Vor 80 Jahren unterzeichnet:

“Die Situation war für Pacelli alles andere als komfortabel”

Quelle
Sündenbock für das Dritte Reich?
Mit brennender Sorge

Der Historiker Karl-Joseph Hummel zum Reichskonkordat zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Deutschen Reich

Die Tagespost, 19. Juli 2013, von Stefan Meetschen

Herr Professor Hummel, vor 80 Jahren, am 20. Juli 1933, unterzeichneten Kardinalstaatssekretär Eugenio Pacelli, der spätere Papst Pius XII., und der deutsche Vizekanzler Franz von Papen das Reichskonkordat, das das Verhältnis zwischen dem Deutschen Reich und dem Heiligen Stuhl regeln sollte. Welche innen- und aussenpolitischen Wirkungen hatte dieses Abkommen für Adolf Hitler, der damals offiziell Reichskanzler war, aber schnell zum Diktator wurde?

Kritiker haben das Konkordat zuweilen als “Pakt mit dem Teufel” bezeichnet. Die Initiative dazu lag 1933 nicht bei der Katholischen Kirche, sondern bei der Reichsregierung. Offiziell – das steht im Konkordat selbst – wurde es geschlossen, “um die zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Deutschen Reich bestehenden freundschaftlichen Beziehungen zu festigen und zu fördern”. Tatsächlich sollte es aber auch dazu beitragen, das internationale Ansehen der Regierung Hitler zu fördern. Die NS-Propaganda hat alles dafür getan, dass der Vertragsabschluss als Vertrauensbeweis des Vatikans eingeordnet werden konnte.

Welche Folgen hatte das Konkordat für die deutschen Katholiken?

Weltanschaulich hatte die Katholische Kirche spätestens im Herbst 1930 klar Position bezogen und den Nationalsozialismus ohne jede Einschränkung als Irrlehre bezeichnet. Auf dieser Ebene gab es zwischen Staat und Kirche keine Gemeinsamkeiten. Diese klare Position wurde politisch aber im Frühjahr 1933 verlassen. Die gemeinsame März-Erklärung der deutschen Bischöfe führte bei den Katholiken vorwiegend zu Verwirrung, weil sie zwei Dinge vermischte: die weltanschauliche Verurteilung des Nationalsozialismus und die politisch-taktische, staatsbürgerliche Notwendigkeit, die Regierung Hitler, die sich auf diese abgelehnte Weltanschauung stützte, zu akzeptieren. Der Abschluss des Konkordats hat diese bereits vorhandene weltanschauliche Konfusion weiter verstärkt.

Wie würden Sie die damals im katholischen Milieu existierende Stimmung bezeichnen?

Viele hatten damals das Gefühl, an einer “Zeitenwende” zu stehen. Die Angst, dass die Katholiken wie zur Zeit des Kulturkampfes wieder an den Rand gedrückt werden könnten, war ausgeprägt. Die Bischöfe haben die Katholiken aufgefordert, sich in diesen neuen Staat, so weit es ging, “opferwillig” einzuordnen, nicht beiseitezustehen. Dabei spielte teilweise auch der Gedanke mit, dass Katholizismus und Nationalsozialismus sich gemeinsam gegen einen Dritten wehren müssten, den atheistischen Bolschewismus. Auf der anderen Seite warnten die deutschen Bischöfe, der Nationalsozialismus wolle selbst eine neue Religion sein, man streite nicht bloss um eine neue Politik. Deutschland stehe vor der Alternative: Christlich zu bleiben oder altgermanisch-heidnisch zu werden. Insgesamt war die Konfliktlage sehr komplex.

Mit welchen Schwierigkeiten hatte Kardinalstaatssekretär Pacelli zu kämpfen?

Die Situation für Eugenio Pacelli war ebenfalls alles andere als komfortabel. Seit der Öffnung der vatikanischen Archive wissen wir darüber ganz gut Bescheid. Pacelli war ein Diplomat, juristisch erfahren, der unter einem Konkordat laut eigener Aussage “keine Liebeserklärung” verstand, sondern lediglich eine juristische Vereinbarung, die keine Aussage über die moralischen Grundsätze des Verhandlungspartners macht. Pacelli hielt sich dabei an eine Leitlinie von Papst Pius XI. aus dem Jahre 1929, die besagte: Wenn es hilft, eine einzige Seele zu retten, werden wir auch mit dem Teufel persönlich verhandeln.

