Die heutigen, säkularen Menschen haben ein immenses “Heimweh nach Gott”

Nur eine demütige, armselige Kirche kann Gottes Güte ausstrahlen

Castel Gandolfo, 29. August 2011, zenit.org

Otto Neubauer, der Direktor des Evangelisationszentrums der Gemeinschaft Emmanuel in Wien, sprach am vergangenen Samstag in Papst Benedikt XVI. Anwesenheit vor  dem “Ratzinger Schülerkreis” über den Lernprozess, den die Gemeinschaft Emmanuel in ihrem Einsatz für die Neuevangelisation durchlaufen hat. Das Thema der Neuevangelisation stand im Mittelpunkt des diesjährigen Seminars, zu dem sich die ehemaligen Doktoranten des Papstes alljährlich in Castel Gandolfo versammelt haben. Benedikt XVI. selbst hatte das Thema ausgewählt, mit dem sich auch die Dreizehnte Generalversammlung der Bischofssynode im Oktober nächsten Jahres beschäftigen wird. Bereits in diesem Jahr trifft er sich mit Kirchenvertretern, die sich für die Neuevangelisierung im Westen einsetzen.

Neubauer stellte seinen Vortrag unter das Leitwort: “Eine immer neue Evangelisation – Wo die Armut zur Brücke zu den Menschen wird”. Er beschrieb die rasch fortschreitende Säkularisation in Europa als eine Chance, das Evangelium wieder frei zu legen und die “Kenosis” (Herablassung) des Herrn zu den armen und erniedrigten Menschen neu zu verstehen.

Der Leiter des Wiener Evangelisationszentrums erklärte hierbei die Armut zu einem notwendigen Bindeglied zwischen den sogenannten “säkularen”, ungläubigen Menschen und den evangelisierenden Christen. Auf der einen Seite bringe die Gottesleugnung den immensen Hunger nach Gott selbst zum Vorschein. Denn “die eigentliche und grössere Armut in Europa ist der dramatische Mangel an Angenommensein und Geliebtsein, der Mangel an Erfahrung der Güte Gottes”. Die heutigen Menschen hungerten nach dem persönlichen Zeugnis der Christen für Gott. Sie suchten das vielleicht armselig erscheinende, aber ehrliche und leidenschaftliche Erzählen über den eigenen Weg mit Jesus Christus. Für diese Art der Verkündigung im “Geist der Kindschaft” müsse die “erwachsene, reife und ältere Kirche” jedoch über ihren Schatten springen. Die einzelnen Christen und die Kirche seien auf der anderen Seite oftmals mit einem herablassenden, “verurteilenden Blick auf die Welt” behaftet, der einer falschen Selbstsicherheit und mangelnden Einsicht in die eigene Armut vor Gott entspringe. Dieser Blick sei das Grundhindernis für die kirchliche Verkündigungsarbeit. Er offenbare eine andere Art von Armut, nämlich die fehlende Einsicht in das eigene Angewiesensein auf Gottes Barmherzigkeit. Daher sei eine tiefgreifende Umkehr und Selbstevangelisierung der Christen selbst notwendig, um ein demütiges und leidenschaftliches Zeugnis für Christus als Retter ablegen zu können.

Neubauer  beschrieb im Folgenden den Lernprozess der Gemeinschaft Emmanuel bei ihrem Versuch, im deutschsprachigen Raum neue Formen der Gemeindemissionen zu praktizieren. In einem ersten Schritt habe die Gemeinschaft lernen müssen, “dass die Gastfreundschaft des Herrn alles umdreht”. Man sei in die Pfarrgemeinden gegangen, um sie auf den Weg der Mission vorzubereiten. Die Gemeindemitglieder, die ihr kirchliches Milieu verlassen und “sich auf die Strassen, Plätze, in die Wohnungen, die Kaffees und Bars des Ortes” gewagt hätten, hätten – wie in einem heilsamen Schock –  ihre eigene Armut und ihr Angewiesensein auf den Geist Gottes erfahren. Zugleich durften sie erleben, dass ihre kleinen, “stotternden” Zeugnisse oftmals bereitwillig von den Menschen angenommen worden seien. Die Evangelisierer seien den Wunden und Sehnsüchten der Menschen begegnet und hätten lernen müssen, zuzuhören, um “durch das Hören zu verkünden”. Sie seien durch die Berührung mit den Nöten und dem verborgenen Heimweh der Menschen nach Gott von Gastgebern zu Gästen geworden, die sich nicht mehr als “Besitzende”, sondern “vielmehr als unverdient “Beschenkte” dieser Wahrheit der Heimkehr” verstünden. Ihr Zeugnis sei dadurch demütiger und leidenschaftlicher geworden. Gerade die ungeliebten und verachteten Menschen hätten sie am freundlichsten aufgenommen. Jesus Christus selbst habe in den Armen und Bedürftigen zu den Evangelisierern gesprochen. Neubauer resümierte als ersten “Lernschritt”: “Die Neuevangelisierung braucht zuerst die echte Berührung, und in dieser Berührung die Erfahrung und das Bezeugen des unbedingten Ja Gottes zum Menschen. Christus ist dieses Ja!”

