Reinhard-Marx-Biograf Martin Lohmann

 Nur Mut, Herr Kardinal!

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“Wir brauchen mehr katholisches Selbstbewusstsein”, “ich hoffe sehr, dass gerade Reinhard Marx uns dabei helfen kann”, sagt der K-TV-Chefredakteur Lohmann im kath.net-Interview. Von Petra Lorleberg

Köln-Stuttgart, kath.net/pl, 19. März 2014

 “Marx kann begeistern und scheut keinen Konflikt. Er hat das Zeug dazu, katholischer Klarheit und klarem Mut zum katholischen Bekenntnis mehr Gehör und Gewicht zu geben.”

Dies stellt Martin Lohmann, Chefredakteur des katholischen Fernsehsenders K-TV und Theologe, im kath.net-Interview über den neuen Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz Reinhard Kardinal Marx. Lohmann ist der Verfasser der bisher einzigen Marx-Biografie, die aktualisierte Ausgabe des Buches wird derzeit vorbereitet.

Angesichts der aktuellen Situation der Kirche in Deutschland setzt Lohmann “viele Hoffnungen” in Marx. Er charakterisiert den Münchner Erzbischof, Papstratgeber im K8-Gremium und Vorsitzenden der Europäischen Bischofskonferenz als “lebensfroh, gerne katholisch, humorvoll, ehrgeizig, selbstbewusst, weltoffen und doch fromm”.

kath.net: Herr Lohmann, die bislang einzige Biographie stammt von Ihnen. Was hat Sie im Jahr 2008 bewegt, gerade über diesen Kirchenmann zu schreiben?

Martin Lohmann: Reinhard Marx! Wir kannten uns schon länger, und er hat mich mit seinen Fähigkeiten, aber auch mit einigen Ungereimtheiten fasziniert.

Seelsorger, Sozialwissenschaftler, Akademiedirektor, Priester, Bischof, lebensfroh, gerne katholisch, humorvoll, ehrgeizig, selbstbewusst, weltoffen und doch fromm – das alles habe ich auf Bitten des Verlages Herder gerne zu Papier gebracht.

Menschen haben mich nicht zuletzt als Journalist schon immer neugierig gemacht, besondere Typen sowieso.

Und Reinhard Marx, den ich – weil mir das ohnehin fremd ist – nicht anhimmele, sondern gerne beobachte, sowieso.

Entstanden ist ein ehrliches Bild einer interessanten Persönlichkeit.

kath.net: “Mensch Marx”. An vielen Stellen wird in Ihrem Buch der Mensch lebendig, ob im westfälischen Geseke oder München. Das ist Ihnen wichtig. Wie erlebt der Mensch Lohmann den Umgang mit Reinhard Marx?

Lohmann: Als persönlich und aufmerksam. Marx kann nicht nur aus dem Stegreif viel und flüssig reden, er kann auch zuhören. Er ist zwar durch und durch gerne Bischof und Kardinal, aber er beherrscht auch die Begegnung auf Augenhöhe. Und da er wie auch ich zum Päpstlichen Ritterorden gehört, also ein – wie wir uns anreden – Confrater ist, auch irgendwie mitbrüderlich.

Begegnungen mit ihm waren bisher häufig respektvoll und angenehm, ohne unnötige Steifheit oder Stufen. Dazu gehört auch schon mal eine kritische Anmerkung, aber vor allem viel gegenseitiges Wohlwollen. Wir kennen uns, wir schätzen uns.

Der Westfale versteht den Rheinländer gut, und umgekehrt. Und uns verbindet häufig die Liebe zur realistischen Sicht der Dinge und die Neigung zum optimistischen Realismus. Vor allem aber die Liebe zur Kirche Jesu Christi.

kath.net: Ihr Buch macht deutlich: Konservativ – progressiv, das sind keine zureichenden Kriterien, um das Wirken von Reinhard Marx einzuordnen. Im Spagat zwischen Mystik und Politik, zwischen Spiritualität und Weltverantwortung gibt es viele Themen, die differenzierte Antworten verlangen. Ob Medienethik oder Gerechtigkeit, die Haltung des Kardinals der Moderne gegenüber zeigt keine Berührungsängste oder Denkblockaden. Kann man den Münchner Erzbischof als ein Modell sehen für einen profilierten kirchlichen Gegenwartskatholizismus?

