Ein Weinberg mit Namen Kuba

Bisher sind 60 Prozent der Kubaner katholisch getauft

Aber nur wenige praktizieren den Glauben und leben wirklich als Christen. Der Rektor des Priesterseminars von Havanna, José Miguel Gonzáles Martín, im Gespräch über Herausforderungen des kirchlichen Lebens auf Kuba und die Bedeutung des Besuchs von Papst Benedikt XVI.

Die Tagespost, 24.03.2012, von Claudia Kock

Als das Priesterseminar in der kubanischen Hauptstadt 2010 eröffnet wurde – der erste kirchliche Neubau seit der Revolution von 1959 –, sprachen viele vom “Wunder von Havanna”.

War es das wirklich?

Das Priesterseminar “San Carlos y San Ambrosius” wurde am 3. November 2010 eingeweiht.

Die Idee kam vom neuen Erzbischof, Kardinal Jaime Ortega Alamino. In der Messe am 25. Januar 1998 auf dem Platz der Revolution segnete Papst Johannes Paul II. den Grundstein. Der Bau wurde durch die Zusammenarbeit kirchlicher Einrichtungen in den Vereinigten Staaten, Deutschland, Italien und Spanien finanziert. Es war wirklich ein Wunder, das die Barmherzige Jungfrau, die Schutzpatronin von Kuba, gewirkt hat, unter Mitarbeit vieler grossherziger Menschen guten Willens. Auch die staatlichen Stellen haben dazu beigetragen: Sie haben Genehmigungen erteilt und die Durchführung erleichtert, vor allem die Beschaffung von Baumaterial. Dass Präsident Raúl Castro bei der Einweihung anwesend war, kann als Geste der Annäherung an die katholische Kirche verstanden werden, die in den vergangenen Jahrzehnten sehr gelitten hat. Sie zeigt, welche gesellschaftliche Bedeutung unser Seminar in der Geschichte Kubas hatte und haben wird.

Wie viele Priesteramtskandidaten werden zurzeit auf Kuba ausgebildet?

Derzeit haben wir 52 Seminaristen, alles Kubaner, darunter fünf Ordensmänner: vier Lazaristen und ein Redemptorist. In diesem Jahr werden fünf neue Priester auf Kuba geweiht. Das ist sehr wenig. Wir müssen den Herrn der Ernte bitten, mehr Priesterberufungen für die Kirche auf Kuba zu senden.

Woher kommen die Seminaristen?

Die meisten sind Konvertiten. Nur sehr wenige wurden von klein auf im Glauben erzogen. Viele haben die Scheidung der Eltern erlitten und sind bei einem Elternteil oder bei den Grosseltern aufgewachsen. Sie haben den Glauben in einer katholischen Gemeinde entdeckt und sich dann die Frage nach der Priesterberufung gestellt. Unsere Seminaristen sind Kinder ihrer Zeit und der Gesellschaft, in der sie aufgewachsen sind. Einige haben studiert oder einen Beruf ausgeübt, bevor sie ins Seminar eingetreten sind. Der Eintritt ins Seminar bedeutete für sie gewöhnlich, sich der Opposition von Seiten der Familie und Freunde zu stellen.

Welche Auswirkungen hatte der Besuch Johannes Pauls II. im Januar 1998 in Kuba?

Er war der Grundstein zum Aufbau der kubanischen Kirche im 21. Jahrhundert. Schon vorher hatte die Kirche auf Kuba wichtige Schritte unternommen. Jahrzehntelang war sie in die Sakristei verbannt gewesen, hatte es nur den Gottesdienst in den Kirchen gegeben. Nach der Nationalsynode 1986 begannen die kubanischen Katholiken, die Angst, sich als solche zu bekennen, abzuschütteln. Die Gemeinden wuchsen, mehr Menschen wurden getauft. In den Pfarreien entstanden karitative Initiativen: Armenspeisungen und Waschräume, Medikamentenausgabe, Werkstätten, Kurse, Kinderhorte. Johannes Paul II. öffnete durch seinen Besuch diese Kirche zur Welt hin, und auch die Welt begann, mehr über die kubanische Kirche zu erfahren. Die Beziehungen der Kirche zur kubanischen Regierung wurden flexibler. Es wurde genehmigt, das Weihnachtsfest am 25. Dezember zu feiern, Prozessionen im Freien zu machen, kirchliche Gebäude zu renovieren. Vor allem aber wurde seit dem Besuch Johannes Pauls II. die Bedeutung der Kirche für die kubanische Gesellschaft erkannt. Bis dahin hatte man sie praktisch ignoriert, aber dank des polnischen Papstes blickten viele Menschen auf die Katholiken in Kuba, auf ihre leidvolle Vergangenheit, aber auch auf ihre hoffnungsvolle Zukunft. Seitdem hat sich viel verändert – vielleicht nicht alles, was man sich im sozialen oder politischen Bereich wünschen würde, aber vor allem ist die Wertschätzung gegenüber der Kirche und ihrer Evangelisierungssendung gestiegen. Die kubanische Regierung hat sich sogar an die katholische Hierarchie gewandt und sie um humanitäre Vermittlung bei der Entlassung begnadigter Gefangener gebeten. Die Medien berichten über die Kirche; noch vor wenigen Jahren wäre das undenkbar gewesen.

