesu-Fest, dem 15. Juni 2012

Liebe Weihekandidaten, liebe Mitbrüder im geistlichen Dienst, liebe Schwestern und Brüder!

1. Mit jedem Priester wird der Kirche die Möglichkeit geschenkt, das neue und ewige Bundesopfer Christi in seinem Blute neu zu feiern. Damit wird den Menschen die Verheissung Gottes zur Gewissheit: “Ich bin euer Gott, und ihr seid mein Volk” (Lev 26,12). Der Mensch ist nicht ins Dasein hineingestossen, sondern von der Liebe Gottes hineingehalten, die sich an den Menschen durch das Weihepriestertum gebunden hat: “Ich bin euer Gott, und ihr seid mein Volk”. Das feiern wir heute. In der Priesterweihe werden unsere Weihekandidaten – wie der Apostel Paulus sagt – zu Menschen in Christus, und zwar in einer unvergleichlichen Weise. Der Status Christi ist dann normierend für das Stehen des Priesters vor Gott und in der Welt. Christus steht in einer Doppelrolle. Er ist einerseits der Vertreter Gottes bei uns, und er ist andererseits auch unser Vertreter bei Gott. Er ist der Anwalt Gottes unter den Menschen und der Anwalt des Menschen vor dem lebendigen Gott. Als Gottmensch ist er der personifizierte Bund von Gott und Mensch selbst.

2. Hier liegt die Wurzel unserer priesterlichen Berufung: personifizierter Bund zu sein. Das geschieht an euch, liebe Weihekandidaten, in dieser Stunde. Darum ist uns Priestern ja auch die eheliche Bindung an einen Menschen versagt, weil wir personifizierter Bund zwischen Gott und allen Menschen sind. Wir sind ausschliesslich vergeben an Gott und an die Menschen. In unserem Priestertum ist alles personifiziert. Dort, wo der Priester seine Person in seinen Dienst nicht mit einbringt, verliert das Priestertum seine Mitte. Darum seid ihr heute persönlich vor dem Weihealtar erschienen, denn eine Fernweihe wie etwa bei einer Ferntrauung ist hier nicht möglich. Die Doppelrolle Christi, Anwalt Gottes vor den Menschen zu sein und Anwalt des Menschen vor Gott zu sein, findet ihre Fortsetzung in der Weihe und Sendung des Priesters inmitten der Kirche. Darum kann es den Priester nie rein privat geben. Er ist ja personifizierter Bund und damit entprivatisiert in den Raum der Kirche zugunsten der Menschen hinein. Er trägt die Verbindung Gottes mit den Menschen leibhaftig, unkündbar und unauflöslich in seinem menschlichen Dasein. Das ist gleichsam sein Stigma, sein Prägemal. Und davon, liebe Mitbrüder, gibt es keine Beurlaubung. Für den Priester gibt es darum keine Möglichkeit, aus diesem Bündnis auszusteigen, weil Gottes Liebe zum Menschen über den Priester unwiderruflich ist. Darum gibt es für uns Priester auch keine bündnisfreien Tage, weil Gottes Treue keine Unterbrechung kennt. Der Priester ist die Fleisch gewordene Bündnistreue Gottes zu uns Menschen. Und deshalb haben die Menschen auch Anspruch, in uns Priestern Gott zu begegnen, weil wir ja das sakramentale Zeichen der Verbindung von Gott und Mensch sein dürfen. Der Priester ist kein religiöser Manager oder Sozialarbeiter, sondern er ist ein Mann Gottes und darum für die Menschen unverzichtbar. Gott hat ein Recht, uns Priester in Anspruch zu nehmen, uns für seine Pläne zu brauchen, ja auch zu verbrauchen, damit durch uns den Menschen die Nähe Gottes erfahrbar werden kann.

3. Liebe Mitbrüder, der Priester ist zunächst der Mann vor Gott: “Wir danken dir, dass du uns berufen hast, vor dir zu stehen und dir zu dienen”, so beten wir im Zweiten Hochgebet. Die Apokalypse nennt die einzelnen Vorsteher der sieben kleinasiatischen Gemeinden “die Engel” oder “die Engel der Gemeinden”. Die Bibelwissenschaftler erklären uns, dass mit den Engeln die Seelsorger der Gemeinde gemeint sind. Christus begründet an anderer Stelle die Würde und den Wert der kleinen und unbedeutenden Leute mit ihren Engeln, die immerdar vor Gott stehen und für sie in Gottes Angesicht schauen. “Wer einen von diesen Kleinen, die an mich glauben, zum Bösen verführt, für den wäre es besser, wenn er mit einem Mühlstein um den Hals im tiefen Meer versenkt würde” (Mt 18,6), so sagt der Herr. Und als Begründung fügt er hinzu: “Ihre Engel im Himmel sehen stets das Angesicht meines himmlischen Vaters” (Mt 18,10). Die Heilsbedeutung, den Sinngehalt, das Gewicht bekommen die Engel für das Volk Gottes, indem sie vor Gott stehen und in sein Angesicht schauen. Wir dürfen mit Recht in ihnen den Typus für unser priesterliches Dasein erkennen. Wir Priester bekommen den ihr, liebe Mitbrüder, den Menschen, zu denen ihr gesandt werdet, zu schenken habt. Nicht, was statistisch feststellbar und in der Chronik nachlesbar ist, macht das Besondere unseres priesterlichen Dienstes aus, sondern dieses verborgene Stehen vor Gottes Angesicht für die anderen. Und ich darf hinzufügen: Die Menschen wirksam zu segnen vermag nur der von uns Priestern, der vorher für sie gebetet hat. Die Würde und der Wert der Menschen hängen von unserem Stehen vor Gottes Angesicht ab, so sagt der Herr ausdrücklich.