Hat er die Verhandlungen klug geführt?

Man hat Eugenio Pacelli zuweilen vorgeworfen, er habe die Katholische Kirche in Deutschland nach vatikanischen Vorstellungen gegängelt und zentralisiert und das Ende des ungeliebten politischen Katholizismus, den Untergang der Zentrumspartei, billigend in Kauf genommen. Von einem Deal a la Abschluss des Reichskonkordats für die Zustimmung zum Ende der Zentrumspartei kann aber keine Rede sein. Dieser Vorwurf ist auf der Grundlage der jetzt möglichen Archiveinsichten vom Tisch. Tatsächlich sind die entscheidenden Weichenstellungen im Frühjahr und Sommer 1933 – die Zustimmung zum Ermächtigungsgesetz und die Selbstauflösung der Zentrumspartei – in Deutschland selbst entschieden worden. Ohne Absprache mit Rom. Pacelli stand nicht nur einmal vor vollendeten Tatsachen. Manches hat er erst aus der Presse erfahren.

Hat Pacelli die Absichten der Nazis richtig eingeschätzt?

Rom wusste, dass die Regierung Hitler es auf jeden Fall durchsetzen wollte, die katholischen Geistlichen künftig von jeder politischen Tätigkeit auszuschliessen. Der Vatikan war dazu grundsätzlich bereit, wollte sich den Verzicht auf den “politischen Prälaten” in den Verhandlungen aber teuer bezahlen lassen. Diese Position war freilich in dem Augenblick nichts mehr wert, in dem die Zentrumspartei sich selbst aufgelöst hatte. Jetzt konnte es ja einen politisch aktiven Prälaten, einen geistlichen Mandatsträger, nicht mehr geben. Von daher geriet der Vatikan im Sommer 1933 unter grossen Zeitdruck, das Konkordat möglichst rasch abzuschliessen. Hier wäre ein enger Schulterschluss der deutschen Katholiken mit dem Vatikan sicher von Vorteil gewesen.

Was hatte das für Folgen?

Es passiert zunächst etwas Merkwürdiges: In dem Moment, in dem die Bischöfe bereit waren, auf den politischen Prälaten zu verzichten, wurden sie selbst zum politischen Sprecher der deutschen Katholiken, weil das bisherige, immer wieder kritisierte politische Sprachrohr, die Zentrumspartei, nicht mehr zur Verfügung stand. Damit übernahmen die Bischöfe eine Rolle, auf welche die meisten von ihnen nicht vorbereitet waren. Es hat in wichtigen Fragen dann ja auch Jahre gedauert, bis man zu einer einheitlichen Linie gefunden hat.

Welche Vorteile hatte die Kirche durch das Konkordat? Gab es überhaupt welche?

Das Konkordat bezieht sich auf verschiedene Grundpfeiler der Katholischen Kirche. Zunächst garantierte es die freie, ungehinderte Ausübung der Religion. Es regelte aber auch die Fortexistenz der bereits früher abgeschlossenen Länderkonkordate und ermöglichte die Ausbildung der Geistlichen an staatlichen theologischen Fakultäten. Der Vertrag sieht die Einrichtung von Bekenntnisschulen und den Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach vor und garantiert grundsätzlich den Schutz der Vereine und Verbände, soweit sie religiösen, caritativen oder kulturellen Zwecken dienen. Tatsächlich ist dieser Schutz sehr unzureichend geblieben.

Grundsätzlich war die Ausgangsposition aber nicht schlecht. Das Angebot, das von Papen im April 1933 nach Rom brachte, erfüllte viele Forderungen, die die Kirche seit Bestehen der Weimarer Republik vergeblich vorgetragen hatte, und ging teilweise sogar darüber hinaus. Pacelli wusste, wenn man dieses Angebot nicht annimmt, wird man sich nicht rechtfertigen können, wenn es für die Katholiken im Dritten Reich zu einer schwierigen Situation kommt. Später sagte er: Mir wurde die Pistole an den Kopf gesetzt. Der Vatikan hatte eigentlich keine Wahl. Er fühlte sich gedrängt, weil er eine Chance sah, etwas für die Seelsorge zu tun. Er ging dabei davon aus, dass die Nationalsozialisten irgendwann Vereinbarungen verletzen würden, aber er wollte nicht glauben, dass sie von Anfang an gegen alle gleichzeitig verstossen würden.