Der zweite Lernschritt zu einer missionarischen Gemeinschaft sei gewesen, “Christus … anzubeten in den Menschen, denen wir in der Mission begegnen”. Die Einladung zur eucharistischen Anbetung – ein fester Bestandteil im Leben der Gemeinschaft Emmanuel – habe zu neuen Gottesdienstformen geführt, die gerade junge Menschen ansprächen.

Die Evangelisierer müssten lernen, “die Menschen stellvertretend in Anbetung und Lobpreis vor den Herrn zu bringen, so dass sie immer mehr unser Herz bewohnen!” Sie würden durch dieses “Bewohntsein” erfahren, “dass durch diese anbetende Mission und gelebte Compassion, Menschen an uns hängen können, ohne ihn zu kennen” (Benedikt XVI., Weihnachtsansprache, 21.12.2009). Neubauer erklärte anhand von Beispielen, wie wichtig der freundschaftlich-familiäre Umgang mit ungläubigen Menschen sei, die im Herzen ein verborgenes “Heimweh” nach Gott verspürten. Dialog und Compassion (griechisch: sym-pathein) seien notwendig, um mit ihnen die negativen Folgen der Leugnung Gottes zu durchleiden und sie dadurch für die katechetische  Glaubensunterweisung zu öffnen.

Als dritten Lernschritt nannte Neubauer die Erfahrung, dass nur eine geschwisterlich lebende Gemeinschaft, in der menschliche und geistliche Freundschaften gepflegt würden,  missionarisch tätig sein könne. Grossveranstaltungen wie der Weltjugendtag könnten nur Früchte bringen, “wenn sie in kleinen Gruppen der Freundschaft gelebt werden”. Denn es zeige sich, “dass wir alle dieser einfachen Nahrung der Liebe bedürfen, d. h. der konkreten Geschwisterlichkeit, der Freundschaft untereinander und mit dem Herrn. Wir brauchen diese kleinen Zellen, diese kleinen christlichen Gemeinschaften, in denen gebetet und das Wort Gottes ausgetauscht und in die konkrete Welt hinein übersetzt wird. Es sind Gebets- und Erzählgemeinschaften. Keine Kuschel-Nischen des Rückzugs, sondern Zellen, die mitten in der Welt eingepflanzt sind.” Der Leiter der Evangelisationsschule bedauerte, dass einige Diözesanleitungen mit ihren allzu festen Strukturen die jugendlichen Missionare zurückdrängten und die Bewegungen durch eine “Welle der Klerikalisierung” in der Neuevangelisierung lähmen würden. In der Kirche müssten Laien und Kleriker in gegenseitiger Wertschätzung und demütiger Geschwisterlichkeit miteinander umgehen. Neubauer erzählte von dem Beschluss der Erzdiözese Wien, “Jüngerschaftsschulen” verschiedenster Art aufzubauen, “die auch von den Laien getragen werden können und neue missionarische Kraft entwickeln”.

Der vierte und letzte Lernschritt ist nach Neubauer die Einsicht, “dass Demütigungen und Verwundungen der Stoff der Neuevangelisierung werden”. Die Kirche müsse ihr Versagen und ihre Schuld demütig eingestehen, ohne sich vorschnell zu verteidigen. Herrschaftliche Gebärden seien dem Evangelium nicht angemessen und müssten daher aufgegeben werden. Zugleich müsse die Kirche in Europa die demütigende Tatsache annehmen, dass sie immer kleiner werde und “vergreise”. Sie werde auch als aufbrechende Gemeinschaft nicht wieder zu einer neuen sichtbaren Grösse und zu weltlichem Rang aufsteigen.

Otto Neubauer erzählte von seinen Erfahrungen als Religionslehrer an einem kirchenfeindlich eingestellten Gymnasium. Dort habe er nur unterrichten können, indem er Freundschaften aufgebaut und von (heiligen) Menschen erzählt habe, die mit Jesus Christus gelebt hätten. Die Schüler selbst hätten im Laufe der Zeit durch “basisdemokratische” Abstimmungen den Zugang zur Beichte und das (Wieder-)Aufhängen von Kreuzen in den Klassenzimmern eingefordert. Der Leiter der Evangelisationsschule ermutigte abschliessend angesichts des Niedergangs des christlichen Europas: “Wenn wir uns nur in aller Armseligkeit den Menschen von heute tatsächlich aussetzen und um Seinen Geist bitten, dann werden wir diesen unendlichen Hunger nach Gott spüren, erleben. Er liegt so unmittelbar vor uns.”

Er fügte hinzu, dass Gott offensichtlich noch mit uns Erbarmen habe, „so dass er die sogenannten Heiden erwählt hat, sein Wort ganz neu hervorzubringen. … So sehr bitte ich den Herrn, dass wir diese Demütigungen unserer Zeit als Eingangstore Seiner Gegenwart annehmen können. Fast scheint mir, als könnte diese Gesellschaft erst durch ein gedemütigtes, armseliges, kleines Volk hindurch das Licht Seiner Güte erkennen.“

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