Nicht das Herrschen, sondern das Dienen bringt Christus in die Welt
Ein Kommentar zum Sonntagsevangelium von P. Bernhard Sirch
Diese Haltung muss das Innerste der Christen ergreifen, um ein glaubhaftes Zeugnis vom Auferstanden zu geben, der hier auf Erden den Weg der Erniedrigung ohne Zeichen der äusseren Macht ging.
Illschwang, kath.net, 22. März 2012
B – 5. Fastensonntag. 1. Ls.: Jer 31,31-34; 2. Ls.: Hebr 5, 7-9; Ev. Joh 12, 20-33.
Die Texte des kommenden Sonntags kann man zusammenfassen mit der Frage der Griechen im heutigen Evangelium: “Herr, wir möchten Jesus sehen” (Joh 12, 21). Man könnte die Frage weiterführen: Herr, wir möchten Gott sehen. Wie einfach wäre dann unser Glaube? Wie leicht könnte Gott, wenn man ihn sehen könnte, die Menschen ändern? Da Gott dem Menschen einen freien Willen gegeben hat, kann sich der Mensch, auch wenn er Gott “sieht”, gegen ihn entscheiden, wie dies Adam und Eva taten.
Wenn wir Gott “sehen” können, dann gäbe es gar keinen “Glauben”, sondern nur ein “Sehen”. Wir Menschen sind aber in der Situation, dass wir “nur” glauben können. Der Wunsch wird bleiben: “Herr, wir möchten Jesus sehen” (Joh 12, 21).
Auf diesen Wunsch, auf diese Frage gibt es eine einfache Antwort: Wir nennen uns Christen und sollen Christus in unserer Zeit widerspiegeln: durch unser Tun soll Christus sichtbar, lebendig werden, so dass die Menschen Christus sehen können, wobei die Menschen in uns Christen nicht nur Christus erkennen sollen, sondern auch Gott Vater, da wir “Abbild Gottes” (Gen 1,27) sind!
Unser Wunsch: “Herr, wir möchten Jesus sehen” (Joh 12, 21), wird vor allem im heutigen Evangelium erfüllt; wir können sehen, wie sich Jesus selber sieht und wie er gesehen werden will. Er bringt drei Bilder: Das Bild 1) vom Weizenkorn: “Wenn das Weizenkorn nicht auf die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht” (Joh 12, 24). 2) von seiner Erhöhung über der Erde. Die letzte Aussage “Wenn ich über die Erde erhöht bin, werde alle zu mir ziehen. Das sagte er, um anzudeuten, auf welche Weise er sterben werde ” (Joh 12, 32.33). 3) vom Dienen: “Wenn einer mir dienen will, folge er mir nach; und wo ich bin, dort wird auch mein Diener sein. Wenn einer mir dient, wird der Vater ihn ehren” (Joh 12, 26).
1) Das Bild vom Weizenkorn
Christus ist das Weizenkorn Gottes: Christus stirbt wie das Weizenkorn und bringt reiche Frucht: “Amen, amen, ich sage euch: Wenn das Weizenkorn nicht auf die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht” (Joh 12, 24). Wenn man das Leben Jesu betrachtet, so fällt sofort seine nur drei Jahre dauernde öffentliche Wirksamkeit auf. Wäre nicht die Bitte an Gott angebracht gewesen, dass Jesus bis ins hohe Alter die ganze Welt bereisen soll, um die Botschaft Gottes zu verkünden, wie es etwa der hl. Paulus tat? Im Weizenkorn zeigt uns Jesus, auf was es ihm ankommt: er stirbt wie ein Weizenkorn, er gibt sein Leben hin und bringt reiche Frucht. Durch seine Erlösertat schenkt er uns das ewige Leben.
Gleichzeitig ermuntert Jesus uns: “Wer an seinem Leben hängt, verliert es; wer aber sein Leben in dieser Welt gering achtet, wird es bewahren bis ins ewige Leben” (Joh 12, 25). Können wir, wie Jesus unser Leben in dieser Welt loslassen? Wir sehen das Sterben nur von der negativen Seite und hängen viel zu sehr am “Leben” in dieser Welt. Möge unser Sterbetag ein Tag der Freude sein, einen Tag, den wir erwarten mit der Bitte: “Dein Reich komme”.
