Wer es fassen kann, der fasse es!
Und bete ein Vaterunser für die unerwünschten Embryonen
Das Barbie-Puppen-Syndrom
Der Bundestag hat die Zulassung der PID erlaubt. Designer-Babys aber wolle niemand, heisst es. In den USA erfüllt die Reproduktionsmedizin Eltern längst derartige Wünsche. Von Stefan Rehder
Kinder als Lifestyleprodukt? Mittels Präimplantationsdiagnostik erfüllen Reproduktionsmediziner in den USA bereits die Wünsche von Eltern, welches Geschlecht das künftige Kind haben soll. Sie sprechen dabei von “social sexing” und “balanced families”.
Mary Johnson, erfahren wir, müsste sich gar keiner künstlichen Befruchtung unterziehen, um schwanger zu werden. Sie und ihr Mann wären durchaus in der Lage, Kinder zu zeugen. Nur willens sind sie dazu nicht. Denn die Johnsons wollen das Geschlecht ihres Kindes nicht dem Zufall überlassen, sondern unbedingt ein Mädchen. Ihr Mann sei schon älter. Da wäre ein Junge “einfach zu anstrengend”, begründet Mary Johnson ihre Entscheidung, sich einer künstlichen Befruchtung samt anschliessender PID zu unterziehen.
Im Fertility Institute ist sie da an der richtigen Adresse. Die 1986 gegründete Fortpflanzungsklinik wird von Jeffrey Steinberg geleitet, einem kleinen untersetzten Mann, dessen runder bulliger Schädel beinah auf den Schultern aufsitzt. Der heute 56-jährige Reproduktionsmediziner hat sein Handwerk an der Wiege der künstlichen Befruchtung erlernt und an der “Bourne Hall Clinic” der Universität Cambridge mit den Pionieren der In-Vitro-Fertilisation (IVF) Patrick Steptoe und Robert Edwards zusammengearbeitet. 1999 begann Steinberg dann in Los Angeles damit, die von ihm hergestellten Embryonen vor der Übertragung in den Uterus mittels PID auf genetische Anomalien zu untersuchen. Vier Jahre später spezialisierte er sich darauf, Kinder per Geschlecht zu selektieren. Möglich ist dies, weil sich bei Neonlicht das Y-Chromosom, das nur Jungen besitzen, unter dem Mikroskop zweifelsfrei ausfindig machen lässt. Embryonen mit unerwünschtem Geschlecht werden sterben gelassen oder der Forschung zur Verfügung gestellt.
Ein todsicheres Verfahren also. Und eines, das sich rechnet. Denn pro Geschlechtsselektion verlangt Steinberg, der mittlerweile auch Filialen in New York und Guadalajara (Mexiko) betreibt, umgerechnet rund 14 000 Euro. 7 000 Paaren will er auf die Weise schon zu einem Kind mit dem gewünschten Geschlecht verholfen haben. Fast Dreiviertel seiner Kunden kämen nur zu ihm, weil sie sich bei ihm das Geschlecht des Kindes aussuchen könnten, verrät Steinberg. Darunter sind auch viele Deutsche. Für sie hat Steinberg eigens Teile der Website des Fertility Institutes übersetzen lassen. Weitere Fassungen sind in chinesischer, französischer und spanischer Sprache gehalten.
Ethische Bedenken quälen den Millionär, der eigenen Angaben zufolge pro Tag rund drei Geschlechtsselektionen mittels PID durchführt, und sich mit einer Trefferquote von “100 Prozent” brüstet, keine. Ganz im Gegenteil: “Wir arbeiten Hand in Hand mit Gott”, behauptet Steinberg. “Wenn jemand eine Blindarmentzündung bekommt, würde Gott ihn sterben lassen. Der Arzt kommt, operiert und rettet Leben. Spielt er Gott oder arbeitet er Hand in Hand mit ihm?”, fragt der Reproduktionsmediziner, um gleich darauf seine Sicht der Dinge zu präsentieren: “Wir studieren Gottes Arbeit. Das Paar macht den Jungen oder das Mädchen, welches Geschlecht es zurückbekommen will, ist die Entscheidung des Paars.”
