Alexander-Platz: Das katholische Lebensgefühl
Was verboten ist, macht doppelt Spass
The European, Alexander Görlach, 15.06.2011
Mein Freund Matthias Matussek schreibt ein Buch über seine Freude, katholisch zu sein. Katholisch sein, das sei ein Lebensgefühl, meint er. Damit will er seinen Glaubensgeschwistern ein von ihm attestiertes Minderwertigkeitsgefühl nehmen.
Eine kleine Gegenrede
In der deutschen Innenpolitik geht es gerade so trostlos zu, sodass ich mich hier meinem zweiten Lieblingsthema zuwenden muss: der Kirche. Überhaupt ist sie die Trösterin Nummer eins im Leben eines Christgläubigen und von solch überzeitlicher Entrücktheit, dass die Länge einer Legislatur ihr nichts bedeutet. Neben diesem äusseren Anlass, dem dringenden Bedürfnis nach Trost subito, gibt es einen weiteren, sich der Una Sancta zuzuwenden: Nämlich das neue Buch meines lieben Freundes Matthias Matussek: “Das katholische Abenteuer”
In zahlreichen Interviews und Texten, die das Erscheinen des Buches begleiten, unterstützt Matthias die Kernaussage seines Buches, die lautet: Ich bin gerne und selbstbewusst katholisch. So zitiert die “Süddeutsche Zeitung” ihn in einem Artikel: “Ich denke katholisch, ich fühle und lache und wüte katholisch, ich sündige, ich beichte, ich schaue katholisch auf die Welt.” Gleichzeitig attestiert er den zotteligen, liberalen Priestern der Nachkonzilsgeneration, dass sie die Liturgie geplündert und die Sakramente zu einer Lifestyle-Veranstaltung haben verkommen lassen. Matthias wird so zu einem weltläufigen Mosebach der Publizistik. Was bei dem Schriftsteller hölzern daherkommen mag, löst Matthias durch eine (katholische) Leichtigkeit auf, die dem Katholiken vom Rhein in mir alles andere als fremd ist.
Gott wäre gerne katholisch
Selbstverständlich ist das Katholische für ein Kind ein Abenteuer: die bunten Gewänder, die schöne Musik, die Gesten, das Auf und Nieder in der Messe. Die feierliche Prozession am Fronleichnamstag, wenn aus allen Häusern die gelb-weißen Fahnen wehen und zum Te Deum die Glocken im Turm und die Schellen in den Händen der Ministranten erklingen. Der Katholizismus bindet auf diese Weise; hier kann ich Matthias voll und ganz zustimmen. Und was könnte Gott in solchen Situationen mehr wollen, als selbst katholisch zu sein?
Hat nun Christus, der Herr, selber diese Kirche gegründet? Auf dem Fundament der Apostel? Verbindet der Empfang der Sakramente den Glaubenden mit Gott? Man muss dem Katholizismus sicher eines lassen: Er hat sich über die Jahrhunderte nicht verbiegen lassen; unser Glaube ist immer noch so, wie er in der Spätantike am Beginn der christlichen Reichskirche formuliert wurde. Nichts am Katholizismus hat sich säkularisiert, der Himmel ist immer noch ein Hofstaat. Wir haben immer noch Priester, die zwar nicht opfern, aber ein einmal geschehenes Opfer immer und immer wieder aufleben lassen, vergegenwärtigen, mit Fleisch und Blut. Matthias hat recht: Das ist Religion. Metaphysik. Hinter den Dingen eine zweite Realität erscheinen lassen.
Mit dem Papst ins Olympiastadion
Das sind Gewissheiten, die von aussen und von innen infrage gestellt werden. Matthias attestiert den Katholiken deshalb, dass sie – zumindest in Deutschland – einen krassen Minderwertigkeitskomplex hätten. Nicht, dass das auch oft genug von den Muslimen behauptet wird, es findet sich in der kleinlichen Planung der Papstreise im September eine Entsprechung: Klein sollte die Messe in Berlin sein, vor dem Schloss Charlottenburg. Angst hatten die Kirchenoberen, man würde das Olympiastadion nicht voll bekommen. Es war 1996, als Johannes Paul II. da war, auch nicht ganz voll. Nun haben sich die Katholiken angemeldet und zwar zu Zehntausenden. Jetzt wird es doch das Olympiastadion. Ob das mit dem Erscheinen von Matthias’ Buch zu tun hat?