Liebe Weihekandidaten, liebe Mitbrüder im Bischofs-, Priester- und Diakonenamt, ich frage mich oft bebenden Herzens, ob sich der Herr schützend vor das Erzbistum Köln stellen kann, das er mir als Erzbischof anvertraut hat, mit der Begründung: Wer einen von diesen Kleinen hier im Erzbistum Köln, die an mich glauben, zum Bösen verführt, für den wäre es besser, wenn er mit einem Mühlstein um den Hals im tiefen Meer versenkt würde. Denn ihre Engel im Himmel – ihr Erzbischof, ihre Weihbischöfe, ihre Priester und Diakone – stehen immer vor Gott und sehen das Angesicht meines himmlischen Vaters. Der Priester ist der Mann vor Gott zugunsten der Menschen und der Mann Gottes mitten unter den Menschen.

4. Liebe Mitbrüder, als Weltpriester werdet ihr für die Welt bestellt und geweiht. Unser Herz hat zu schlagen bei den Menschen. Die Priesterweihe bindet uns an das Schicksal der Menschen. Wir sind an sie gebunden auf Gnade und Ungnade. Der Priester steht nicht über der Welt, sondern er steht mitten in der Welt. Der Mensch ist der Weg, auf dem Gott durch die Jahrtausende der Menschheitsgeschichte pilgert. Und Gott will seit 2000 Jahren sichtbar und erfahrbar im Priester die Menschen auf diesem Weg begleiten. Darum möchte der Priester erkennbar auf den Strassen der Menschen zu Hause sein. So wie er im Gotteshaus beheimatet sein soll, so wird er auch auf den Strassen und in den Häusern der Menschen anzutreffen sein müssen. Die Präsenz des Priesters im Volke Gottes ist ein Zeichen der Gegenwart Christi in unserer armen Welt. Wir Menschen mit Fleisch und Blut brauchen ein solches sakramentales Zeichen. Wir müssen das Himmlische im Irdischen sehen und berühren können. Und darum ist die Priesterweihe ein so unerhörtes Geschenk für die Menschen. Und deshalb empfinden die Menschen den Priestermangel so drückend und schmerzlich. Es ergreift mich immer zutiefst, wenn ich die Sehnsucht von Menschen nach dem Priester zu spüren bekomme, besonders dann, wenn ich einer Gemeinde keinen Priester mehr schicken kann, und zwar weil keiner zur Verfügung steht. Ich frage mich persönlich oft: Entspricht meine priesterliche und bischöfliche Sehnsucht nach den Menschen der Sehnsucht unserer Gläubigen nach dem Priester? “Ich habe mich sehr danach gesehnt, vor meinem Leiden dieses Paschamahl mit euch zu essen” (Lk 22,15), sagt der Herr. Und der Apostel Paulus sehnt sich nach den Römern nicht nur um Begegnung im Briefkontakt, sondern von Angesicht zu Angesicht. Ich glaube, wir Priester bleiben nur geistlich gesund im lebendigen Kontakt zu unseren Gemeinden. Und die Gemeinden bleiben in ihrem Glauben nur gesund im lebendigen Kontakt zu uns Priestern. Wir sind aufeinander angewiesen. Gott sei Dank! Christus ist und bleibt der personifizierte Bund Gottes mit den Menschen. Der Priester ist das personifizierte Zeichen Christi inmitten seiner Gemeinde. Damit dürfen wir uns nie abfinden. Das ist unsere Gnade und Sendung lebenslang.

5. In der Priesterweihe wird Gottes Angesicht über euch, liebe Weihekandidaten, sichtbar in seiner ganzen Zuwendung zu euch. In dieser Hinwendung zieht der Meister den Jünger aus der Namenlosigkeit heraus wie Gott am Schöpfungsmorgen den Menschen aus dem Erdreich gezogen hat. Dieser erwählende Blick des Herrn ist der Magnet, der uns lebenslang wegzieht von allen Abwegen und hineinzieht in seine Nähe. Christus hat eine besondere Zuneigung zu uns. Der ihm Zugewendete erhält die Verheissung seines Mitseins, nicht der von ihm Abgewendete. Weil wir uns mit all unseren Beschränktheiten nicht loswerden können, lässt uns der Herr mit seinem guten Blick nie mehr los. Priestertum geschieht im Blickfeld des Herrn. Dieses Blickfeld Christi ist ein Vertrauensfeld. Es macht uns vom Erfolgsdenken frei, von der lähmenden Angst vor Misserfolgen und auch von der Versuchung christlicher Leistungszwänge. Wo immer der Jünger sich selbst aus dem Blick verliert und den Meister in den Blick bekommt, da beginnt ein Leben, das den sichtbar macht, der euch erwählt hat. Darum habt Mut, der Herr ist immer dabei!

Amen.

+ Joachim Kardinal Meisner Erzbischof von Köln

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