Vigil in der Osternacht
Predigt von Papst Benedikt XVI.
Rom, Petersdom, Ostersamstag, 23. April 2011
Liebe Brüder und Schwestern!
Zwei grosse Zeichen prägen die liturgische Feier der Osternacht. Da ist zunächst das Feuer, das zum Licht wird. Das Licht der Osterkerze, das in der Prozession in der nächtlichen Kirche zu einer Flut von Lichtern wird, spricht uns von Christus als dem wahren Morgenstern, der in Ewigkeit nicht untergeht – von dem Auferstandenen, in dem das Licht über die Finsternis gesiegt hat. Das zweite Zeichen ist das Wasser. Es erinnert einerseits an die Flut des Roten Meeres, an Untergang und Tod, an das Geheimnis des Kreuzes. Dann aber erscheint es uns als Quellwasser, als Element, das in der Dürre Leben gibt. So wird es zum Bild für das Sakrament der Taufe, das uns an Tod und Auferstehung Jesu Christi beteiligt.
Zur Liturgie der Osternacht gehören aber nicht nur die grossen Schöpfungszeichen Licht und Wasser. Ganz wesentlich ist für sie auch, dass sie uns in eine umfassende Begegnung mit dem Wort der Heiligen Schrift führt. Vor der Liturgiereform gab es zwölf alttestamentliche und zwei neutestamentliche Lesungen. Die neutestamentlichen Lesungen sind geblieben. Die Zahl der alttestamentlichen Lesungen ist auf sieben Texte festgelegt, kann aber nach den örtlichen Verhältnissen auch drei Lesungen reduziert werden. Die Kirche will uns in einer grossen Überschau den Weg der Heilsgeschichte führen von der Schöpfung über die Erwählung und die Errettung Israels bis zu den prophetischen Zeugnissen, mit denen diese ganze Geschichte immer deutlicher auf Jesus Christus zugeht. In der liturgischen Überlieferung wurden alle diese Lesungen Prophetien genannt. Auch wenn sie nicht direkt Voraussagen künftigen Geschehens sind, haben sie prophetischen Charakter, zeigen sie uns den inneren Grund und die Richtung der Geschichte. Sie lassen Schöpfung und Geschichte durchsichtig werden auf das Wesentliche. So nehmen sie uns an die Hand und führen uns zu Christus hin, zeigen uns das wahre Licht.
Die Wanderung durch die Wege der Heiligen Schrift beginnt in der Osternacht mit dem Schöpfungsbericht. Auch der Schöpfungsbericht ist Prophetie, will uns damit die Liturgie sagen. Er ist nicht eine Information über den äusseren Hergang des Werdens von Kosmos und Mensch. Den Vätern der Kirche war das sehr bewusst. Sie haben den Bericht nicht als Erzählung über den Verlauf der Entstehung der Dinge verstanden, sondern als Weisung zum Wesentlichen, zum wahren Ursprung und zum Ziel unseres Seins. Nun kann man fragen: Ist es wirklich wichtig, in der Osternacht auch von der Schöpfung zu sprechen? Könnte man nicht mit den Ereignissen beginnen, in denen Gott den Menschen ruft, sich ein Volk bildet und seine Geschichte mit den Menschen auf der Erde schafft? Die Antwort muss lauten: nein. Die Schöpfung wegzulassen, würde bedeuten, die Geschichte Gottes mit den Menschen selbst misszuverstehen, sie zu verkleinern, ihre wahre Größenordnung nicht mehr zu sehen. Der Radius der Geschichte, die Gott gestiftet hat, reicht bis zu den Ursprüngen, bis zur Schöpfung hin. Unser Glaubensbekenntnis beginnt mit den Worten: “Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde.” Wenn wir diesen Anfang des Credo weglassen, wird die ganze Heilsgeschichte zu eng und zu klein. Die Kirche ist nicht irgendeine Vereinigung, die sich um die religiösen Bedürfnisse der Menschen kümmert, aber eben ihr beschränktes Vereinsziel hat. Nein, sie bringt den Menschen in Berührung mit Gott und so mit dem Ursprung aller Dinge. Deshalb geht Gott uns als Schöpfer an, und deswegen tragen wir Verantwortung für die Schöpfung. Unsere Verantwortung reicht bis auf die Schöpfung hin, weil sie vom Schöpfer herkommt. Nur weil Gott das Ganze geschaffen hat, kann er uns Leben geben und unser Leben führen. Das Leben im Glauben der Kirche umfasst nicht nur einen Bereich von Empfindungen und Gefühlen und vielleicht von moralischen Verpflichtungen. Es umfasst den Menschen ganz, von seinem Ursprung her und auf die Ewigkeit hin. Nur weil die Schöpfung Gott gehört, können wir bis ins Letzte auf ihn bauen. Und nur weil er Schöpfer ist, kann er uns Leben in Ewigkeit geben. Freude über die Schöpfung, Dankbarkeit für die Schöpfung und Verantwortung für sie gehören zusammen.
