Gottes Revolution

Was wären wir ohne Ostern?

Welt online, Paul Badde, 23.04.2011

Die Auferstehung Christi ist die Geburtsstunde unserer Freiheit, zuerst und zuletzt Gott selbst gegenüber. Eine Freiheit, die heute auch für andere Kulturen eine enorme Sogwirkung hat

Was wir ohne Ostern wären? Ach je. Arm dran. Dann gäbe es Venedig nicht. Es wäre grausam: eine Welt ohne Kathedralen, Kirchen und Klöster. Aber auch ohne unsere Sozialsysteme, das Hospitalwesen und unser Menschenbild. Ohne Ostern, also ohne die Auferstehung Jesu von den Toten, wäre alles ein Dreck, sagte schon Paulus. Dann könnten wir uns den ganzen anderen Glauben sparen und das Evangelium schenken, sogar den Kreuzestod Christi. Ostern ist das Alleinstellungsmerkmal unserer Welt, die wir uns auch wie eine russische Matroschka-Puppe vorstellen dürfen. Ganz innen drin steckt Ostern. Also die frühe Morgendämmerung, in der Petrus und Johannes zwei Tage nach der Kreuzigung Jesu quer durch Jerusalem zum Felsengrab Christi hasten und es leer vorfinden, leer bis auf die Tücher, in die der Ermordete gewickelt war, und ihn plötzlich als Lebendigen erfahren, der den ersten Namen Gottes hier noch einmal ganz neu ausspricht: “Ich bin, der ich bin.”

Das ist der Kern von Ostern. Seitdem wissen Christen zwar nicht, was sie nach dem Tod erwartet. Aber seitdem wissen sie jedenfalls, wer sie erwartet.

Denn Ostern war ja nicht nur die unglaubliche Auferstehung eines beliebigen Toten oder dessen raffinierte Reanimation. Jesus von Nazareth war nicht irgendwer. Er wurde als “König der Juden” gehenkt. Da liess sich nichts reanimieren. Nach dem Durchbohren seines Herzens am Kreuz durch einen römischen Legionär konnte seine Auferweckung nur als göttliches Beglaubigungswunder begriffen werden; und so haben es die Apostel und ersten Zeugen schon am Ostermorgen getan. Danach waren sie überzeugt: Dieser Mann war Gottes Sohn! Alles war wahr, was er zu seinen Lebzeiten gesagt und getan hatte. Gott selbst hatte den Gemarterten ins Recht gesetzt. In ihm hatte er selbst sein Gesicht gezeigt – und gezeigt, wer er ist, als letzte Selbstoffenbarung Gottes. Erst an Ostern wurde deshalb auch die Bergpredigt Jesu für immer als göttlich beglaubigt: “Selig, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit!” Erst durch die Auferstehung Christi dürfen wir das Paradox dieser radikalen Abwendung von den Mächtigen und der Hinwendung zu den Schwachen als genuin göttlich begreifen. Ohne Ostern wäre die Bergpredigt vergessen worden.

Es war eine Gottesrevolution. An Ostern hatte Gott sich endlich als der ganz andere erwiesen, anders als alle anderen Gottesbilder, und erst recht anders als das von Menschen ausgedachte Monstrum, als das ihn Atheisten heute noch bekämpfen. Der österliche Gott ist einer, den kein Mensch sich ausdenken konnte. Die Auferstehung Christi von den Toten ist aber das Herz jener Bedingungen, die Ernst-Wolfgang Böckenförde mit dem Satz ansprach: “Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann. Das ist das grosse Wagnis, das er, um der Freiheit willen, eingegangen ist.” Ostern ist die Voraussetzung schlechthin, die wir selbst nicht garantieren können, vor allem die Voraussetzung unserer Freiheit.

Im 16. Jahrhundert erkannte der jüdische Kabbalist Isaak Luria verwundert, dass die Schaffung der Welt schon am Anfang nur durch eine radikale Zurücknahme vom Schöpfer des Himmels und der Erde möglich war – wenn nicht die Allmacht Gottes jeden Gedanken an Freiheit ersticken sollte. Am Kreuz aber war diese Selbstbeschränkung Gottes ins Unvorstellbare gesteigert worden. Am Kreuz hatte sich der Allmächtige ohnmächtig gemacht. Er schlug nicht zurück, als die Menschen seinen Sohn schlugen. Gott schlägt nicht zurück. Er schlägt sich nur auf die Seite der Opfer und rettet sie vor dem ewigen Tod. Er ist nicht der Gott der Mächtigen. Die ihn schmähen, überlässt er sich selbst. Er ist bei den Geschmähten. All dies bestätigte Gott an Ostern. Seit damals muss kein Christ mehr fürchten, von einem Blitz erschlagen oder von einer Fatwa zum Tode verurteilt zu werden, wenn er Gott lästert oder verhöhnt (etwa mit einer kleinen Karikatur). Die Auferstehung Christi ist die Geburtsstunde unserer Freiheit, zuerst und zuletzt Gott selbst gegenüber. Gott wirbt um uns, aber er zwingt uns nie. Gott lässt und will uns frei.

Nur in diesem Geist konnte 600 Jahre nach Christus der heilige Columban, als er Westeuropa von Irland her christianisierte, sagen: “Si tollis libertatem, tollis dignitatem” (Wenn du die Freiheit nimmst, nimmst du die Würde). Es ist dieser Geist, der Europa neu begründet hat. Er war undenkbar in anderen Kulturen.

Weil der Osterglaube aber so ungeheuerlich unglaublich war, fing mit der Christianisierung der Welt sogleich auch ihre Dechristianisierung an. Von innen und aussen zog der Geist der österlichen Freiheit in jedem Jahrhundert enorme Widerstände an – eben aus dieser Freiheit heraus. Christlichen Ursprungs ist deshalb auch, schrieb Gilbert Keith Chesterton zu Anfang des letzten Jahrhunderts, “was ganz und gar antichristlich aussieht. Christlichen Ursprungs ist die Französische Revolution. Christlichen Ursprungs ist die Zeitung. Christlichen Ursprungs sind die Anarchisten. Christlichen Ursprungs ist die Naturwissenschaft. Christlichen Ursprungs ist auch der Angriff auf das Christentum.” Keine andere Kultur sonst hat jemals diesen Freiraum eröffnet, und keine andere Kultur musste so sehr im Konflikt mit der schwierigen Freiheit immer neu errungen und bewahrt bleiben.

Heute aber entfaltet dieser österliche Raum eine Sogwirkung auf alle anderen Kulturen wie vielleicht noch nie zuvor, wo unser Geist der Freiheit plötzlich auch die Fantasie der Menschen aus dem “Haus des Islam” wie ein Dschinn beflügelt, der nicht mehr zurück in die Flasche will. Auch darum fliehen Menschen in hellen Scharen durch die Wüsten und über das Meer – koste es, was es wolle, und koste es das Leben – in das freie Europa. In der Moderne entweicht der österliche Geist, radikal säkularisiert, seinem alten Gehäuse und erfüllt die ganze Welt mit seinem Aroma. Die Freiheit der Christenmenschen ist zur Sehnsucht aller geworden – auch jener, die von Ostern noch nie gehört haben oder gar nichts wissen – oder das Christentum leidenschaftlich hassen.

Macht nichts. Auch die Freiheit der Atheisten, furchtlos glauben zu dürfen, dass es Gott nicht gibt, verdankt sich der Selbstoffenbarung Gottes im Tod Jesu am Kreuz und seiner Auferstehung von den Toten am dritten Tag. Darum: Frohe Ostern allerseits! Christus ist auferstanden. Resurrexit vere.

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