“Ein Heiliger ist gestorben”

Kardinal Nguyen Van Thuan ist tot

ORF-Religion, 17.9.2002

Der vietnamesische Kurien-Kardinal Francois-Xavier Nguyen Van Thuan ist im Alter von 74 Jahren gestorben. Wie Radio Vatikan am Dienstagmorgen meldete, erlag er am Montagabend einem Krebsleiden.

Als Präsident des Päpstlichen Rates für Gerechtigkeit und Frieden (“Iustitia et Pax”) war der Kardinal einer der wenigen Asiaten mit einer Spitzenstellung im Vatikan. Unter den Kommunisten in Vietnam war er zwischen 1976 und 1988 insgesamt 13 Jahre im Gefängnis. Papst Johannes Paul II. berief ihn 1994 in den Vatikan. Wegen seiner Biografie und seiner außergewöhnlichen persönlichen Ausstrahlung galt Van Thuan als möglicher Kandidat für eine kommende Papstwahl. Durch den Tod des Vietnamesen verringert sich die Zahl der wahlberechtigten Kardinäle auf 116.

Kardinal galt als “lebender Märtyrer”

“Ein Heiliger ist gestorben”: Mit diesen knappen Worten kommentierte laut “Kathpress” Bischof Giampaolo Crepaldi, Sekretär im Päpstlichen Rat für Gerechtigkeit und Frieden, den Tod des Kardinals. Die Jahre in den kommunistischen Umerziehungslagern hatten weder seinen Glauben noch seine Persönlichkeit gebrochen; daher galt er als ein “lebender Märtyrer”, den die übrigen Mitglieder der Kurie, allen voran der Papst, hoch achteten. Die Erfahrung Nguyen Van Thuans mit der Verfolgung der Kirche in Ostasien reicht weit zurück. Sein Großvater überlebte als einziger einen Überfall auf die Pfarrkirche seines Dorfes im Jahr 1885, viele andere Vorfahren kamen während der Christenverfolgungen des 18. und 19. Jahrhunderts ums Leben.

Bereits mit 38 Jahren Bischof

Papst Paul VI. berief Nguyen im Alter von 38 Jahren zum Bischof. Und 1975, kurz vor der kommunistischen Machtübernahme im Süden Vietnams, ernannte er ihn zum Erzbischof-Koadjutor für Saigon. Wenig später wurde er von den neuen Machthabern wegen einer angeblichen “Verschwörung zwischen dem Vatikan und den Imperialisten” verhaftet. In den folgenden 13 Jahren durchlitt er verschiedene Formen von Gefangenschaft, davon neun Jahre in Einzelhaft. Er selbst hat in Interviews und Büchern wiederholt beschrieben, wie er diese Zeit geistig überlebte. Er schrieb Sätze aus dem Evangelium auf kleine Zettel, sang religiöse Lieder und feierte privat die Messe mit wenigen Tropfen Wein in der offenen Hand, die er als Kelchersatz benutzte. Sein Glaube und seine Freundlichkeit hatten eine so intensive Ausstrahlung, dass auch seine Gefängniswärter sich davon anstecken ließen. Ein in der Haft gefertigtes Holzkreuz an einem Elektrikerdraht diente ihm als Bischofskreuz, er behielt es auch während seiner Kurien-Karriere im Vatikan.

Engagement für Menschenrechte

Johannes Paul II. holte Nguyen Van Thuan nach Rom, nachdem sich die vietnamesische Regierung geweigert hatte, den 1988 Freigelassenen sein kirchliches Amt in Saigon ausüben zu lassen. Er berief ihn 1994 zum Vizepräsidenten und vier Jahre später zum Präsidenten des Päpstlichen Rates für Gerechtigkeit und Frieden – jenes Gremiums, das im Vatikan für politische Grundsatzfragen und Menschenrechte zuständig ist.

Papst verliert “engen Seelenverwandten”

Wie sehr er den Vietnamesen schätzte, machte der Papst klar, als er ihn ausgerechnet im Heiligen Jahr 2000 bat, die Fasten-Exerzitien für die römische Kurie zu halten. Die inhaltlich dichten Reflexionen, in denen die Erfahrungen aus der Haft eine zentrale Rolle spielen, wurden in Buchform schon bald zu einem Verkaufserfolg. Im Februar 2001 beförderte der Papst ihn zum Kardinal. Mit seinem Tod verliert der Papst einen engen Seelenverwandten. Wie sehr er an ihm hing, dokumentieren nicht zuletzt die drei von tiefer Trauer und Schmerz geprägten Beileidstelegramme, die der Papst nach dem Tod Nguyen Van Thuans verschickte – eines davon an die hochbetagte Mutter des Kardinals.

Päpstlicher-Rat: Für Gerechtigkeit und Frieden
Weltkonferenz-gegen-Rassismus Rassendiskriminierung, Fremdenfeindlichkeit und andere Formen der Intoleranz

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