Demografische Krise: Die Zeit läuft ab

Die Sozialethik muss sich mehr um den demografischen Wandel kümmern

Das  fordert Professor André Habisch

Die Tagespost, 20.01.2012,  von Anja Kordik

Zwei Problembereiche dominieren in Europa die politische Agenda: die Schuldenkrise und der demografische Wandel. Gibt es einen Zusammenhang beziehungsweise eine wechselseitige Verschärfung beider Problembereiche?

Die Staatsverschuldung ist aus meiner Sicht eine relative Grösse. Wir führen zwar die Schuldenlast nicht zurück, bauen zurzeit aber auch keine extreme Neuverschuldung auf. Ein Zusammenhang zwischen beiden Phänomenen – Staatsverschuldung und demografische Entwicklung – besteht natürlich insofern, als die Verschuldung dazu führt, dass die Spielräume für staatliches Handeln und damit auch für die Umsetzung wirksamer Strategien in diesem Bereich kleiner werden. In jüngerer Vergangenheit wird das Thema Demografie von der Politik zunehmend aufgegriffen.

So steht der demografische Wandel auf der Tagesordnung der im Dezember 2010 eingesetzten Bundestags-Enquete-Kommission “Wachstum, Entwicklung, Lebensqualität”, deren Mitglied ich als Sachverständiger bin. Zugleich hat die Bundesregierung unter Leitung des Innenministeriums eine neue – ressortübergreifende – Initiative zur demografischen Entwicklung gestartet.

Wird der demografischen Entwicklung Ihrer Meinung in anderen Ländern besser entgegengesteuert?

Zum Teil schon. In Frankreich hat man sich von Seiten der Politik diesem Thema früher und intensiver zugewandt. Der französischen Familienpolitik ist es im Verlauf der Zeit gelungen, etwa durch flexible Beschäftigungsmodelle und längere Elternzeiten, einer auch in Frankreich drohenden demografischen Abwärtsspirale entgegenzuwirken. Auch Länder wie Grossbritannien und die USA sind uns in Sachen Familienpolitik voraus.

Bietet die Sozialethik Antworten auf den demografischen Wandel?

Die Sozialethik hat diesem Thema bisher zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Zwar gibt es eine Reihe von Promotionsschriften zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Ansonsten ist es eher Sache der katholischen Familienverbände, sich damit auseinanderzusetzen. Wissenschaftliche Impulse kamen unter anderem von dem – 2005 verstorbenen – renommierten Bonner Sozialwissenschaftler und Familienforscher Professor Max Wingen, der etliche Jahre auch im Bundesfamilienministerium arbeitete. In seinem letzten, 2004 erschienenen Werk “Die Geburtenkrise ist überwindbar” plädiert er für eine Mischung aus Geburtenförderungspolitik, gelenkter Zuwanderung und vielfältigen Anpassungsmassnahmen an den demografischen Trend. Ganz wesentlich aus seiner Sicht: eine neue, höhere Bewertung von Elternschaft.

Gibt es also inzwischen eine erhöhte Aufmerksamkeit der wissenschaftlichen Forschung beim Thema Demografie?

Ich denke schon. An der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstatt wurde 2001 mit dem Zentralinstitut für Ehe und Familie (ZFG) eine zentrale Forschungseinrichtung unserer Universität ins Leben gerufen – zunächst unter meiner Leitung; seit Anfang 2008 steht Professor Jörg Althammer an der Spitze des Instituts. Die Forschungsschwerpunkte liegen vorrangig im Bereich der empirisch orientierten Familienwissenschaft. Unser Institut ist von seiner Grundkonzeption und seinem Selbstverständnis her interdisziplinär, und so werden Beiträge aller Fachbereiche der Partnerschafts- und Familienforschung einbezogen – ein wichtiger Impuls, denke ich, für eine weitere wissenschaftlich fundierte Familienförderung.

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