Und die können offenbar noch viel schlichter motiviert sein, als Steinbergs Argumentationen ausfallen. So verriet der “Lehrling Gottes” vor einigen Jahren in einem Zeitungsinterview: “Zu mir kommen Frauen, die fünf Söhne haben, und sich sehnlichst wünschen, die eigene Tochter modisch einzukleiden.” Die Reproduktionsmediziner, die ihr Berufsfeld für einen seriösen Zweig der Medizin halten, sprechen hier deshalb auch nicht vom “Barbie-Puppen-Syndrom”, sondern von “social sexing” und “balanced families”. Wobei die Rede von den geschlechtlich ausbalancierten Familien, die laut Steinberg für viele seiner Kunden zum “Lifestyle” gehörten, freilich auch nicht allzu wörtlich genommen werden muss. Denn selbstverständlich offeriert das Fertility Institute, in dem ausser Steinberg noch zehn weitere Spezialisten Arbeit finden, die Laborzeugung von Kindern und ihre anschliessende Selektion nach gewünschtem Geschlecht mittels PID auch homosexuellen Paaren.
Wobei Männer sich zuvor erst einmal auf eine Eizellspenderin einigen müssen. Was angesichts des Angebots nicht ganz einfach sein dürfte. 22 Gametenspenderinnen listet allein die Website auf. Dort hat das schwule Pärchen dann die Qual der Wahl. Soll es sich für die Eizellen einer deutschen Jurastudentin mit grünen Augen und braunem, welligen Haar entscheiden, die in ihrer Freizeit gerne Tennis spielt, oder für die einer britischen Künstlerin mit ebenfalls grünen Augen und welligem, wenn auch blondem Haar, die sich statt für Tennis für Computer und Wissenschaft interessiert? Oder wären vielleicht die Eizellen einer angehenden Ärztin aus Afrika mit braunen Augen und schwarzem, lockigen Haar, die gerne wandert, die richtige Wahl? Von den Slavinnen, Asiatinnen und Skandinavierinnen, deren Eizellen hier auch zu Markte getragen werden, ganz abgesehen.
Ob zeugungsfähig oder nicht, ob hetero- oder homosexuell, im Fertility Institute in Los Angeles scheint jeder willkommen zu sein, dessen Brieftasche dick genug ist. Und selbstverständlich ist das “Fertility Institute” in Los Angeles nicht die einzige Fortpflanzungsklinik, die in den USA die Geschlechtsselektion mittels PID anbietet.
Obwohl die nationale Fachgesellschaft, die “American Society for Reproductive Medicine (ASRM)” den Reproduktionsmedizinern in ihren Richtlinien empfiehlt, Eltern vor der Geschlechtsselektion zur Familienplanung abzuraten, bieten rund 65 Prozent der Fortpflanzungskliniken “social sexing” an. Mehr als die Hälfte ähnlich offensiv wie Steinberg. Die Übrigen auf Nachfrage. Jeffrey Steinberg würde gern noch weitergehen, als Kinder “bloss” nach ihrem Geschlecht zu selektieren.
Unlängst versprach er, mit einer neuen Methode dafür zu sorgen, dass seine Kunden auch die Haar- und Augenfarbe des Kindes auswählen könnten. Doch als es Kritik in den Medien, von der ASRM und Konkurrenten hagelte, machte er schliesslich einen Rückzieher. Die Gesellschaft sei wohl noch nicht bereit für einen solchen Schritt, sagt er und erinnert daran, dass es auch bei der ersten künstlichen Befruchtung vor rund 30 Jahren – das erste erfolgreich IVF-erzeugte Kind kam 1978 in Großbritannien zur Welt – ganz ähnliche Proteste gegeben habe. Inzwischen werde die künstliche Befruchtung als ein ganzes normales medizinisches Verfahren betrachtet. Vielleicht werde es also noch einmal 30 Jahren dauern, bis die Gesellschaft für seine neue Methode bereit sei. Dann aber stehe er bereit, droht er.
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