Religionsfreiheit braucht Taten
Wachsende Zahl von Akten religiöser Intoleranz und Diskriminierung
Tagespost, 23.02.2011, Stephan Baier
Es ist nicht nur eine Frage des Charakters, ob man lieber halb volle Gläser lobt oder halb leere Gläser kritisiert. In der Politik hängt es auch davon ab, was in einem bestimmten Moment erreichbar wäre. Noch im Vorjahr hätten die Christen in Nahost froh sein können, in einem offiziellen Dokument der Europäischen Union überhaupt erwähnt zu werden. Sieben Wochen nach dem Blutbad vor der koptischen Kirche von Alexandria, angesichts des anhaltenden Terrors im Irak und der Unruhen in Maghreb und Maschrek ist es aber ein Skandal, dass die Aussenminister der 27 EU-Mitgliedstaaten sich am Montagabend in einer Stellungnahme nur allgemein über “die wachsende Zahl von Akten religiöser Intoleranz und Diskriminierung” besorgt zeigten sowie Gewalt und Terror “gegen Christen und ihre Gotteshäuser, gegen muslimische Pilger und andere religiöse Gemeinschaften” verurteilten.
Freunde halb voller Gläser mögen einwenden, dass drei Wochen zuvor nicht einmal das erreichbar war, dass die britische Sozialistin Catherine Ashton als EU-Außenbeauftragte bloss allgemeine Bekenntnisse zur Religionsfreiheit absondern wollte und es erst eines massiven Aufstands des italienischen Aussenministers Franco Frattini bedurfte, um die Christen überhaupt namentlich zu erwähnen. Wenn an diesem Ringen etwas bemerkenswert ist, dann die offensichtliche Tatsache, dass Europas fanatische Laizisten offenbar eine schwere Allergie gegen Christen haben, die ihnen selbst dann noch rote Punkte im Gesicht macht, wenn die Religionsfreiheit christlicher Minderheiten im Orient mit Füssen getreten wird.
Das Europäische Parlament, das auch nicht gerade ein Kirchenchor ist und keinesfalls im Verdacht steht, globale Lobbyarbeit für Christenrechte zu machen, hatte den Aussenministern gezeigt, wie man sachgerecht mit der wachsenden Christenverfolgung in aller Welt umgeht. Bereits vor einem Monat hat es die Gewalttaten gegen Christen samt Orten und Tätern konkret beim Namen genannt. Und es hat konkrete Konsequenzen für die Politik der Europäischen Union gefordert. Das Europäische Parlament verlangte, “Instrumente, die dafür genutzt werden können” – also die Euro-Millionen der EU-Nachbarschafts- und Entwicklungspolitik – einzusetzen, „um bedrohten christlichen Glaubensgemeinschaften überall in der Welt Sicherheit und Schutz zu bieten”. EU-Aussenbeauftragte Ashton wurde aufgefordert, “eine EU-Strategie zur Durchsetzung des Menschenrechts auf Religionsfreiheit” zu entwickeln. Hier schienen der im Aufbau befindliche “Europäische Auswärtige Dienst” und das teure “Europäische Nachbarschafts- und Partnerschaftsinstrument” eine inhaltliche Dimension zu bekommen, die über nackte wirtschaftliche und staatliche Interessen hinausgeht und sich an den im EU-Vertrag wie in der Grundrechtecharta festgeschriebenen Werten Europas orientiert. Doch statt diesem Ideal nachzustreben, sind die Aussenminister der EU-Mitgliedstaaten am Montag zu ihrem alten Laster zurückgekehrt, wohltönende Erklärungen ohne Kraft und Konsequenz zu verabschieden. Europas Lippenbekenntnisse zur Religionsfreiheit werden keinen Diktator erschrecken, keinen Fanatiker stoppen und keinen bedrohten Christen schützen – wenn Europa sich nicht endlich aufrafft, den schönen Worten auch konkrete Taten folgen zu lassen.
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