Was bedeutet das Leben unter dem kommunistischen Regime für das Seminar?

Es bedeutet, die Dinge so zu akzeptieren wie sie sind und zu wissen, dass man sehr vorsichtig und respektvoll umgehen muss mit Themen, die das politische Leben betreffen. Wie überall müssen die Obrigkeiten anständig und freundlich behandelt werden. Es bedeutet – wie Jesus im Evangelium gesagt hat –, arglos wie die Tauben und klug wie die Schlangen zu sein – nicht ängstlich und gehemmt, und das Mass nicht unnötig zu überschreiten. Der Herr schenkt uns dazu die nötige Weisheit.

Hat ein junger Mann, der in das Seminar eintritt, negative Folgen für seine Familie befürchten?

Die kubanische Regierung hat sich jungen Kubanern, die ins Priesterseminar eintreten, nie widersetzt. In der Vergangenheit hatte sie vielleicht Argwohn, dass wir Priester uns von Regimegegnern für deren Zwecke gebrauchen lassen und hat daher Informationen über das Seminar und die Seminaristen eingeholt. Heute wissen die Obrigkeiten, dass wir Priester keine subversiven Elemente sind, sondern Diener einer Kirche, die ihrem Volk dienen und eine Gesellschaft hervorbringen möchte, in der Frieden und Versöhnung unter allen Kubanern herrscht.

Wie sieht das kirchliche Leben in Kuba nach 50 Jahren kommunistischer Herrschaft heute aus?

Die Kirche in Kuba ist eine kleine Minderheitenkirche, die jedoch grosse Bedeutung hat und von der kubanischen Gesellschaft sehr geschätzt wird. Besonders die einfachen Menschen wissen, dass die katholische Kirche in Kuba über viele schwere Jahre hinweg an der Seite ihres Volkes geblieben ist. Die Menschen mögen die Priester und Ordensschwestern, sie schauen auf uns mit Respekt und Bewunderung. Wir müssen jeden Extremismus vermeiden – sowohl Triumphalismus als auch übertriebene Sorge. Die Kirche auf Kuba ist wie ein Senfkorn, das wächst, wie eine Handvoll Sauerteig, der das Ganze durchsäuert. Wir brauchen mehr Priester. Es fehlt uns an finanziellen Mitteln. Die Kirche auf Kuba wird finanziell aus dem Ausland unterhalten, durch Adveniat, Kirche in Not und andere. Auf Kuba lebt die Kirche stärker als anderswo im Vertrauen auf die göttliche Vorsehung.

Wird von den Priestern, die aus Ihrem Seminar hervorgehen, eine Neuevangelisierung ausgehen?

Die Priester müssen in erster Linie Männer Gottes sein und vielen Herausforderungen begegnen. Eine davon ist die Evangelisierung der vielen Menschen, die getauft, aber nicht christianisiert sind. Über 60 Prozent der Kubaner sind katholisch getauft, aber nur wenige praktizieren den Glauben und leben wirklich als Christen. Eine weitere Herausforderung ist die nationale Versöhnung, die Förderung von Vergebung und Brüderlichkeit unter allen Kubanern.

Wie bereitet sich das Seminar auf den Besuch von Papst Benedikt XVI. auf Kuba vor?

Die Seminaristen sind voll Vorfreude auf den Besuch. Im Unterricht haben wir die Ansprachen des Papstes an die Seminaristen gelesen. Unsere Seminaristen werden als Ministranten bei den beiden Papstmessen in Santiago und in Havanna dienen. Vielleicht können wir den Papst am Ende ja sogar begrüssen. Die Gestalt Benedikts XVI. wird das Leben dieser jungen Männer, der zukünftigen Priester, in den kommenden Tagen für immer prägen.

Welche Erwartungen und Hoffnungen sind an den Papstbesuch geknüpft?

Vom Papst erhoffen wir uns sein herzliches, tiefes, erleuchtendes Wort, das Schwieriges mit Leichtigkeit ergründet und uns anspornt, das zu sein, als was er sich selbst bezeichnet hat: demütige Arbeiter im Weinberg des Herrn, der uns zugeteilt wurde und der Kuba heisst. Wir erwarten ihn mit grosser Hoffnung und Freude! Es lebe der Papst!

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