Lohmann: Möglicherweise. Er bildet zumindest vieles davon ab. Aber er wird auch wissen, dass er Kritiker hat, die sich einen klareren und eindeutigeren Marx wünschen. Am Ende wird er das wohl auch sein und sein müssen, doch er scheut eben keinen Weg dorthin, auch wenn dieser bisweilen Irritationen und Umwege verlangt.

Reinhard Marx ist sicher ein anderer Kardinal als einst Joseph Höffner oder Josef Frings oder auch sein Vorvorgänger Joseph Ratzinger. Er repräsentiert eine mitten ins Geschäft der Politik gehende und sich dort gerne bewegende Kirche. Dass man dabei aufpassen muss, das eigentlich Kirchliche nicht untergehen zu lassen, weiss er wohl.

kath.net: Was für die inhaltliche Seite gilt, mag auch für seine Führungseigenschaften gelten. In der Medienöffentlichkeit wird das Bild transportiert, Kardinal Marx sei führungsstark, entscheidungsfreudig, ein unermüdlicher Schaffer gerade auch in hohen und höchsten Verantwortungsbereichen. In Ihrem Buch wird deutlich, was seine wirklichen Leitungsqualitäten sind und wie der Erzbischof Leitung wahrnimmt.

Lohmann: Naja, ein Portraitist hat immer die Herausforderung und die Aufgabe, den Portraitierten sehr genau zu betrachten und differenziert zu zeichnen, mit Farbe oder mit Worten. Auf jeden Fall sollte ein echtes, massstabsgetreues und ehrliches Portrait dabei herauskommen, also eines, bei dem es Licht und Schatten gibt. Denn die gibt es ja bei jedem Menschen. Nur bei der Gottesmutter gab es keine Schatten.

Und deshalb wundere ich mich gelegentlich über manche Momentaufnahmen von Marx, die dann für diejenigen, die gerade einen Schnappschuss gemacht haben, offenbar schon ausreichen, darauf ein umfassendes Bild zu setzen. Doch so einfach geht das nicht, und so einfach wie gelegentlich dargestellt ist auch Reinhard Marx nicht.

Wer genau hinsieht und dies auch noch ohne ein vorher gefasstes Urteil versucht, der kann – und darauf spielen Sie sicher an – durchaus einen Menschen mit einer hohen und feinen Sensibilität erkennen. Aber es versteht sich auch, dass er diese seine auch verletzliche Sensibilität nicht immer zeigt, auch nicht immer zeigen muss. Aber es kann nur gut sein, wenn ein so umtriebiger Kirchenmann sich in der Begegnung mit anderen gelegentlich daran erinnert, dass zu jedem normalen Menschen eine Begabung zur Sensibilität schlummert.

kath.net: Welche Chance bietet sich nun für die Kirche in Deutschland in der Person des neuen DBK-Vorsitzenden?

Lohmann: Mehr Profil, mehr Gewicht in der Öffentlichkeit. Aber hoffentlich auch, dass das Wort des Kardinals und Erzbischofs Marx immer noch wichtiger ist als das des Vorsitzenden einer Konferenz.

Da kann der jetzige DBK-Chef möglicherweise etwas zurechtrücken, denn entgegen mancher medialer Berichterstattung ist er durch diese Wahl nicht zum deutschen katholischen Oberhaupt geworden. Er ist nicht der deutsche Regionalpapst, auch wenn es gut ist, dass der als Vorsitzender der Bischofskonferenz wahrgenommene Bischof allein schon von seinem kirchlichen Rang und seiner unübersehbaren Präsenz zum besonderen Gesicht der Kirche in Deutschland geworden ist. Das wird er nutzen und zeigen.

Und da ist es sehr willkommen, dass ausgerechnet unser DBK-Vorsitzender über so exzellente Verbindungen zum Papst verfügt und in Rom den deutschen wie in Deutschland den römischen Blick vermitteln kann.

Marx kann begeistern und scheut keinen Konflikt. Er hat das Zeug dazu, katholischer Klarheit und klarem Mut zum katholischen Bekenntnis mehr Gehör und Gewicht zu geben.

Dazu gehört vor allem ein mutiges und allumfassendes Ja zum Leben. Ich hoffe, er wird seinen Vorsitz dazu nutzen können.

kath.net: Am Morgen des Wahltages hielt Marx vor den Bischöfen bei der gemeinsamen Morgenmesse eine Predigt, in welcher er sagte: In Pastoral und Verkündigung gehe es “nicht um eine Veränderung von Glaubensinhalten, nicht um falsche Anpassung an den sogenannten Zeitgeist, sondern um eine neue Schwerpunktsetzung auf das Zentrum des Glaubens, auf das Kerygma, wie es Papst Franziskus in Evangelii Gaudium unterstreicht (Nr. 164). Erst von dieser Mitte her können sich der Glaube und das Leben der Christen entfalten. Dazu müssen wir uns mit Mut und Entschiedenheit neu auf den Weg machen.“ War dies eine Positionierung vor den Bischöfen in dem Sinn: Das ist das Thema, das ich betonen werde, falls ihr mich wählt?

