Afrika, eine Hoffnung der Kirche

Papst Benedikt XVI. begegnet in Benin Gläubigen, die ihren gesellschaftlichen Auftrag ernst nehmen 

Cotonou, Die Tagespost, 18.11.2011, von Johannes Seibel

Papst Benedikt XVI. nennt die Katholiken in Afrika eine “grosse Hoffnung der Kirche”. Heute und morgen besucht er sie auf seiner apostolischen Reise ins westafrikanische Benin. Eine solche Hoffnung zu sein, diesem Anspruch beginnt sich die afrikanische Kirche durchaus bewusst zu werden. Sie sprengt zusehends die über 200 Jahre alten europäischen Prägungen auf – an den 150. Jahrestag seiner Evangelisierung erinnerte Benin am 18. April – und entwickelt eine neue, eigene, noch nicht fest gewordene Gestalt. Ausdruck für dieses wachsende weltkirchliche Selbstbewusstsein ist beispielsweise ein Symposium, das in dieser Woche von Montag bis Mittwoch in Cotonou abgehalten wurde, organisiert von der Bischofskonferenz Benins. Bischöfe, Priester, Ordensangehörige und Theologen aus ganz Afrika nahmen teil. Und zwei Europäer: Der Rottenburger Weihbischof Thomas Maria Renz und der französische Erzbischof Thierry Jordan. Als gleichberechtigter Gesprächspartner verstehen sich dabei die afrikanischen Katholiken. Entsprechend lautete der Titel des Symposiums “Dialog der Geschwisterkirchen Europas und Afrikas darüber, wie sie gemeinsam für Versöhnung, Gerechtigkeit und Frieden arbeiten können”.

Dass Mission und Neuevangelisierung für die afrikanische Kirche im Verhältnis zu Europa keine Einbahnstrasse mehr sind, darüber weiss der Rottenburger Weihbischof in Cotonou nach dem Symposium im Gespräch mit dieser Zeitung zu berichten. Er hatte den afrikanischen Zuhörern Neuevangelisierungs-Initiativen der Deutschen Bischofskonferenz wie “Zeit der Aussaat” oder den angelaufenen Dialogprozess von Laien und Bischöfen vorgestellt und dabei bemerkt: “In der Diskussion wurde schon kritisch nachgefragt, ob Deutschland überhaupt für eine Neuevangelisierung bereit ist, einige Teilnehmer hatten eine ganz gute Kenntnis von Deutschland. Afrika weiss, dass wir Missionsland geworden sind.” Deshalb hat auch das alte Missionsverständnis ausgedient, so Renz. “Wir schicken einfach Geld, das funktioniert nicht mehr.”

Deutsche sind hier angesehener als Franzosen

Der Rottenburger Weihbischof würdigte in Cotonou deshalb auch die Flexibilität (“sie sind alle sehr sprachbegabt”) und Arbeit afrikanischer oder indischer Priester in deutschen Pfarreien – bei allen Schwierigkeiten vor Ort – als Beitrag für eine neue Glaubensdynamik.

Gleichwohl – das finanzielle Engagement der Deutschen Bischofskonferenz in Benin bleibt gerne gesehen. Sie übernahm jetzt beispielsweise einen Grossteil der Kosten für den Bau eines Hauses der Bischofskonferenz in Benin. Auch katholische Hilfswerke aus Deutschland wie beispielsweise “Kirche in Not”, “Missio” oder “Misereor” engagieren sich umfangreich in Afrika. “Deshalb kann man auch nicht sagen, dass die Kirche in Deutschland kein Geber mehr ist”, argumentiert gegenüber Renz der Priester und Philosophieprofessor Crépire Acapovi, der in Benin am Priesterseminar St. Paul Djímé lehrt. In Benin schätze man an den Deutschen, dass ihre Hilfe in einer Art geschwisterlichen Geist erfolge und sie vor allem etwas für die Bildung in Afrika tun – “im Gegensatz zu Frankreich, die immer ein stolzer Geber sind und durchblicken lassen, dass sie hier einmal die Herren waren, uns immer mit einer gewissen Art von Ironie behandeln, die hier nicht gut ankommt”. Das klingt auch im Gespräch mit afrikanischen Journalisten im Pressezentrum für den Papstbesuch in Cotonou durch: Sie mögen die Franzosen nicht, die Deutschen gelten ihnen dagegen als “Volk der Dichter und Denker”, von dem sie lernen können.

