Pakistan: Mord an christlichem Minister
Anschlag auf Dialog und Toleranz
Rom, Radio Vatikan, 02.03.2011
Vier bewaffnete Attentäter haben in der Hauptstadt Islamabad den einzigen christlichen Minister Pakistans ermordet. Der 35-jährige Katholik Shahbaz Bhatti war der Minister für religiöse Minderheiten; er wurde erschossen, als er von seinem Haus ins Büro aufbrach. Der Polizeichef erklärt, Bhatti sei von zehn Kugeln getroffen worden. Wahrscheinlich musste er sterben, weil er für eine Änderung des umstrittenen Blasphemiegesetzes eintrat. Aus demselben Grund hatten Attentäter schon zu Jahresbeginn einen weiteren hochrangigen Politiker der regierenden Volkspartei umgebracht, nämlich den Gouverneur der Punjab-Provinz. Nach Angaben des pakistanischen Fernsehens wurden am Anschlagsort Flugblätter pakistanischer Taliban gefunden. Ein pakistanischer Taliban-Führer bekannte sich in einem Telefonat zu der Bluttat.
Bhatti stand auf Todesliste von Islam-Fanatikern
“Das ist für uns eine sehr, sehr traurige Nachricht”, sagt uns der Generalvikar des Bistums Islamabad-Rawalpindi in einer ersten Reaktion. “Wir sind tief bestürzt, und unser Gefühl, nicht in Sicherheit zu sein, wird stärker. Die ganze christliche Gemeinschaft ist betroffen und hofft darauf, dass die Regierung dazu imstande ist, uns mehr Sicherheit zu garantieren.” Immer wieder hatten in den letzten Monaten Islamisten Drohungen gegen Bhatti ausgesprochen. Das Blasphemiegesetz, das der einzige Christ im pakistanischen Kabinett bekämpfte, wird immer wieder von Radikalen gegen Angehörige der christlichen Minderheit eingesetzt. Die Christin Asia Bibi sitzt wegen angeblicher Beleidigung des Propheten Mohammed bzw. des Korans seit Sommer 2009 in der Todeszelle.
“Der Blasphemie-Paragraph wird immer wieder von Fanatikern dazu missbraucht, weitere Gewalt zu schüren.” Das ist eine Archivaufnahme des ermordeten Ministers Bhatti – ein Interview, das wir vor kurzem telefonisch mit ihm führten. “Aus meiner Sicht ist es völlig klar, dass die Regierung den Paragraphen neu fassen muss. Klar ist aber auch, dass die Extremisten völlig gegen jede Änderung dieses Gesetzes sind. Es gibt eine heftige Debatte in allen Teilen der Gesellschaft, und wir müssen alles tun, damit die Extremisten nicht die Oberhand im Land bekommen. Die Gründerväter sind deutlich für ein modernes, aufgeklärtes Pakistan eingetreten, und diese Extremisten wollen ein destabilisiertes, archaisches Land!”
Vatikan bestürzt über Bluttat
Der Sprecher des Papstes hat den Mord an Bhatti scharf verurteilt. In einer Erklärung von diesem Mittwoch spricht Jesuitenpater Federico Lombardi von “einer ausserordentlich schwerwiegenden Gewalttat”. Es zeige sich erneut, “wie recht der Papst mit seinen häufigen Wortmeldungen zum Thema Gewalt gegen Christen und allgemein für die Religionsfreiheit hat”. Lombardi erinnert daran, dass Benedikt XVI. Bhatti im vergangenen September im Vatikan zu einem Gespräch empfangen hatte. Der Papst sei den “so sehr von Hass verfolgten Christen in Pakistan” nahe und hoffe, “dass sich jetzt alle klar werden, wie dramatisch wichtig der Schutz der Religionsfreiheit und der Schutz von Christen ist”. Benedikt XVI. hatte zu Jahresbeginn vor Diplomaten ausdrücklich die Abschaffung des Blasphemie-Gesetzes in Pakistan gefordert. Die Regierung in Islamabad hatte das mit scharfen Worten zurückgewiesen; Fundamentalisten demonstrierten daraufhin in mehreren pakistanischen Städten gegen den Papst.
Die pakistanischen Bischöfe planen eine Krisensitzung. In einer Erklärung sprechen sie von einem “Klima der Intoleranz” im Land. Sie wollen überlegen, was sie tun können, “um dieses Thema entschlossen anzugehen”. Von einem “schwarzen Tag für die Christen in Pakistan” spricht der zweiteVorsitzende der katholischen Bischofskonferenz des Landes, Bischof Joseph Coutts von Faisalabad. Die Christen seien jetzt “nicht nur traurig, sondern auch wütend”. Der Bischof wörtlich: “Wir müssen uns dringend etwas einfallen lassen, um uns allein zu organisieren.” Der Mord zeige ja, dass “noch nicht einmal ein Minister sicher ist”. Die Regierung sei offenbar nicht in der Lage, den Fundamentalismus in Schranken zu halten.
„Jetzt sollte EU handeln”
Die vatikanische Missions-Nachrichtenagentur Fides fragt sich, “weshalb der Minister ohne Leibwache unterwegs war”. Pakistanische Priester und Ordensschwestern bezeichneten den Minister bereist als “Märtyrer”. “Die zur Sicherheit des Ministers abgestellten Kräfte waren zum Zeitpunkt der Ermordung abgezogen worden”, erklärt die “Internationale Gesellschaft für Menschenrechte”. Der Sekretär der bischöflichen Kommission für “Gerechtigkeit und Frieden”, Peter Jacob, sagt: “Wir brauchen nun eine Zeit der Trauer – und danach werden wir überlegen, was wir als Christen tun können… Wir fühlen uns angreifbar.”
Der italienische Aussenminister Franco Frattini war einer der ersten westlichen Politiker, die die Bluttat von Islamabad verurteilten. Er fordert die Europäische Union auf, “sofort einen konkreten Aktionsplan zum Schutz bedrohter christlicher Minderheiten in die Tat umzusetzen”. Der Mord an Minister Shahbaz Bhatti richte sich gegen alle, “die eine Gesellschaft auf Dialog und Toleranz gründen wollen und die an Menschen- und Minderheitenrechte glauben”. Vor allem auf Betreiben Frattinis hatten die EU-Aussenminister kürzlich die Diskriminierung und Gewalt gegen Christen in mehreren Teilen der Welt beklagt und zur Religionsfreiheit aufgerufen.
Hintergrund
Bhatti war erst vor kurzem als Minister für religiöse Minderheiten bei einer Regierungsumbildung im Amt bestätigt worden. Er hatte dieses Amt seit 2008 inne. Er stammte ursprünglich aus dem Dorf Khushpur in der Nähe von Faisalabad in Punjab, das auch als “der Vatikan Pakistans” bezeichnet wird und von Dominikaner Missionaren gegründet wurde. Viele pakistanische Priester und Ordensleute kommen aus diesem Dorf.
Fides: Presseorgan der Päpstlichen Missionswerke
IGFM: Internationale Gesellschaft für Menschenrechte
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