Religionsunterricht, quo vadis
Der Religionsunterricht steht vor gewaltigen Umbrüchen
Workshop der Generation Benedikt über Chancen und Herausforderungen des Religionsunterrichts. Von Reinhild Rössler
Kein Schulfach ist so umstritten, bekämpft, verteidigt und erörtert worden, wie der Religionsunterricht. Er muss sich nicht nur im säkularen Umfeld immer wieder neu legitimieren, sondern ist auch innerhalb der Kirche stetig regen Diskussionen ausgesetzt. Inwieweit ist es überhaupt sinnvoll, Religion in der Schule zu unterrichten? Ist das Fach an öffentlichen Schulen fehl am Platz? Was können die Inhalte dieses Unterrichts sein und kann er die religiöse Erziehung in der Familie und die Katechese in der Gemeinde ersetzen? Zu diesen und vielen weiteren Fragen referierten am vergangenen Samstag Professoren, Lehrer und Ausbilder beim Workshop des Mediennetzwerkes Generation Benedikt in Bonn.
“Religiöse Sprachlosigkeit” der Eltern hat Folgen
Professor Ulrich Rhode SJ legte zu Beginn des Workshops den rechtlichen Rahmen des Religionsunterrichts in Deutschland dar, der in seiner heutigen Form weltweit wohl einzigartig ist. Dabei wies er auf die rechtliche Verankerung im Grundgesetz hin und auf die Unterschiede zwischen öffentlichen und privaten Schulen. Bei der Einordnung dieses Unterrichtsfaches müsse klar sein, dass es sich dabei um ein ordentliches Schulfach handelt, ebenso wie Mathematik und Biologie. Im Gegensatz zu Letzteren sei es den Schülern jedoch möglich, unter bestimmten Voraussetzungen vom Unterricht abgemeldet zu werden, was eine Folge der Religionsfreiheit ist. Auch Lehrer dürften nicht zum Erteilen des Religionsunterrichts verpflichtet werden. Das im Fächerkanon der Schulen einmalige Mitbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften in Bezug auf die Inhalte des Unterrichts und auf die Anforderungen an das Lehrpersonal, sei rechtlich auf die grundgesetzlich verankerte Neutralität des Staates in religiösen Belangen zurückzuführen.
Die kirchlichen Erwartungen an den Religionsunterricht legte Andreas Verhülsdonk als Vertreter der Deutschen Bischofskonferenz dar. Dabei betonte er, dass Glaube niemals das Ergebnis von schulischem Lernen sein könne, sondern ein Werk Gottes und die freie Entscheidung des Einzelnen ist. Dem Unterricht komme daher die Rolle zu, die Verbindung von Glaube und Vernunft für die Jugendlichen verständlich darzulegen. Vielfach würde jedoch fälschlicherweise davon ausgegangen, der Religionsunterricht könne die Lernorte “Familie” und “Gemeinde” ersetzen.
Dass sich viele Jugendliche nicht mehr mit dem christlichen Glauben identifizieren und ihn meist überhaupt nicht kennen, liege hauptsächlich an der mangelnden religiösen Erziehung in der Familie. Die “religiös sprachlosen” Eltern seien häufig nicht mehr in der Lage, den Kindern christliche Lehren weiterzugeben, sodass der Religionsunterricht oft die erste Begegnung der Schüler mit Religion darstellt. Daraus ergeben sich drei Aufgaben für den Religionsunterricht: Er müsse Grundwissen über das Christentum und andere Religionen vermitteln, praktische Erfahrungen mit dem Glauben ermöglichen sowie den Dialog und die Urteilsfähigkeit in religiösen Fragen fördern.
Welche Anforderungen an die Religionslehrer gestellt werden, erörterte folgend Gregor Hannappel, der im Erzbistum Köln für die Ausbildung der Pädagogen zuständig ist. Den Lehrern komme die Aufgabe zu, die Jugendlichen zum Sprungbrett des Glaubens zu führen. Abspringen – den Glauben annehmen und leben – müssen die Schüler dann jedoch selbst, oder eben nicht.