Professor Acapovi selbst ist das beste Beispiel für einen solchen Wissenstransfer, der nicht Europa, sondern dem oft als “vergessenen Kontinent” apostrophierten Afrika zugute kommt. Acapovi hat im vergangenen Jahr an der Theologischen Fakultät in Trier bei Professor Werner Schüssler über den Religionsphilosophen Paul Tillich und dessen “Ontologie der Liebe” promoviert. Er spricht perfekt Deutsch. Er kennt die Probleme der Kirche in Afrika und welche Bedeutung das Motto der Papstreise hat: “Versöhnung, Gerechtigkeit und Frieden”. Somalia, Ruanda, Liberia, Kongo, Nigeria, und, und, und: Die Liste der grausamen Kriege und Bürgerkriege auf dem schwarzen Kontinent ist lang. “Die Kirche in Kongo etwa hat eine klare Linie: Wir haben den Krieg erlebt, jetzt wollen wir endlich Frieden und Gerechtigkeit.”

Wo in Afrika Krieg, Bürgerkrieg und Diktaturen wüteten oder noch wüten, da muss die Kirche von unten anfangen, für Versöhnung zu sorgen, sagt Professor Acapovi. “Katechese und Familienpolitik sind hier die wichtigsten Felder, es geht darum, Respekt voreinander zu lehren.” Hier müssen sich Völker und Ethnien Dinge vergeben, die eigentlich über das Vergebungsvermögen des Menschen hinausgehen. Das dies dennoch gelingt, dafür muss aber die angestaute Wut erst einmal zur Sprache kommen können, erklärt der Philosoph weiter. Wie etwa in Togo.” Seit 1967 herrschte dort der Präsident diktatorisch, jetzt ist sein Sohn Nachfolger geworden, viele Menschen sind getötet oder entführt worden, darüber wollen und müssen sie reden”, erklärt Acapovi. Die Kirche in Togo stelle jetzt den Raum dafür zur Verfügung, wie in einem jüngsten Bischofswort angekündigt worden sei. “Das Ziel ist es, einmal eine Art Wahrheitskommission wie in Südafrika zu installieren, mit deren Hilfe die Vergangenheit aufgearbeitet werden soll. Dafür ist die Kirche von der Politik angefragt worden, berichteten Teilnehmer aus Togo auf dem Symposium in Cotonou”, so Acapovi. Ohne politische Stabilität in Afrika sind seiner Meinung nach alle anderen bedrängenden Malaisen von Hunger über Korruption und interreligiösen Konflikten bis hin zur Unterentwicklung der Infrastruktur nicht zu lösen. Zu diesem Themenkomplex erhofft sich der Philosophieprofessor gerade vom nachsynodalen Apostolischen Schreiben zur II. Sondersynode der afrikanischen Bischöfe 2009 in Rom, das Papst Benedikt XVI. in Benin überreicht, wichtige Impulse.

Benin, das als eine der stabilen Demokratien in Afrika gilt, kennt einen solchen Prozess, in dem die Kirche eine wichtige Rolle spielt. Bis 1990 war es eine marxistisch-leninistische Diktatur gewesen. Dann erlebte es wie die europäischen Staaten des Warschauer Paktes und die DDR eine Wende hin zur Demokratie. Diese Wende moderierte im Februar 1990 entscheidend der damalige Erzbischof von Cotonou, Isidore de Souza, als Leiter einer Nationalversammlung, die die Weichen für die heutige Mehrparteiendemokratie stellte. In der Berichterstattung zum Papstbesuch sendet das Fernsehen Benins, ORTB, in diesen Tagen mehrmals eine Dokumentation über diese Versammlung und Erzbischof de Souza, der hohe Anerkennung beim Volk geniesst. Auch danach vermittelte die Kirche in Benin immer wieder, um den sozialen Frieden zu erhalten. Der legendäre Kardinal Bernardin Gantin etwa, den Papst Johannes Paul II. zum ersten schwarzafrikanischen Leiter einer Vatikankongregation ernannt hatte, schlichtete in seinem Ruhestand in Cotonou 2008 – ein Jahr vor seinem Tod – den Streit zwischen dem heutigen Präsidenten Boni Yayi und seinem Vorgänger Nicéphore Soglo, Führer der Opposition. Und erst kürzlich wurde der heutige Erzbischof von Cotonou, Antoine Ganye, als Mediator bei einem Streik der Finanzbehörden des Landes eingesetzt.

