“Ein Bischof braucht gute Nerven”
Interview mit Bischof Vitus Huonder
Weltwoche, Peter Keller, 22.12.2011
Herr Huonder, sie sind der umstrittenste Bischof der Schweiz. Sie provozieren wegen Ihrer harten Haltung in der Abtreibunsfrage oder zur Homosexualität. Haben sie insgeheim Freude an Ihrer Rolle?
“Umstritten” kommt von Streit. In den vergangenen Jahren hat man das Wort “Streitkultur” geprägt. Streit als Teil unseres Lebens. Das belebt und bereichert, führt schliesslich zur Wahrheit. So gesehen, bin ich ein Bischof für diese Zeit der Streitkultur.
Was treibt Sie an?
Letzlich der Mensch, der von Gott geschaffene Mensch. Seine endgültige Bestimmung, die findet der Mensch nur in der Zuordnung zu Gott und seiner Schöpfung.
Welches ist das grösste Missverständnis, hinsichtlich der öffentlichen Wahrnehmung des Vitus Huonder und Ihrer wirklichen Person?
Dass ich meine persönliche Wahrnehmung des Glaubens vertrete, während ich mich am Glauben der Weltkirche orientiere. Ein Missverständnis wäre es auch, wenn man meine Sorge um den Menschen und seine Zukunft nicht sähe. Was wir heute entscheiden, hat immer Folgen für das Morgen, für das, was der Mensch sein wird, was die menschliche Gesellschaft sein wird, das gibt mir zu denken.
Und betreffend die öffentliche Wahrnehmung der katholischen Kirche und ihre tatsächliche Bestimmung?
Was die Kirche mit den Zehn Geboten lehrt, ist gesunder Menschenverstand und führt zu einem gelungenen Leben. In der Öffentlichkeit sieht man sie oft nur als Spassbremse, weil man ein trügerisches, konsumistisches Verständnis von Glück hat.
Im Parlament steht die Revision des Partnerschaftsgesetzes an. Künftig sollen Homosexuelle Kinder adoptieren dürfen.
Jedes Kind hat ein Recht auf Vater und Mutter. In der Struktur einer homosexuellen Verbindung wird dieses Recht dem Kind geplant und bewusst verwehrt. Das ist eine grundlegende Verletzung des Kindesrechts.
Die zuständige Ständeratskommission hat die Vorlage ohne Gegenstimme durchgewinkt. So auch die Vertreter der CVP.
Das kann ich nur zur Kenntnis nehmen und mir dazu meine eigenen Gedankern machen – und die sind frei.
In der Schweiz gibt es die Bistümer und die gewachsenen Landeskirchen. Ein besonders inniges Verhältnis lässt sich nicht ausmachen. Was verbindet, oder was trennt die beiden?
Die Bistümer entsprechen der kirchlichen Ordnung, die Landeskirchen sind staatlich vorgegebene Einrichtungen. Damit ist auch das Verbindende und Trennende ausgesprochen: einerseits die Zuordnung zur Kirche. Anderseits der Staat. Diese Bipolarität Kirche – Staat führte regelmässig zu Spannungen. Der müssen wir uns in jeder Epoche neu stellen.
Eines der Konfliktfelder ist die Laienpredigt. Sie sind kein Freund davon. War Jesus nicht auch ein Laienprediger?
Jesus war kein Laienprediger, sondern Gottes Sohn, ausgestattet mit göttlicher Vollmacht. Sein Wirken ist unvergleichbar und einmalig. In der aufgeworfenen Frage geht es nicht um die Laienpredigt, sondern um die Homilie – die Predigt als integralen Bestandteil der Eucharistiefeier. Dazu gibt es eine theologische Reflexion und eine kirchenrechtliche Regelung. Regelungen in einem Staat sind verbindlich. Regelungen in der Kirche auch.
Ist es nicht besser, eine intelligente Laienpredigt zu hören als das Pflichtprogramm eines Geistlichen?