Ich habe einer Frau die Krankensalbung gegeben und habe dann noch mit dem Arzt ein Vaterunser gebetet. Beim dritten “Gegrüßet seist du Maria” war plötzlich ein beglücktes, seliges Lächeln auf dem Gesicht der Frau, dass man meinen konnte: jetzt wird die Frau mit Himmlischem erfüllt. Ich sagte, jetzt ist die Frau gestorben. Der Arzt konnte es kaum glauben, dass die Frau so starb, bzw. ich möchte sagen, dass die Frau ihr höchstes Glück sehen durfte. Sie ging mit einem Lächeln und Freude in ihre neue, ewige Heimat.
2) Das Bild von seiner Erhöhung über der Erde
“Wenn ich über die Erde erhöht bin, werde alle zu mir ziehen. Das sagte er, um anzudeuten, auf welche Weise er sterben werde” (Joh 12, 32.33). Zu Recht haben wir in unseren Häusern und Zimmern ein Kreuz. Christus möchte uns gleichsam in den Sorgen unseres Alltags zurufen: Weil ich über die Erde, über alle irdischen Sorgen erhöht bin, kann ich alle zu mir ziehen. Wir sollen in unserem Alltag immer wieder auf den Gekreuzigten in unseren Zimmern schauen.
Christus, der Gekreuzigte weiss um unser Leid; auch er spricht und seufzt: “Jetzt ist meine Seele erschüttert. Was soll ich sagen: Vater, rette mich aus dieser Stunde? Aber deshalb bin ich in diese Stunde gekommen” (Joh 12, 27). Das Harte, das unsagbare Leid, das Christus erdulden musste, ist in den Augen Gottes eine Verherrlichung; es ist die Krönung des Lebens Jesu: “Vater, verherrliche deinen Namen! Da kam eine Stimme vom Himmel: Ich habe ihn schon verherrlicht und werde ihn wieder verherrlichen” (Joh 12, 28).
Wir können hier sehen, wie weit wir vom Bild Christi in unserem Denken und Tun entfernt sind. Tiefes Leid, das wir ertragen müssen, sind Edelsteine für unser ewiges Leben. Dies ist die Umdrehung aller unserer Vorstellungen. Wenn wir Jesus sehen wollen, dann können wir aufblicken auf den Gekreuzigten, den wir durchbohrt haben: “Als sie aber zu Jesus kamen und sahen, dass er schon tot war, zerschlugen sie ihm die Beine nicht, sondern einer der Soldaten stiess mit der Lanze in seine Seite, und sogleich floss Blut und Wasser heraus. Denn das ist geschehen, damit sich das Schriftwort erfüllte: Sie werden auf den blicken, den sie durchbohrt haben” (Joh 19, 33.34.37; Sach 12,10).
Der Hebräerbrief greift in der zweiten Lesung das Leiden Jesu auf: “Als Christus auf Erden lebte, hat er mit lautem Schreien und unter Tränen Gebete und Bitten vor den gebracht, der ihn aus dem Tod retten konnte, und er ist erhört und aus seiner Angst befreit worden. Obwohl er der Sohn war, hat er durch Leiden den Gehorsam gelernt; zur Vollendung gelangt, ist er für alle, die ihm gehorchen, der Urheber des ewigen Heils geworden” (Hebr 5, 7-9).
Wie Jesus, wie Gott gesehen werden will, hören wir in der 1. Lesung: “Sie alle, klein und gross, werden mich erkennen, denn ich verzeihe ihnen die Schuld ” (Jer 31, 34)
Es geht bei uns Menschen nicht nur um einer äussere Retusche, sondern Gott will unser Inneres verändern: “Ich lege mein Gesetz in sie hinein und schreibe es auf ihr Herz…: Keiner wird mehr den andern belehren, man wird nicht zueinander sagen: Erkennt den Herrn!, sondern sie alle, klein und gross, werden mich erkennen — Spruch des Herrn” (Jer 31, 33.34).
Der Grund des Erkennens ist: “Denn ich verzeihe ihnen die Schuld, an ihre Sünde denke ich nicht mehr” (Jer 31, 34). Gott ist ein Gott des Erbarmens. Aus den Evangelien können wir erkennen, dass Gott seinen Sohn in die Welt sandte, damit wir von unseren Sünden gereinigt werden. Wir können Gott näher kommen: “Spruch des Herrn. Denn ich verzeihe ihnen die Schuld, an ihre Sünde denke ich nicht mehr” (Jer 31, 34).