Versöhnungsarbeit ganz anderer Art, die für die Kirche in Afrika derzeit immer wichtiger wird, leistet Pfarrer und Steyler Missionar Aristidé Vignidah in Togo. Er studiert derzeit am Päpstlichen Institut Johannes Paul II. für Ehe und Familie in Cotonou. In seiner Heimatpfarrei, so erzählt er, besteht ein Grossteil seiner Arbeit darin, was in Deutschland Paar- und Familientherapie heisst. Das grösste Problem dabei sind für ihn die Männer. Sie seien oft untreu, hielten sich neben der Ehefrau noch mehrere Geliebte, mit denen sie mehr Zeit als mit Frau und Kindern verbrächten. Das drohe immer wieder die Familien zu sprengen und zu handfesten bis gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen den Herkunftsfamilien des Mannes und der Frau zu führen. Zum Streit käme es oft auch, weil die Mütter und Väter von ihren verheirateten Söhnen verlangten, sich mehr um sie als um die eigene Frau und die Kinder zu kümmern. “Ich versuche dann, durch ein Gespräch mit allen Beteiligten zu vermitteln und vor allem den Männern, die Christen sind, klarzumachen, was eheliche Treue für einen Christen bedeutet und warum sie so wichtig ist.”

Für diese Arbeit gibt es sogar eigene Seelsorge- und Eingreifteams der Kirche, die mit den staatlichen sozialen Behörden vor Ort kooperieren, berichtet der Pfarrer. Er wirbt für natürliche Familienplanung, die auf künstliche Verhütung verzichtet, wofür er sich Anregung aus der Lektüre einer “Theologie des Leibes” nimmt. “So gelingt es uns, dass die Familien heute vier, fünf oder sechs Kinder haben, wo sie früher über zehn Kinder hatten”, erläutert er. Und für die Jungen und Mädchen dann auch in Bildung zu investieren, dazu möchte er die Familien motivieren. Aristidé Vignidah ist ein gleichermassen zupackender wie politischer wie nachdenklicher wie spiritueller Mensch. Er versäumt im Institut keine der täglichen Messen und keine Anbetung. Er macht sich aber auch Gedanken über den Einfluss, den der westliche Konsumismus (“gerade die jungen Leute in Afrika wollen mittlerweile alles hier und sofort, niemand denkt an seine Rente, die Gier nimmt zu”) zunehmend hat, über das ungerechte Weltwirtschaftssystem, über die Konkurrenz weltlicher Nichtregierungsorganisationen aus Europa und den USA, die seiner Meinung nach die westliche, sehr technizistische Sicht der Welt Afrika einfach überstülpen, ohne die Kultur der Afrikaner zu achten – oder wie die Frauen in Afrika ökonomisch unabhängiger werden können, ohne dass es dadurch zu mehr Scheidungen kommen muss, weil sie sich so leichter von ihren Männern trennen können.

Ehen und Familien krisenfest machen

Ein angemessenes Rollenverständnis der Männer und Frauen – das kristallisiert sich auch im Gespräch mit schwarzafrikanischen katholischen Journalisten im Pressezentrum von Cotonou als einer der Schlüssel für die Entwicklung Afrikas heraus. Ein Mann und zwei Frauen aus dem Team eines Diözesanradios aus Kamerun etwa debattieren angeregt und gestenreich über männliche Untreue, frauliche Dominanz und wie beides im Alltag zusammenhängt. Es geht um Grundsätzliches, nicht um Klischees. Ehe und Familie krisenfest zu machen, das ist für diese Frauen und Männer eines kirchlichen Mediums eine der Hauptaufgaben der Kirche in Afrika.

Papst Benedikt XVI. wird heute und morgen in Benin darüber predigen. Für ihn ist die katholische Kirche in Afrika auch deshalb eine “grosse Hoffnung”, weil sie ihr soziales Engagement, ihren gesellschaftlichen Auftrag aus einem grossen Reservoir an geistlichen Berufungen speisen kann. Oder wie es der Sekretär der Apostolischen Nuntiatur in Benin, der Fuldaer Priester Daniel Pacho, am Mittwoch in Cotonou gegenüber dieser Zeitung formuliert: “Die Kirche in Afrika verbindet auf eigene Weise die horizontale Ebene der Weltverbesserung mit der vertikalen Ebene der Gottesbeziehung, was ja gerade das Anliegen des Heiligen Vaters ist.” Auf welche Weise, das illustrieren auch die Kennzahlen der katholischen Kirche in Benin, wie sie der Vatikan am Donnerstag veröffentlicht hat. Danach sind von etwa 8, 8 Millionen Einwohnern knapp drei Millionen Katholiken. Sie leben in zehn Diözesen mit 338 Pfarreien und 801 Pfarrzentren. Benin hat derzeit elf Bischöfe, 811 Priester, 1 386 Ordensangehörige, 30 Laienmitglieder von säkularen Instituten und 11251 Katechisten. In den Priesterseminaren sind 805 Seminaristen eingeschrieben. 57 771 Schüler besuchen 234 katholische Bildungseinrichtungen. Im sozialen Bereich betreiben unterschiedliche kirchliche Träger landesweit zwölf Hospitäler, 64 kleinere Kliniken, drei Leprastationen, sieben Senioren- und Behindertenheime, 41 Kinderstationen und drei Familienzentren.

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