Lohmann: Kann sein. Er ist jedenfalls gerne gewählt worden. Aber wer Marx ist und wofür er steht, das wussten die bischöflichen Mitbrüder sicher auch schon vorher.

In seinem bisherigen Lebensweg hatte er oft die Gelegenheit, ganz im Sinne des von ihm so verehrten und bald heiligen Johannes XXIII. das aggiornamento zu fordern, also das Heutigwerden der wahren und unwandelbaren Botschaft Jesu Christi.

Denn das ist die Aufgabe der Kirche, den Menschen Christus nahezubringen und ihnen die Wahrheit aufzuschliessen. Reinhard Marx weiss, dass es nicht darum gehen kann, die Botschaft des Herrn aufgrund aktueller Gegebenheiten zu verbiegen. Das wäre nämlich Untreue und Verrat. Aber sie muss immer neu übersetzt und umgesetzt werden.

Sein Wappenspruch heisst nicht zufällig: UBI SPIRITUS DOMINI IBI LIBERTAS. Wo der Geist des Herrn wirkt, da ist Freiheit. Übrigens: Johannes XXIII., den viele irrtümlich für einen nicht-konservativen Papst halten und der mit seinem Heutigwerden auch kräftig missverstanden wurde, fühlt und weiss sich Kardinal Marx sehr verpflichtet. Das Kommunionkind Reinhard weinte, als es erfuhr, dass sein Papst Johannes gestorben war. Und nicht zuletzt wegen dessen Verbindung zu Venedig nahm Marx in sein Wappen den Markuslöwen auf, den auch Papst Johannes im Wappen hatte. Gerne verweist Marx auf die Herkunft seines Namens von Markus.

Ich bin mir sicher, dass Reinhard Kardinal Marx bei aller – sagen wir es einmal so – Experimentierfreudigkeit im Denken – dem Evangelisten Markus treu bleiben wird und erst recht der Verpflichtung zur Treue mit Christus und seiner Wahrheit.

kath.net: Das klingt so, als wünschten Sie sich das ganz besonders für die Kirche in Deutschland. Setzen Sie dabei auch auf Kardinal Marx, den neuen Vorsitzenden des Deutschen Bischofskonferenz?

Lohmann: Ja, schon. Ich setze da viele Hoffnungen auch in ihn. Wissen Sie: Wir brauchen hierzulande viel weniger Resignation und viel mehr Hoffnung, viel weniger Abbau und viel mehr Aufbau, viel weniger Lauheit und viel mehr Bekennermut. Wir brauchen gerade viel mehr – richtig verstanden und in aller Toleranz – unverschämtes katholisches Selbstbewusstsein. Keine Feigheit, kein Wegducken, keine falsche Scham, sondern klaren Geist, klares Herz und klaren Kopf, Freude an der Mission. Und vor allem: ansteckende Courage. Ich hoffe sehr, dass gerade Reinhard Marx uns dabei helfen kann.

kath.net: Herr Lohmann, Sympathie für den Lebensweg und die Person des Kardinals sind Ihrem Buch durchaus anzuspüren. Wenn Sie ihm in einer zukünftigen persönlichen Begegnung einen menschlichen Rat geben dürften, was würden Sie ihm gern zusprechen?

Lohmann: Da bin ich ganz Rheinländer und sage dem bayerischen Westfalen: Bleiben Sie Mensch! Bleiben Sie katholisch! Bleiben Sie in diesem Sinne frei und unabhängig! Haben Sie keine Angst, auch vor guter Kritik nicht! Zeigen Sie mit den Ihnen gegebenen Talenten Mut für ein Ja zum Leben! Machen Sie zum Beispiel zusammen mit vielen Ihrer Mitbrüder mit beim Marsch für das Leben am 20. September in Berlin, ganz so, wie es sich auch der Papst wünscht! Und: Stärken Sie uns immer wieder im Glauben und in der Freude am und im Herrn!

Also: Was ich ihm zusprechen würde? Ganz kurz und immer wieder: Nur Mut!

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