Erfrischend positiv waren im zweiten Teil der Veranstaltung die Ausführungen des Kölner Lehrers Norman Mellein, der von seinen praktischen Erfahrungen als Religionslehrer an einer öffentlichen Schule berichtete. “Das Interesse bei den Schülern ist sehr hoch”, so Mellein. Die Kinder würden mit der Religiosität ihrer muslimischen Mitschüler konfrontiert und stellten die Fragen nach ihrer eigenen Religion, nach Gott und dem Sinn ihres Lebens. Ausserhalb des Religionsunterrichts gebe es oft niemanden, dem die Schüler solche Fragen stellen können. Er sehe daher seine Aufgabe als Religionslehrer darin, den Schülern alles bis ins Kleinste zu begründen.
Kaum Glaubenswissen vermittelt
Im Religionsunterricht müsse der Lehrende als authentischer Christ allen Fragen souverän gewachsen sein. Erfahrungen des Glaubens vermittle er seinen Schülern, indem er zum Beispiel vor einem Museumsbesuch mit ihnen eine Messe im Kölner Dom besucht. “Und die Kinder finden es toll”, ermutigte Mellein die Lehramtsstudenten, die sich unter den circa sechzig Teilnehmern des Workshops befanden. Vor allem die eigene Persönlichkeit und Authentizität könne es einem Religionslehrer ermöglichen, einen Draht zu den Schülern zu bekommen und so auch die Inhalte des Christentums zu vermitteln.
In der abschliessenden Podiumsdiskussion wurde unter starker Beteiligung des Publikums die Frage nach den Zukunftsperspektiven des Religionsunterrichts diskutiert. Ernüchtert über ihren Religionsunterricht zeigte sich eine Abiturientin. Trotz ihrer Freude darüber “dass es das Fach überhaupt gibt”, habe in ihrer Schullaufbahn eine Vermittlung von Glaubenswissen kaum stattgefunden. Problematisch sei, dass Schüler mit ihren Fragen oft nicht ernst genommen würden und Erklärungen häufig ausblieben. Die auf dem Podium anwesenden Lehrer, Anne-Madeleine Plum und Pater Marc-Stephan Giese SJ, widersprachen diesem negativen Bild von Religionsunterricht. Aus ihrer eigenen Erfahrung heraus argumentierten sie, dass Religionsunterricht durchaus in der Lage sei, Jugendlichen Glaubenswissen und Glaubenspraxis zu vermitteln. Religiöse Erziehung in der Familie könne aber auch ein guter Religionsunterricht nicht in Gänze ersetzen. Christoph Westemeyer von der religionspädagogischen Abteilung des Erzbistums Köln verortete viele der diskutierten Probleme zu grossen Teilen in die letzte Lehrergeneration. Durch genaue Prüfung der Anwärter solle im Erzbistum Köln verhindert werden, dass Religionslehrer nicht hinter der Lehre der Kirche stehen. Kontrovers diskutiert wurde die Frage nach der Einbindung von Katechese in den Religionsunterricht. Einig waren sich die Diskutanten darin, dass die Angst vieler Lehrer, wegen ihrer Einstellung von Kollegen und Schülern nicht anerkannt zu werden, oft Schuld daran sei, dass der Unterricht allegorisch zum “Laberfach” wurde.
Die Veranstaltung, die von Nils Sönksen und Matthias Lochner moderiert wurde, zeigte klar die Chancen auf, die der Religionsunterricht für die Kirche bieten kann, bei allen Schwierigkeiten, die es in der Praxis immer wieder zu beklagen gibt. Wenn aus einem Fach, dass gute Noten garantiert, ein Kennenlernen der Mysterien und Wahrheiten des Christentums werden soll, so ein Fazit des Workshops der Generation Benedikt, dann müsse vor allem die neue Generation von Lehrern den Mut haben, sich und ihren Schülern wieder die Gretchenfrage zu stellen.
Weitergabe des Glaubens in der Familie
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