Die zentrale Aussage des Schöpfungsberichts lässt sich noch genauer bestimmen. Der heilige Johannes hat in den ersten Worten seines Evangeliums den wesentlichen Sinn des Schöpfungsberichts in dem einen Satz zusammengefasst: “Im Anfang war das Wort.” In der Tat ist der Schöpfungsbericht, den wir vorhin gehört haben, durch den gleichmässig wiederkehrenden Satz bestimmt: “Und Gott sprach…”. Die Welt ist Produkt des Wortes, des Logos, wie Johannes mit einem Zentralwort der griechischen Sprache sagt. Logos bedeutet Vernunft, Sinn, Wort. Er ist nicht bloss Vernunft, sondern sprechende, sich selbst mitteilende, schöpferische Vernunft. Er ist Vernunft, die Sinn ist und selbst wiederum Sinn stiftet. So sagt uns also der Schöpfungsbericht: Die Welt ist Produkt der schöpferischen Vernunft. Und er sagt uns damit: Am Anfang aller Dinge stand nicht das Unvernünftige, das Unfreie, sondern der Ursprung aller Dinge ist die schöpferische Vernunft, ist die Liebe, ist die Freiheit. Hier stehen wir vor der letzten Alternative, um die es im Disput zwischen Glaube und Unglaube geht: Ist die Unvernunft, das Unfreie und der Zufall der Ursprung aller Dinge, oder ist der Ursprung des Seins Vernunft, Freiheit, Liebe? Gilt der Primat der Unvernunft oder der Vernunft? Um diese Frage geht es letztlich. Als Gläubige antworten wir mit dem Schöpfungsbericht und mit Johannes: Am Anfang steht die Vernunft. Am Anfang steht die Freiheit. Deshalb ist es gut, ein Mensch zu sein. Es ist nicht so, dass in dem sich ausdehnenden Universum am Ende in irgendeinem kleinen Winkel des Alls zufällig auch eine Art von Lebewesen entstand, die denken kann und versuchen kann, Vernunft in der Schöpfung zu finden oder in sie hineinzubringen. Wäre der Mensch nur ein solches Zufallsprodukt der Evolution irgendwo am Rand des Alls, dann wäre sein Leben sinnlos oder gar eine Störung der Natur. Aber nein – die Vernunft ist zuerst, die schöpferische, die göttliche Vernunft. Und weil sie Vernunft ist, hat sie auch Freiheit geschaffen, und weil Freiheit missbrauchbar ist, darum gibt es auch das Schöpfungswidrige; darum zieht sich gleichsam ein dicker dunkler Strich durch den Bau des Universums und durch das Wesen des Menschen. Aber diesem Widerspruch zum Trotz bleibt die Schöpfung als solche gut, bleibt das Leben gut, weil am Anfang die gute Vernunft, die schöpferische Liebe Gottes steht. Darum ist die Welt erlösbar. Darum können und müssen wir uns auf die Seite der Vernunft, der Freiheit und der Liebe stellen – auf die Seite des Gottes, der uns liebt, so sehr, dass er für uns gelitten hat, damit aus seinem Tod neues, endgültiges, geheiltes Leben hervorgehen konnte.
