Das Papstbuch und die Juden
Was ist Neues an dem Buch?
Rom, Radio Vatikan, 10.03.2011
Was ist Neues an dem Buch? Dass man auch danach fragt, ist nicht erstaunlich nach dem letzten Papst-Werk, jenem, das auf Interviews basiert. Die ersten Rückmeldungen kamen von der Israelischen Botschaft beim Heiligen Stuhl. Dort hatte man die vorab veröffentlichten Kapitel gelesen und in einer Pressemeldung die Freude darüber ausgedrückt, dass der Papst sehr klar gesagt habe, man könne den Tod Jesu nicht “den Juden” anhängen. Thomas Söding ist Neutestamentler an der Universität Bochum und gehört der Internationalen Theologischen Kommission im Vatikan an. Ihn haben wir gefragt, wie der Papst dazu kommt, dies in seinem Buch noch einmal so klar zu betonen:
“Der Papst lässt sich hier erfreulich intensiv auf die Debatten der historisch-kritischen Exegese ein. Das ist eine ganz lange Bewegung, die dazu geführt hat, dass man diese Kollektivschuld-These hinter sich gelassen hat. Das Zweite Vatikanische Konzil hat sich da ja auch ganz einschlägig geäussert. Es waren eben bibelwissenschaftliche Gründe, die zu diesem Wechsel geführt haben. Ich finde das ganz hervorragend, dass der Papst klarmacht, dass es, erstens, ein Verhör vor dem Hohen Rat gegeben hat, aber wahrscheinlich gar keine regelrechte Verurteilung. Zweitens macht er klar, dass es nicht einfach “die Juden” waren, sondern es ist genau so gewesen, wie es bei einer kritischen Lektüre auch die Evangelien zu erkennen geben: es waren die Hohenpriester, die wird man davon nicht ausnehmen können, und dann gibt es da die berüchtigte Szene mit dem Barabbas. Wer soll freigelassen werden? Da ist es den Evangelien zufolge den Hohenpriestern gelungen, die versammelte Menge aufzuputschen. Das ist historisch alles glasklar und hilft enorm im jüdisch-christlichen Gespräch.”
Wenn es also nicht um Schuldzuschreibungen am Tode Jesu geht, was liest dann Söding im Buch des Papstes für eine Absicht heraus?
“Diejenigen, die Jesus zum Tode gebracht haben, die haben ihn ja nicht wirklich erkannt. Sie glaubten, Gott einen Gefallen zu tun, wie es im Johannesevangelium heissen wird. Und wenn man noch tiefer geht – und der Papst geht ja noch tiefer – dann kann man sagen, dass wir selber nicht aussen vor sind. Es ist ja unsere Geschichte. Es geht um unser Leid, es geht um unsere Schuld, es geht um unseren Tod. Dieser eine ist für alle gestorben, und dass man sich selber da nicht herauszieht, ist eine der grossen spirituellen Leistungen dieses Buches.”
Noch einmal zurück zur Frage nach der überwundenen These von der Kollektivschuld “der Juden”, die ja – auch das haben die israelischen Diplomaten betont – bereits im Konzilsdokument Nostra Aetate seinen Beginn hat. Muss das denn immer noch betont werden?
“Diese Passagen des Papstbuches haben für mich einen doppelten Hintergrund. Erstens die Debatten um die Piusbrüder, mit dem unsäglichen sogenannten Bischof Williamson und dieser Holocaust-Leugnung. Da hatte der Papst im Interviewbuch ja schon gesagt, wenn er das gewusst hätte, wäre die Sache anders gelaufen. Das zweite war aber auch die Debatte um die Karfreitags-Fürbitte, diese Konzession dort an die Traditionalisten, wo man dem Papst unterstellte, er habe persönliche Sympathien für sie und wolle wieder eine Judenmission in Gang setzen. Da ist natürlich dieses Buch glasklar, was das positive Verhältnis Jesu zum Judentum angeht, was ja weit über die Prozessfrage hinaus geht. Jesus ist ganz und gar ein Jude, ein Gerechter, ein Frommer, ein Beter, der uns da auf seinem Passions- und Leidensweg gezeigt wird. Auf der anderen Seite ist es eben auch so, dass die Stellungnahme des Papstes zur Judenmission vollkommen klar ist und dass es nicht den grossen Masterplan gibt. Natürlich ist man von seinem eigenen Glauben überzeugt, das ist ja selbstverständlich. Vor diesem Hintergrund finde ich diese Passagen alles andere als selbstverständlich, sondern ziemlich brisant.”
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