Wer will es den Katholiken verdenken: Seit dem Konzil müssen sie verunsicherte Priester ertragen, die Hochaltäre abgefackelt haben, bunte Kirchen weiss getüncht, heilige Riten abgeschafft haben. Selbst noch in der Gegenwart – in meiner rheinhessischen Heimat – wo einst in den 70er-Jahren ein Bilderstürmer wütete, hat der gegenwärtige Pfarrer, ein Kauz, die Betstühle aus der Kapelle entfernen und auf dem Feld verbrennen lassen (wurde mir berichtet). Nun steht Stuhlmobiliar in der neuromanischen Kapelle, das da aber mal gar nicht reinpasst. Mit der Kritik an solchen Umtrieben gibt Matussek den Mosebach – und beide haben recht!
Glauben und Vernunft in Einklang bringen
Wer verschont uns vor Priestern, die immer zweifeln, die es nicht auf die Kette bekommen, kritisches Fragen mit inbrünstigem Beten zu verbinden? Gelebte Antworten auf die Frage, in welchem Verhältnis Glauben und Vernunft stehen, sind hierzulande rar. Der Papst ist, und da bin ich mit Matthias einer Meinung, der einzige bedeutende deutschsprachige Theologe, der sich dieser Fragestellung mit ganzer Intensität hingibt.
Wie es um das katholische Bodenpersonal in Deutschland bestellt ist: Jüngst geriet ein The European-Kollege in eine Diskussion mit einem mir herzlich verbundenen katholischen Geistlichen. Es ging um den “Youcat”, einen Katechismus für Jugendliche. Ein unglaublich naives Buch, das nach alter Väter Sitte Frage und Antwort auf existenzielle Lebensfragen aneinanderreiht. Warum Gott gegen Sex, Alkohol und das ganze Zeug ist. Der Kollege zum Pfarrer, dass ihn das alles wundert. Die Wirklichkeit sei doch viel komplexer. Der Pfarrer zum Kollegen: Das liegt daran, dass er in seinem Lebensalter eher schon zum Erwachsenenkatechismus, denn zum Jugendlichenkatechismus greifen solle. Aha. Nun, aus jahrelangem Studium kann ich sagen, dass in beiden Büchern dieselben Dinge verboten sind. Wenn das unsere geweihten Vorsteher sind, haben wir unseren Minderwertigkeitskomplex aber nicht von ungefähr!
Wichsen macht krumme Finger
Was verboten ist, macht doppelt Spass – eine katholische Weisheit. Und wenn ich mich an meinen Onkel Werner selig erinnere (er war Bestattungsmeister und daher häufig mit Klerikalem zusammen), dann sagte er zu mir, dass der Pfarrer zu seiner Zeit schon gesagt habe, dass Wichsen krumme Finger mache. Und er gab die Weisheit von Messdiener zu Messdiener weiter: Dem ist nicht so. Auch meine Finger sind heute noch ebenmässig. Diese kleine Anekdote also, lieber Matthias, zeigt auch eine Seite unserer heiligen katholischen Kirche. Und diese Seite braucht kein Mensch: diese Verlegenheit, Dinge anzusprechen, wie sie sind. Das ist nicht kokett, das ist verzweifelt. Dass die Religion der Fleischwerdung nicht über das Fleisch zu reden in der Lage ist: Stammzellforschung und Enhancement eingeschlossen.
Katholisch sein, da gebe ich Dir recht, lieber Matthias, ist ein Lebensgefühl. Es hat gelegentlich etwas mit Freude, aber leider oft etwas mit Schuld zu tun. Das haben andere Religionen auch zugegeben. Das macht es aber nicht besser. Dass wir unsere Sünden beichten können, auch nicht. Im Rückblick verklärt man vieles. Ein unverhohlenes Beklatschen der positiven Seiten des Katholizismus war vielleicht angesichts der Weltlage mal dran. Aber was machen wir nun in unserer katholischen Weihrauchburg, frage ich Dich?
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