Der Preis des Glücks

Eine neue Studie bestätigt: Drohende Armut verhindert Kinderwunsch

Die Tagespost, 2. August 2013, von Jürgen Liminski

Kinder kosten Geld, das ist eine Binsenweisheit. Die Hamburger BAT-Stiftung für Zukunftsforschung hat dafür die neuen Zahlen ermittelt. Für 67 Prozent der Deutschen sind die Kosten der Hauptgrund für das Nein zum Kind. Bei einer Umfrage von Allensbach unter Kinderlosen waren es vor gut zehn Jahren noch 47 Prozent. Aber auch damals war das schon der Hauptgrund. Der zweite Grund (44 Prozent) war, dass der Partner fehlte. Die Betreuungsfrage, sprich Krippenplätze, rangierte damals unter ferner liefen. Heute sind es 45 Prozent, die auf mangelnde Betreuung verweisen, wobei nicht unbedingt die Plätze an sich, sondern wohl auch die Qualität der Betreuung eine Rolle spielen. Dennoch zeigt auch diese Zahl so wie die beiden anderen, dass der wirtschaftliche Druck auf die Familien sich deutlich erhöht hat.

Das geht auch aus anderen, offiziellen Erhebungen hervor, etwa dem Familiensurvey oder einer sozialwissenschaftlichen Untersuchung im Auftrag der Konrad-Adenauer-Stiftung aus dem Jahr 2008, die unter dem Titel lief: Eltern unter Druck. Darin ist zu lesen: “Nach Schätzungen von Experten sind heute knapp ein Drittel der Eltern mit der Erziehung ihrer Kinder überfordert. Verantwortlich hierfür sind wirtschaftliche Gründe”.

Das ist kein Wunder. Zwar wird immer wieder auf die fabelhaften 189 Milliarden Euro verwiesen, mit denen Vater Staat seine Familien fördere. Aber davon werden nachweislich mehr als zwei Drittel von den Familien selbst erwirtschaftet. Was wirklich zählt, ist nicht die Summe irgendwelcher statistisch zusammengetragener Massnahmen, sondern die Kaufkraft der Transferleistungen. Und da muss man konstatieren, dass in den sechziger Jahren die im Vergleich zu heute wenigen Transferleistungen etwa 400 Arbeitsstunden ausmachten, heute kommen die Leistungen auf rund 200 Arbeitsstunden pro Jahr. Auch potenzielle Eltern können rechnen und niemand wird gern freiwillig arm.

Aber es gibt noch eine andere Binsenweisheit. Paul Kirchhof hat sie in einem Vorwort zu dem Buch “Abenteuer Familie” so formuliert: “Wer das Glück sucht, findet die Familie”. Das Glück liegt in der Beziehung, im Gespräch, in gemeinsam gelebter Zeit. Zeit, das ist es, was vielen Familien heute fehlt, weil oft beide Eltern arbeiten müssen, um die Familie über die Runden zu bringen. Das Glück hat aber einen Preis: Gerechtigkeit. Auf die ungerechte Behandlung von Familien hat das Bundesverfassungsgericht in mehreren Urteilen hingewiesen. Die Politik blieb untätig. So ist das Sozialsystem in eine Schieflage geraten, die sich in Zukunftsangst, Bindungsangst und Armutsangst, mithin im Nein zu Kindern niederschlägt. Unrecht hat Folgen. Die BAT-Stiftung hat eine aufgezeigt.

Leistungsgerechtigkeit erreicht man in einer durchökonomisierten Gesellschaft mit Finanzmitteln. Diese werden per Gesetz verteilt. Hier ist der Gestaltungsraum für die Politik. Wegen der indifferenten bis feindlichen Einstellung gegenüber Familien in den meisten Medien (ein Grund: 70 Prozent der Journalisten sind kinderlos) ist der Eindruck entstanden, Familien würden mit Transferleistungen überschüttet. Monetäre Zuwendungen sind aber nicht nur ein Gebot der Leistungsgerechtigkeit. Gute Scheine lassen, anders als Gutscheine, den Eltern, die diese Leistung erbringen, auch die Freiheit der Entscheidung. “Geld ist gedruckte Freiheit”, meinte Dostojewskji. Die Aussicht auf gute Scheine wirkt sich aber auch auf das generative Verhalten aus. Zwar ist der Zusammenhang zwischen monetären Zuwendungen und einer Steigerung der Geburtenzahlen nicht nachweisbar. Empirisch erwiesen ist aber der Zusammenhang zwischen Kürzungen oder mangelnden monetären Zuwendungen und der Geburtenquote. Mit anderen Worten: Streichungen senken die Neigung zum Kind. Weltweit lässt sich nachweisen, dass überall da, wo der Wohlstand steigt, die Geburtenzahlen sinken. Die “utilitaristischen Lektionen” des Marktes, so Joseph Schumpeter, lassen “die Werte des Familienlebens” verblassen. Die Wertewalze des Kapitalismus kann ebenso erdrückend sein wie der Sozialismus, sie nimmt keine Rücksicht auf Fragen der Gerechtigkeit.

Wenn das so ist, warum gibt es überhaupt noch Familien? Familien überleben, weil sie Synergie-Effekte nutzen, weil sie sparsamer einkaufen, weil sie vielfach nicht in Urlaub fahren (während kinderlose Doppelverdiener drei- und viermal fahren), weil die Grosseltern helfen (der private Transfer der älteren auf die jüngere Generation beläuft sich mittlerweile auf rund 30 Milliarden Euro pro Jahr), weil sie billigeren Wohnraum suchen, weil sie das Kindergartengeld sparen, weil sie mit zusätzlichen Jobs ein Zubrot verdienen, weil sie keine (zweite) Lebensversicherung für die Altersvorsorge abschliessen, weil sie kein Auto fahren oder nur ein altes, weil sie nicht ins Theater oder Kino gehen, sondern sich Kinoabende zuhause machen, weil sie kein Handy haben oder nur eins mit begrenzten Sprechzeiten, weil sie Restaurants nur von aussen kennen, weil, weil, weil. Sicher ist: Die grösste Alltagsbelastung stellen für die deutschen Eltern Geldsorgen dar. Geld ist nicht die primäre Ursache für eine grössere Fertilität, das bleibt – hoffentlich – die Liebe. Aber Familienpolitik kann mit sekundären Hilfen (Zeit oder Geld oder beides) zu mehr Gerechtigkeit beitragen und damit Familie und Zukunft ein Zuhause ermöglichen, in dem man mehr als nur überlebt.

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