(Lacht) Ich hoffe, der Geistliche ist doch so ausgebildet, dass er diese Aufgabe erfüllen kann. Sicher gibt es Laientheologen, die über eine grosse Begabung verfügen den Glauben zu formulieren und weiterzugeben. Aber diese Fähigkeit steht und fällt nicht mit einer Predigt von acht bis zehn Minuten. Da gibt es noch andere wichtige Tätigkeitsfelder für einen Laien mit dem Charisma, den Glauben weiterzuvermitteln, etwa die Erwachsenenbildung oder die Jugendarbeit.
Heute treiben die meisten Kantone stellvertretend die Kirchensteuern ein. Wie stehen Sie dazu?
Auch hier geht es um eine Ordnung, nicht um eine kirchliche, aber dennoch um eine Ordnung, auf die wir Rücksicht nehmen und der es sich zu fügen gilt, solange sie in Kraft ist. Deshalb bezahle auch ich meine Kirchensteuern.
Dieses Verfahren widerspricht faktisch der Trennung zwischen Kirche und Staat.
Es zeigt, dass bei uns diese Trennung nicht vorliegt. Durch die staatskirchenrechtlichen Körperschaften sind Kirche und Staat miteinander verbunden. Allerdings wäre auch bei einer Trennung eine vertragliche Regelung denkbar.
Ist Ihnen nicht einfach ein Dorn im Auge, dass diese öffentlichen Mittel nicht dem Bischof, sondern der Landeskirche zukommen?
Diese Frage ist nicht primär, wer das Geld eintreibt, sondern wie es eingesetzt wird, im Sinne der Kirche und ihrer Leitung oder gegen sie. Professionelle Vermögensverwaltung, gerechte Zuteilung der Mittel sowie eine entsprechende Kontrolle sind in jedem Fall eine Pflicht. Gemäss Kirchenrecht muss der Bischof aus dem Kreis der Gläubigen für die Vermögensverwaltung Personen berufen, die in wirtschaftlichen Fragen und im weltlichen Recht erfahren sind und sich durch Integrität auszeichnen.
In den meisten Kantonen müssen juristische Personen, also Firmen und Unternehmen, Kirchensteuern zahlen. Warum soll ein kurdischer Kebabstand-Besitzer in Zürich die katholische Kirche mitfinanzieren?
Es gibt keinen religiösen Grund. Heute herrscht ein weltanschaulicher Pluralismus. Da muss der Staat für Gerechtigkeit sorgen. Es scheint mir, dass diese Frage von den Politikern zu lösen ist.
In diesem Jahr wurde auch die Familienberatungsstelle Adebar ein Thema. Die Bündner Landeskirche unterstützt Aebar finanziell. Was haben Sie dagegen?
Für Adebar ist Abtreibung eine legitime Option, für die Kirche nicht. Die Tötung eines Menschen ist nie eine Option, in so eine Beratung gehört kein katholisches Steuergeld.
Nervt es Sie manchmal, dass in der Öffentlichkeit und auch in diesem Gespräch immer die gleichen Themen wiederkehren: Kirche und Homosexualität, Abtreibung, Frauenpriestertum, Wahrheitsanspruch der Papstkirche?
Deshalb braucht ein Bischof gute Nerven.
Worüber würden Sie lieber reden?
Über zentrale Fragen des Glaubens. Vor allem über die Dimension des Beglückenden, des Schönen. Der Glaube ist ein Kunstwerk und an sich ein Aufsteller. Er enthält einen grossen Melodienreichtum, nicht nur einige Takte in b-moll. Das geht bei vielen ganz unter.
Kinder haben Berufswünsche wie Feuerwehrmann, Polizist oder Atronaut. Was wollten Sie werden?
Ich hatte verschiedene Berufswünsche. Am stärksten war der Wunsch Pfarrer zu werden.
Haben Sie dann, so wie andere Kinder Verchäuferlis spielen, Priesterlis gespielt?
Ich war ein Sammler zum Beispiel von Gutscheinen oder Punkten und habe dann gerne nachgerechnet, was dazu gekommen ist – fast wie ein Bankier. (Lacht) Um auf Ihre Frage zurückzukommen: Ich habe von klein auf Messe “gefeiert” und dazu meine Kameraden eingeladen.
Sie waren der Priester?
Selbstverständlich.
