Die vox populi christlicher Blogger als mediales Gegengewicht

Deo gratias? Amerika und Osama bin Laden

Die Tagespost, von Regina Einig, 04.05.2011

Der Tod Osama bin Ladens wird für Amerika zur nationalen Reifeprüfung: Schmort der einst meistgesuchte Top-Terrorist der Welt nun in der Hölle, wie es New Yorks “Daily News” wünscht? Tot oder lebendig lautete seit dem 11. September 2001 die Devise der amerikanischen Fahnder. Nach bin Ladens Tod lassen ihn Amerikas Medien auf ihre Weise weiterleben – “im Höllenfeuer”, wie die “Edmonton Sun” zu wissen meint. Dass die Nachricht der Woche die Amerikaner am Fest der göttlichen Barmherzigkeit erreichte, bewegt viele amerikanische Katholiken. Ist es ein Zeichen besonderer Gnade, dass Osama just an dem Tag starb, an dem Beter überall auf der Welt in katholischen Pfarreien, Klöstern und Familien die Welt erneut der Barmherzigkeit Christi anempfahlen?

Viele Blogger berichten, dass sie zum Zeitpunkt der Liquidierung bin Ladens den Barmherzigkeitsrosenkranz beteten, den Christus die heilige Schwester Faustina gelehrt hat. Darin heisst es: “Ewiger Vater, ich opfere Dir auf den Leib und das Blut, die Seele und die Gottheit Deines über alles geliebten Sohnes, unseres Herrn Jesus Christus, um Verzeihung zu erlangen für unsere Sünden und die Sünden der ganzen Welt.” Ein Blogger erinnert an das Beispiel der heiligen Teresa von Ávila. Diese habe sogar für den Verräter Judas gebetet.

Neben der gemässigten Reaktion von Vatikansprecher Federico Lombardi findet die Äusserung des peruanischen Präsidenten Alan García viel Beachtung. “Fox News” verbreitete eilig seine These, die Liquidierung Osamas sei ein Wunder des am Sonntag seliggesprochenen Johannes Pauls II.: García zufolge besteht dieses Wunder darin, “die Welt von der Inkarnation des Bösen befreit zu haben, der dämonischen Verkörperung von Verbrechen und Hass”.

Während sich die amerikanische Bischofskonferenz bis dato in Schweigen hüllt und am Dienstag lediglich eine Meldung über den katholisch-muslimischen Dialog über Grundsätze religiöser Erziehung auf ihrer Homepage veröffentlichte, quillen die Internet-Blogs über von Fragen und Antworten zu den Stichworten Feindesliebe und Vergebung.

Unter dem Eintrag “Osama ist tot. Was soll ich empfinden?” versucht ein rumänisch-orthodoxer Geistlicher, geistliche Orientierungshilfe zu bieten. Wie viele seiner Landsleute gesteht er, dass ihn die Nachricht von bin Ladens Liquidierung freudig bewegt und zugleich erleichtert habe. Und wie Christen aller Konfessionen fordert er zu Einkehr und Besinnung auf.

Haben die Jünger Jesu tatsächlich alles getan, um den auf Irrwege geratenen bin Laden zu Christus zu bekehren? Dass der Tod eines nach Gottes Ebenbild geschaffenen Menschen kein Anlass zum Jubel sein kann, steht für die meisten christlichen Blogger ebenso ausser Frage wie die Tatsache, dass das Gericht über die Taten des Terroristen allein Gottes Sache ist. In diesem Punkt ziehen vor allem Lebensschützer die Linien aus: Wer den Schutz menschlichen Lebens von seinem Anfang bis zu seinem natürlichen Ende als persönliches Apostolat betrachtet, muss sich auch nach Osamas Liquidierung dem Triumphalismus der Strasse verweigern. Eine vierfache Mutter und Konvertitin empfahl am Sonntag anderen Eltern, ihre Kinder am Montag nicht zur Schule zu schicken, um sie der archaisch anmutenden Siegerrhetorik vieler Landsleute nicht unvorbereitet auszusetzen. Sie wolle das Geschehen zuerst im Gespräch mit ihren Kindern aus christlicher Perspektive einordnen.

Ist Osama einer der “schwerwiegendsten Fälle?”

Katholische Blogger beschäftigt darüber hinaus die Frage, ob die Untaten Osamas eben zu jenen “schwerwiegendsten Fällen” zählen, in denen Kapitel 2266 des Katechismus der Katholischen Kirche die Todesstrafe nicht ausschliesst. Da sich Amerika nach Einschätzung der Regierung im Krieg gegen den Terror befindet, wird auch das kirchlich anerkannte Recht auf Selbstverteidigung ins Gespräch gebracht.

Wie ein roter Faden zieht sich durch das Gros der Einträge der Aufruf, für bin Ladens Seelenheil zu beten, auch wenn dieser viele Jahre Zeit hatte, über sein Tun nachzudenken und ohne erkennbare Reue starb. Im heftig diskutierten Artikel “The Catholic Response to the Death of a Murder” heisst es dazu unmissverständlich: “Gott liebte Osama bin Laden”. Es sei Christenpflicht, dem Terroristen zu vergeben und dafür zu beten, “dass er einmal mit uns im Paradies sein wird”.

Inmitten der emotionalen Zerrissenheit vieler amerikanischer Christen herrscht Konsens für die dringende Notwendigkeit zum Gebet für den Frieden. Exemplarisch deutlich wird das im Franziskanerblog datinggod.org, auf dessen Spitzenplatz der vielkommentierte Artikel “Death of bin Laden. Not a Time to celebrate” steht. “Der Tod keiner Person ist ein Grund zum Feiern”, schreibt der Autor, der alle Religionen zur Maxime “Nie wieder” ermutigt. Bestärkt wird diese Haltung durch Wortmeldungen wie die des Leiters der Päpstlichen Missionsgesellschaften in Pakistan, Mario Rodriguez. Er berichtet, dass katholische Schulen auf Anraten der Regierung zunächst geschlossen bleiben. Die Furcht vor neuer Gewalt gegen Christen – auch im Internet ist sie allgegenwärtig

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