Wie lange hat sich das Nazi-Regime an die Konkordats-Garantien gehalten?

Es gab von 1933 bis 1937, also bis zur Enzyklika “Mit brennender Sorge”, eigentlich nur Stress und Streit für die Kirche. Pacelli hat in diesen wenigen Jahren 55 päpstliche Protestnoten an die Reichsregierung geschickt. Meist ging es dabei um die ungehinderte seelsorgerliche Tätigkeit und um die Rolle der Vereine und Verbände. Die klare Regelung des Artikels 31 des Konkordats, die katholischen Vereine und Verbände dürften ungehindert arbeiten, solange sie sich nicht in die politischen Angelegenheiten einmischten, war praktisch eine ständige Quelle für Konflikte, weil man leichtsinnigerweise die Aufstellung einer Liste der gemeinten Vereine und Verbände einer späteren Regelung vorbehalten hat, zu der es aber nie mehr gekommen ist.

Die pastorale Tätigkeit der Katholischen Kirche war konkordatswidrig nach 1933 nicht mehr selbstbestimmt, sondern – orientiert an verschiedensten Strafrechtsbestimmungen – erlaubt oder verboten. Die Nationalsozialisten wollten in der Auseinandersetzung mit der Katholischen Kirche keine Märtyrer haben, sondern Straftäter, die man zur Rechenschaft ziehen musste, weil sie Verordnungen nicht eingehalten hatten, wie beispielsweise die Läuteordnung, die sich auf das Glockengeläut der Kirchen bezieht. Auf diese Weise geriet ein Drittel der Priester in strafrechtlichen Konflikt mit dem NS-Staat. Mit weitreichenden Konsequenzen – vom einfachen Verhör bis zur Einweisung in ein KZ.

Wie haben die Nazis ihre Konkordatsbrüche verteidigt?

Die NSDAP hat das Konkordat primär als Regierungsabkommen angesehen, das für sie selbst nicht bindend sei. Aus ihrer Sicht wurde es ja auch nicht von einem Nationalsozialisten abgeschlossen, sondern von dem katholischen Vizekanzler Franz von Papen.

Im mittlerweile veröffentlichten Geheimanhang des Dokuments ist offen von militärischer “Mobilisierung” die Rede. Hat der Vatikan schon 1933 damit gerechnet, dass Hitler-Regime letztlich militärische Ziele verfolgte?

Dieser Geheimanhang ist der deutschen Öffentlichkeit erst 1956 bekannt geworden. Er bezieht sich zunächst allgemein auf die Umbildung des deutschen Wehrsystems im Sinne der Einführung einer allgemeinen Wehrpflicht. Ein zweiter Punkt beantwortete die Frage: Was passiert mit den Geistlichen im Falle einer allgemeinen Mobilisierung? Die Geistlichen, die zu diesem Zeitpunkt in der Diözesanverwaltung oder in der Seelsorge tätig sind, wurden vom Militärdienst freigestellt. Die Überlegung, dass Pacelli auf dieser Klausel bestanden haben könnte, weil er bereits 1933 mit einem Weltkrieg gerechnet habe, halte ich nicht für zwingend.

Sie haben sich in mehreren Publikationen mit der Rolle von Papst Pius XII. beschäftigt und zur “Karriere der katholischen Schuld seit 1945”. Wie bewerten Sie die Figur Pacellis im Kontext der Konkordats-Erarbeitung?

Pacelli war als Jurist sehr daran interessiert, mit möglichst vielen Staaten zu einer Vertragslösung zu kommen. Als Nuntius hat er versucht, das bayerische Konkordat als Modell für die ganze Welt auszuhandeln. Derart günstige Bestimmungen – beispielsweise für die Ernennung von Bischöfen – sind ihm später nicht mehr gelungen. Die im Sommer 1933 angebotenen Bedingungen waren fair. Vielleicht liegt hier auch ein wichtiger Grund dafür, dass das Konkordat heute immer noch, leicht modernisiert gilt. Das vor 80 Jahren abgeschlossene Reichskonkordat ist ein Vertrag, mit dem Staat und Kirche gut leben können, vorausgesetzt, beide Partner sind grundsätzlich gewillt, sich an die Vereinbarungen zu halten.

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