“Wir klagen an”

So lautete der Titel eines Buchs von zwanzig Vatikanprälaten über die Zustände in der Kurie

Die Tagespost, Blog Römische Warte, von Guido Horst, 06.09.2011

Warum hat Johannes Paul II. diesen Saustall nicht ausgemistet? Er war bestens informiert. Aber er verliess die heiligen Hallen und reiste durch die Welt. Der Erfolg hat ihm Recht gegeben. Ein Gottesbeweis.
 
Es drängt mich schon, zur aktuellen Vatikan-Berichterstattung zurückzukehren. Aber mit so um die 32 Grad hält uns der römische Sommer noch fest im Griff und entsprechend lau ist die Nachrichtenlage. Ein kleines Intermezzo war das Dokument des Staatssekretariats zum Missbrauchs-Skandal in Irland und der Wechsel an der Spitze der Verwaltung des Vatikanstaats. Dazu steht heute etwas in der Tagespost. Also werde ich noch zwei, drei Selige und Heilige erwähnen – und zum Buchstaben “K” fällt mir natürlich Karol Wojtyla (1920-2005) ein, sein Grab liegt schliesslich nur wenige Steinwürfe von meinem Büro entfernt.

Bleiben wir vatikanisch: Johannes Paul II. hat die römische Kurie neu strukturiert, was er lesen musste, hat er gelesen, was zu unterschreiben war, hat er unterschrieben, er hat alles auf sich genommen, was ein Papst an der Spitze der Zentrale der katholischen Weltkirche auf sich nehmen muss, und was das päpstliche Schrifttum angeht, so war er ja besonders fleissig. Aber eins hat er nicht getan: Er hat den – salopp gesagt – Saustall nicht ausgemistet. “I Millenari” – “Die Tausendjährigen” – nannten sich die Autoren, die kurz vor dem Heiligen Jahr 2000 mal beschrieben haben, wie es so im Vatikan zugeht. “Via col vento in Vaticano” hiess das Pamphlet, in Deutschland war es unter dem Titel “Wir klagen an” (im Aufbau-Verlag, hihihi) zu haben. Zwanzig Prälaten, eher konservative bis hochkonservative Frustrierte in den höheren Etagen der Kurie, hatten sich da – auf immerhin 340 Seiten, so die deutsche Fassung – den ganzen Ärger über die Eitelkeiten, die Korruption, die Seilschaften, die finanziellen und sexuellen Machenschaften hinter den heiligen Mauern von der Seele geschrieben. Wenn nur zehn Prozent davon wahr sind, ist das ein Gottesbeweis: Wenn die Kirche trotz dieser Kleriker-Brut an den Schalthebeln der vatikanischen Macht in der heute so schwierigen Zeit überlebt und nicht zugrunde geht, sondern auch noch wächst, dann ist das ein wissenschaftlich nicht widerlegbarer Beweis dafür, dass nicht Menschen, sondern der Heilige Geist und seine Schutzengel die Kirche führen.Und genau das hat Karol Wojtyla gewusst. Er hat es erst gar nicht versucht, aus dem Vatikan einen Tempel der Tugend und Seligkeit zu machen. Er hat den Speichel der Vatikanprälaten auf seinen Schuhen trocknen lassen und ist abgereist, hat den Globus mehrfach umrundet, hat die Weltjugendtage ins Leben gerufen, seinen felsenfesten Glauben auf das Podest der Weltöffentlichkeit gelegt und mit diesem Zeugnis Hunderttausende, vor allem junge Menschen, zur Kirche zurückgeholt. Johannes Paul II. ist ein grosser Papst und ein grosser Heiliger. Aber zur Heiligkeit gehört auch Klugheit. Und damit war der listige Pole reich gesegnet.

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