Und Ihre Kameraden durften ministrieren?
Ja.
Die Mädchen auch?
Das könnte ich jetzt nicht sagen… Damals war die Frage der Mädchen als Ministrantinnen einfach kein Thema. Es waren immer Buben. Das ging irgendwie instinktmässig vor sich. (Lacht)
Viele junge Menschen haben Idole oder bewundern jemanden. Wie war das bei Ihnen?
Wenn ich so sagen darf, war der Priester – das heisst der Pfarrer vor Ort – für mich eine Art Idol. Lieber möchte ich sagen: Ein Vorbild.
Haben Sie einen Lieblingsheiligen?
Ich hatte von meiner Kindheit an immer eine starke Beziehung zu Jesus, vor allem zum leidenden Herrn. Der Kreuzweg hat mich als drei-, vierjähriges Kind tief beeindruckt und in mir eine starke Christusliebe entfaltet. Jesus war eigentlich mein “Heiliger”, auch wenn mir die Muttergottes und der Heilige Antonius viel bedeuten – und natürlich der Heilige Vitus.
Vitus ist ihr Taufname?
Ja. Mein Vater wollte ihn. Es ist ein Name – deshalb bin ich auch etwas stolz auf ihn -, der relativ unbekannt ist. Dann ist Vitus ein junger Heiliger, nicht wie üblich ein älterer Mann. Das hat mir besonders als Schüler imponiert.
Man hat Vitus wortwörtlich den Glauben ausprügeln wollen.
Der eigene Vater, Ja. Das war in dieser Zeit bei vielen Heiligen der Fall. Vitus starb um 300 nach Christus.
Fühlen Sie sich manchmal auch als eine Art Märtyrer?
Man muss sicher bereit sein, als Bischof Widerstand auszuhalten auch Anfeindungen – aber das geht nicht so weit, dass ich mich jetzt als Märtyrer sehen würde. Diese Widerstände gehören zum Amt in der heutigen Zeit. Es ist nicht einfach, die Werte der Kirche zu vertreten. Entweder sie passen sich an oder sie setzen Akzente und sagen :”So weit kann ich gehen, und hier hört es auf, auch wenn es Widerstand gibt.”
Das nehmen Sie in Kauf?
Ja, das gehört schon zum Amt, meine ich.
Dann gibt es offensichtlich unterschiedliche Auffassungen von diesem Amt…
(Lacht) Vielleicht gibt es sogar soviele Auffassungen wie Bischöfe, ich weiss es nicht… Aber wenn Sie sich eine Bischofsweihe anschauen und welche Versprechen abgelegt werden, sehe ich schon, welche Linie die offizielle Kirche hat.
Der jetzige Papst hat diese Linie wesentlich geprägt.
Benedikt XVI. hat klar erkannt, dass die Kirche den Anschluss an die Vergangenheit nicht verpassen darf. Es muss eine Kontinuität geben aus der Geschichte heraus.
Normalerweise heisst es, man dürfe den Anschluss an die Zukunft nicht verpassen.
Ich habe es bewusst andersrum formuliert. Die Kirche ist von der Tradition her geprägt, und sie darf diese Tradition nicht verlieren. Gerade nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962 – 1965) hat die Gefahr bestanden, dass man diese Kontinuität übergeht. Das darf die Kirche nicht. Was die Kirche im dritten Jahrhundert oder im Jahr 1000 gesagt hat, ist auch wichtig. Joseph Ratzinger hat das als Pärfekt der Glaubenskongregation früh erkannt und Gegensteuer gegeben, damit die Kontinuität der Kirche wieder erkennbar wird. Das heisst nicht, dass man nicht in die Zukunft schauen soll. Aber man soll die Zukunft immer gestalten auf dem Fundament der Kirche.
Wir stehen vor Weihnachten. Was ist für Sie die Kernbotschaft der Geburt Jesu?
Gottes Sohn ist Mensch geworden. Er hat unter uns gewohnt. Gott ist mit uns. Er ist Emanuel.
Was wünschen Sie sich für die Kirche?
Dass sie frei und ungehindert die frohe Botschaft verkünden kann.
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