Der alttestamentliche Schöpfungsbericht, den wir gehört haben, zeigt diese Ordnung der Wirklichkeiten eindeutig an. Er führt uns aber noch einen Schritt weiter. Er hat den Vorgang der Schöpfung im Bild einer Woche gestaltet, die auf den Sabbat zuläuft, in ihm ihre Erfüllung findet. Der Sabbat war für Israel der Tag, an dem alle an der Ruhe Gottes teilnehmen durften, an dem Mensch und Tier, Herr und Sklave, Grosse und Kleine in der Freiheit Gottes geeint waren. So war der Sabbat Ausdruck des Bundes zwischen Gott und Mensch und der Schöpfung. Das Miteinander von Gott und Mensch aber erscheint so nicht als etwas Nachträgliches, das in einer schon fertig geschaffenen Welt noch eingerichtet wurde. Der Bund, das Miteinander von Gott und Mensch ist in der Schöpfung von Grund auf angelegt. Ja, der Bund ist der innere Grund der Schöpfung, wie die Schöpfung die äussere Bedingung des Bundes ist. Gott hat die Welt gemacht, damit eine Stelle sei, an der er seine Liebe mitteilen kann und von der aus die Antwort der Liebe zu ihm zurückkehrt. Vor Gott ist das Herz des Menschen, das ihm antwortet, grösser und wichtiger als der ganze gewaltige, materielle Kosmos, der uns freilich etwas von Gottes Grösse ahnen lässt.
An Ostern und von der österlichen Erfahrung der Christen her müssen wir aber nun noch einen weiteren Schritt tun. Der Sabbat ist der siebte Tag der Woche. Nach sechs Tagen, an denen der Mensch gleichsam an der Schöpfungsarbeit Gottes teilnimmt, ist der Sabbat der Tag der Ruhe. Aber in der werdenden Kirche ist etwas Unerhörtes geschehen: An die Stelle des Sabbats, des siebten Tags, tritt der erste Tag. Als Tag der gottesdienstlichen Versammlung ist er der Tag der Begegnung mit Gott durch Jesus Christus, der am ersten Tag, am Sonntag, den Seinen als Auferstandener begegnete, nachdem sie das Grab leer gefunden hatten. Die Wochenstruktur ist nun umgekehrt. Sie läuft nicht mehr auf den siebten Tag zu, um dort an Gottes Ruhe teilzunehmen. Sie beginnt mit dem ersten Tag als Tag der Begegnung mit dem Auferstandenen. Diese Begegnung vollzieht sich immer neu in der Feier der Eucharistie, in der der Herr wieder in die Mitte der Seinen tritt und sich ihnen schenkt, sich von ihnen gleichsam berühren lässt, sich mit ihnen zu Tisch setzt. Diese Änderung ist ein unerhörter Vorgang, wenn man bedenkt, dass der Sabbat, der siebte Tag als Tag der Begegnung mit Gott zutiefst im Alten Testament verankert ist. Wenn wir beachten, wie sehr der Weg von der Arbeit zum Tag der Ruhe auch einer natürlichen Logik entspricht, wird das Dramatische dieses Umschwungs noch deutlicher. Dieser revolutionäre Vorgang, der sich gleich zu Beginn des Werdens der Kirche zugetragen hat, ist nur zu erklären aus der Tatsache, dass an diesem Tag Unerhörtes geschehen war. Der erste Wochentag war der dritte Tag nach Jesu Tod. Es war der Tag, an dem er sich den Seinen als der Auferstandene zeigte. Diese Begegnung hatte in der Tat etwas Umstürzendes an sich. Die Welt hatte sich geändert. Der Tote lebte mit einem Leben, das von keinem Tod mehr bedroht war. Eine neue Weise des Lebens, eine neue Dimension der Schöpfung hatte sich eröffnet. Der erste Tag ist nach dem Genesis-Bericht der Tag, an dem die Schöpfung beginnt. Nun war er auf eine neue Weise zum Schöpfungstag, zum Tag der neuen Schöpfung geworden. Wir feiern den ersten Tag. Wir feiern damit Gott, den Schöpfer und seine Schöpfung. Ja, ich glaube an Gott, den Schöpfer des Himmels und der Erde. Und wir feiern den Gott, der Mensch geworden ist, gelitten hat, gestorben ist und begraben wurde und auferstand. Wir feiern den endgültigen Sieg des Schöpfers und seiner Schöpfung. Wir feiern diesen Tag als Ursprung und zugleich als Ziel unseres Lebens. Wir feiern ihn, weil nun vom Auferstandenen her endgültig gilt, dass die Vernunft stärker ist als die Unvernunft, die Wahrheit stärker als die Lüge, die Liebe stärker als der Tod. Wir feiern den ersten Tag, weil wir wissen, dass der dunkle Strich, der die Schöpfung durchzieht, nicht für immer bleibt. Wir feiern ihn, weil wir wissen, dass nun endgültig gilt, was am Ende des Schöpfungsberichts gesagt ist: “Gott sah alles an, was er gemacht hatte: Es war sehr gut” (Gen 1,31). Amen.
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Osternacht in Rom kathTube
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