Da Gott so wahrgenommen werden will, müssen wir dieses Bild auch in uns aufnehmen und verwirklichen, dann können die Menschen Gott in uns erkennen, wenn wir wie Gott den Menschen die Schuld verzeihen. Stefanus “sank in die Knie und schrie laut: Herr, rechne ihnen diese Sünde nicht an! Nach diesen Worten starb er” (Apg 7,59.60).
Wir haben von Christus noch ein weiteres Bild:
3) Das Bild vom Dienen
“Wenn einer mir dienen will, folge er mir nach; und wo ich bin, dort wird auch mein Diener sein. Wenn einer mir dient, wird der Vater ihn ehren” (Joh 12, 26).
Auch dieses Bild von Jesus ist in krassem Gegensatz zu den Vorstellungen der Welt. Wenn wir Jesu Bild in unserer Welt aufleuchten lassen wollen, dann müssen wir wie Jesus: Dienen, wozu uns Jesus eindringlich aufruft. “Da rief Jesus sie zu sich und sagte: Ihr wisst, dass die, die als Herrscher gelten, ihre Völker unterdrücken und die Mächtigen ihre Macht über die Menschen missbrauchen. Bei euch aber soll es nicht so sein, sondern wer bei euch gross sein will, der soll euer Diener sein, und wer bei euch der Erste sein will, soll der Sklave aller sein” (Mk 10, 42-44). Das Bild vom Dienen sieht Jesus auf dem Hintergrund der bisherigen Bildern vom Weizenkorn und von seiner Erhöhung über der Erde: “Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele” (Mk 10, 45).
Wenn wir Christus in dieser Welt sichtbar machen wollen, dann sicherlich nicht durch Herrschen, durch ein prunkvolles Auftreten, sondern durch Dienen. Der Verzicht auf glanzvolles Auftreten erinnert an eine Erzählung über Kaiser Heraklius: “Heraklius, der mit Gold und Edelsteinen geschmückt war, wurde gezwungen am Tor, das zum Kalvarienberg führte, haltzumachen. Je mehr er nämlich versuchte voranzukommen, desto mehr schien er festgehalten zu werden. Als nun Heraklius selbst und alle übrigen darüber staunten, sagte Zacharias, der Bischof von Jerusalem: ‘Sieh zu, o Kaiser, dass du nicht mit diesem triumphalen Ornat beim Kreuztragen vergisst, die Armut und die Erniedrigung Jesu Christi nachzuahmen’. Darauf legte Heraklius sein überaus prächtiges Gewand ab, zog die Schuhe aus, legte sich ein einfaches Gewand des Volkes um und konnte nun leicht den restlichen Weg zu Ende gehen. Dann stellte Heraklius das Kreuz genau an dem Platz des Kalvarienberges wieder auf, von dem es die Perser weggeschafft hatten” (Lesung aus dem Brevier).
Die Demut, das Dienen Jesu Christi nachzuahmen, nicht hoch zu Ross auf die Menschen zugehen, muss immer ein Leitbild der Kirche bleiben. Jesus dreht alle unsere Vorstellungen um. Schlicht und einfach wäscht Jesus den Jüngern die Füsse; man könnte hinzufügen und nicht die Köpfe. Jesus gibt ein Beispiel des Umgangs innerhalb der Kirche: “Begreift ihr, was ich an euch getan habe? Ihr sagt zu mir Meister und Herr, und ihr nennt mich mit Recht so; denn ich bin es. Wenn nun ich, der Herr und Meister, euch die Füsse gewaschen habe, dann müsst auch ihr einander die Füsse waschen. Ich habe euch ein Beispiel gegeben, damit auch ihr so handelt, wie ich an euch gehandelt habe” (Jo 13, 13-15). Diese Haltung muss das Innerste der Christen ergreifen, um ein glaubhaftes Zeugnis vom Auferstanden zu geben, der hier auf Erden den Weg der Erniedrigung ohne Zeichen der äusseren Macht ging.
“Herr, wir möchten Jesus sehen” (Joh 12, 21), ist für unsere Zeit genauso aktuell wie damals! Das selbstlose Dienen, die Liebe zu den Menschen, ist das Kennzeichen Christi und muss das Kennzeichen jedes Christen sein. Die Kirche lässt uns im Tagesgebet sprechen: “Herr, unser Gott, dein Sohn hat sich aus Liebe zur Welt dem Tod überliefert. Lass uns in seiner Liebe bleiben und mit deiner Gnade aus ihr leben. Darum bitten wir durch Christus, unseren Herrn”.
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