Tief im Inneren zerrissen

Der Besuch des Papstes rückt näher

Die Tagespost, 09.09.2011,von Markus Reder

Je näher der Besuch von Papst Benedikt rückt, umso grösser die Nervosität im katholischen Deutschland. Hier ein Interview, da ein Hintergrundgespräch. Was wird er sagen, wozu wird er schweigen? Erwartungen werden formuliert, Hoffnungen geweckt. Das alles ist normal vor einem solchen Ereignis, hilft aber keinen Millimeter weiter. Entscheidend ist, hinzuhören, was Benedikt XVI. tatsächlich sagt. Das allein zählt, nicht die Stichwortgeberei im Vorfeld und auch nicht die kirchenpolitischen Analysten, die bereits jetzt an ihren Kommentaren feilen, lange bevor der Papst deutschen Boden betreten hat. Die ehrliche Bereitschaft zuzuhören wird am Ende über den Erfolg dieses Papstbesuches entscheiden. Wichtig ist aber noch etwas anderes: Die Bereitschaft, die Situation der Kirche in Deutschland nicht schönzureden. Nur wer sich der Realität stellt, hat eine Chance auf Zukunft.

Es geht nicht darum, ein Schisma herbeizureden. Aber den tiefen Riss, der die katholische Kirche in Deutschland durchzieht, nicht wahrhaben zu wollen, ist höchst gefährlich. Das Katholische umfasst immer eine grosse Bandbreite. Das ist richtig und gut. Wo aber in wesentlichen Fragen des Glaubens keine Einheit mehr besteht, da läuft die Kirche Gefahr, sich selbst zu versenken.

Wer ist Jesus Christus? Wozu ist die Kirche da? Was feiern wir in der Eucharistie? Wozu die Sakramente? Und was hat das alles mit dem katholischen Dienstamt zu tun? Machen wir uns nichts vor: Das ist das kleine Einmaleins des Glaubens und selbst bei solchen Fragen gehen die Antworten unter engagierten Laien wie unter Geistlichen weit auseinander. Das hat nichts mehr mit jener volkskirchlichen Weite zu tun, von der Erzbischof Zollitsch diese Woche gegenüber der “Welt+ sprach, als er meinte, er sehe keine Anzeichen für eine Spaltung der Kirche in Deutschland.

Der “Aufruf zum Ungehorsam” zahlreicher Priester, der die Kirche in Österreich erschüttert, macht sichtbar, was dort längst traurige Realität ist. Sage niemand, die geistlich-theologische Lage in Deutschland sei völlig anders. Der Riss, die Spaltung in wesentlichen Fragen des Glaubens, ist leider keine Fiktion. Er ist auch keine Kopfgeburt dubioser Winkelkatholiken, denen eine Kirche der Reinen und Auserwählten vorschwebt, die in keiner Weise katholisch wäre. Die innere Zerrissenheit der Kirche ist der bittere Befund, wenn man den Alltag der Kirche betrachtet. Das muss man nüchtern feststellen. Nicht um schwarzzumalen, sondern um die richtige Therapie zu finden. Nicht die Gesunden brauchen den Arzt, sondern die Kranken. Der Papst kommt auch als Arzt. Aber kein Arzt kann helfen, wenn es dem Patienten an Einsicht in die eigene Situation fehlt.

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